
Ende gut, alles gut?
In knapp zwei Wochen ist es wieder soweit: Real Madrid steht im Finale der UEFA Champions League und kann sich zum zweiten Mal innerhalb von drei Spielzeiten zum König von Europa krönen. Nachdem man am vergangenen Wochenende die Meisterschaft mit einem Punkt Rückstand denkbar knapp verpasste, könnte die aus Madrider Sicht mehr als durchwachsene Saison, die im unrühmlichen Pokal-Aus wohl ihren negativen Höhepunkt fand, also doch noch zu einem versöhnlichen Abschluss gebracht werden. Doch aufgepasst: Auch ein etwaiger Triumph in der Königsklasse darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass an der Concha Espina doch einiges im Argen liegt. Unter Zinédine Zidane stimmen zwar die Ergebnisse und mittlerweile ist auch wieder so etwas wie Ruhe (falls es das in Madrid überhaupt gibt) rund um das Bernabéu eingekehrt, die strukturellen Probleme innerhalb des Vereins sind jedoch bei Weitem noch nicht gelöst.
Sucht man nach Gründen für das erneute Verpassen der Meisterschaft, scheint bei einem Blick auf die nackten Zahlen die Lage schnell klar zu sein: Rafael Benítez holte in seinen 18 Liga-Partien an der Seitenlinie 37 von 54 möglichen Punkten, Zidane kommt auf 53 von 60 möglichen Zählern. Der Titel wurde in der Hinrunde verspielt, das ließen auch einige Spieler im Anschluss an das letzte Spiel gegen Deportivo La Coruña (2:0) verlauten. Doch nun allein dem spanischen Übungsleiter die Schuld für die verkorkste Liga-Saison in die Schuhe zu schieben, ist in meinen Augen deutlich zu kurz gegriffen. Ob Benítez nun am zu großen Erbe Carlo Ancelottis, der mangelhaften Einstellung der Spieler, seiner distanzierten Art der Mannschaftsführung oder am zu großen Einfluss von Florentino Pérez scheiterte, ist eigentlich unerheblich. Letztlich legte die Ära Benítez nur offen, weshalb man dem FC Barcelona seit nunmehr zehn Jahren in so vielen Aspekten hinterherhinkt.
Auch wenn so mancher Madridista die folgenden Punkte vermutlich nicht mehr hören mag: Sollte Real in naher Zukunft keinen Strategiewechsel einleiten, wird man auch in den nächsten Jahren nicht viel mehr tun können, als Barça zu weiteren Titeln zu gratulieren. Während die Katalanen nämlich auf eine über Jahre gewachsene, schon von Johan Cruyff in den 80er-Jahren initiierte, Struktur zurückgreifen können, die ein einheitliches Spielsystem umfasst, das sich von der Jugend bis in die erste Mannschaft durchzieht und nach der sowohl Spieler als auch Trainer ausgesucht werden, durchleben die Königlichen aufgrund der unter Pérez gelebten Transferpolitik gefühlt jedes Jahr einen Umbruch und haben eigentlich immer mit demselben Problem zu kämpfen: Der Übungsleiter muss das vorhandene Spielermaterial irgendwie in ein passendes System pressen. Doch ob er – sollte er diese Aufgabe gemeistert haben – auch im kommenden Jahr mit demselben Kader planen kann, steht in den Sternen. Langfristiges und strategisch ausgelegtes Arbeiten? Unter diesen Bedingungen unmöglich.
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Ob man nun ein den ganzen Verein umfassendes einheitliches Spielsystem nach dem Vorbild Barcelona installieren muss, sei mal dahingestellt. Nach Rom führen bekanntlich viele Wege. Zumindest aber sollte man sich für die erste Mannschaft auf ein einheitliches System einigen und die Spieler nach diesem aussuchen. Aktuell scheint Zidane eine funktionierende Formation gefunden zu haben, hat für drei Positionen aber nur jeweils einen adäquaten Spieler zur Verfügung. Fallen Marcelo, Karim Benzema oder Casemiro aktuell aus, hat dies gravierende Auswirkungen auf die gesamte Ausrichtung des Teams. In Person von Isco und James Rodríguez hat man dafür zwei Akteure im Team, die zwar relativ flexibel einsetzbar sind, ihre Stärken aber auf einer Position haben, die es bei der Taktik der Blancos gar nicht gibt: nämlich direkt hinter den Spitzen. Ein Punkt, an dem man in der kommenden Transferperiode dringend ansetzen sollte, ansonsten könnte auch Zidane früher oder später an seine Grenzen stoßen.
Die Konkurrenz schläft nicht
Denn klar ist auch: Die Konkurrenz schläft nicht und wird aus den Fehlern dieser Spielzeit gelernt haben. Dass man letztlich nur einen läppischen Punkt hinter Barcelona landete, ist in meinen Augen leider nicht nur der Stärke der Mannschaft unter Zidane geschuldet. Unter dem Strich litt Barça gegen Ende unter seinem extrem dünn besetzten Kader, denn viele gleichwertige Alternativen zur ersten Elf besitzen die Katalanen derzeit nicht wirklich. Ein Umstand, dem man sich beim spanischen Serienmeister wohl auch bewusst ist. Zumindest lassen das die aktuellsten Transfergerüchte rund um das Camp Nou vermuten: Die heiß gehandelten Kevin Gameiro, Nolito oder Hatem Ben Arfa wären sowohl qualitativ als auch quantitativ ein großer Schritt nach vorne und würden dem Team in der Breite enorm weiterhelfen. Aber auch die internationale Konkurrenz bastelt weiter kräftig an der eigenen Zukunft: Durch die Verpflichtungen von Mats Hummels und Renato Sanches ? den ich übrigens auch liebend gerne in Madrid gesehen hätte – hat auch Bayern München zwei deutliche Ausrufezeichen gesetzt und seine Ambitionen auf den Champions-League-Titel weiter zementiert. Real muss dringend aufpassen, dass man die in den letzten Jahren mühsam geschlossene Lücke zur Weltspitze nicht wieder aufbrechen lässt.
Das soll aber eben nicht heißen, dass man nun, wie in den letzten Jahren üblich, versucht, mit „Gálactico“-Transfers den internationalen Markt aufzumischen, sondern sich endlich zu einer nachvollziehbaren und langfristig ausgelegten Strategie bekennt und eher durch konzeptionelles Arbeiten statt überstürzten Transfer-Entscheidungen probiert, zum Erfolg zu kommen. So langsam sollte man in der Führungsriege verstehen, dass man sich seit Jahren in einem Teufelskreis bewegt und auf diese Weise den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren droht. Aktuell scheint es zwar den Eindruck zu machen, dass Zidane genau diesen Nerv zu treffen vermag und auch bei Pérez ein gewisses Umdenken einzusetzen scheint. Ob dies aber auch wirklich der Realität entspricht, wird erst die kommende Wechsel-Periode zeigen. Wichtig ist aber: Auch ein möglicher Triumph in der Königsklasse sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den bevorstehenden Monaten eine Menge Arbeit vor Real liegt – und sich an den Verhältnissen in Spanien nur wenig ändern wird, falls man die grundsätzliche Herangehensweise innerhalb des Vereins und die Ausrichtung des Klubs nicht gründlich überdenkt.
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