
Am Ende gab es ihn dann doch, den Spalier. Allerdings nicht so, wie ihn sich die Schaulustigen im Estadio Santiago Bernabéu vorgestellt hatten. Nicht vor dem Anpfiff, und auch nicht von den Spielern des FC Barcelona. Es lief die 54. Minute des 270. Clásicos, als sich die Akteure in Weiß aus heiterem Himmel gestatteten, für ihre Gegenspieler in Burgunderrot und Blau eine fast 40 Meter lange Ehrengasse zu bilden. Der nicht gerade als Wirbelwind bekannte Ivan Rakitić bedankte sich artig und spazierte munter hindurch. Schließlich am gegnerischen Sechzehner angelangt, spielte er einen Pass auf den ebenfalls sträflich freien Sergi Roberto, der nur kurz den Kopf heben und den Ball zum verwaisten Luis Suárez bugsieren musste. Es war ein Kinderspiel – und der Anfang vom Ende einer der bittersten Clásico-Niederlagen für Real Madrid in den letzten Jahren. 0:3. Zuhause. Ein so wunderbares Jahr mit fünf Titelgewinnen hätte einen besseren Abschluss verdient. Zumal die Aussichten für 2018 alles andere als rosig sind.
[advert]
Die spanische Meisterschaft? Endgültig verspielt! Barça zeigt unter Ernesto Valverde nicht mehr den überragenden Fußball der letzten Jahre, ist aber eine unheimlich abgezockte Einheit. Abgesehen davon hat noch kein Team in der Geschichte der Primera División einen 14-Punkte-Vorsprung aufgeholt. Die Champions League? Kann man nie einplanen. Und ist vielleicht ausgeglichener als jemals zuvor. Im Achtelfinale wartet mit Paris Saint-Germain schon ein großer Titelaspirant. Präsentiert sich Real so fahrlässig wie in der zweiten Hälfte des Clásicos, ist das frühe Aus perfekt. Und die Copa del Rey? Bietet – Stand jetzt – die realistischste Chance auf einen Titel. Wäre trotzdem nicht mehr als ein Trostpreis. Klar ist: Real stehen schwere Zeiten bevor. Ein Abwärtstrend war aufgrund der ganzen Erfolge der letzten Jahre durchaus abzusehen, darf aber nicht als Entschuldigung gelten. Wer das weiße Trikot trägt, muss immer gewinnen. Die Vergangenheit spielt keine Rolle! Ein Grundsatz, der beflügeln, aber auch hemmen kann. Zweiteres war in jener 54. Minute am Samstag der Fall. Eine Minute, die genau die Probleme der Mannen von Zinédine Zidane in dieser Saison widerspiegelte.
Vorne fehlten wie so oft der Mut und die Überzeugung, sich durch die gegnerischen Reihen zu kombinieren und das Tor zu erzielen. Stattdessen folgten ein Ballverlust, der in einem kollektiven Tiefschlaf mündete. Toni Kroos war zwar noch nie ein Sprinter, wie sich aber Mateo Kovačić und Casemiro – ja sogar das brasilianische Kampfmonster Casemiro – so abkochen lassen konnten, ging über den Verstand des Zuschauers hinaus. Ähnlich wie die Einstellung der Abwehrspieler, allen voran von Kapitän Sergio Ramos, komplett auf Eigeninitiative zu verzichten und sich ausschließlich auf den Nebenmann zu verlassen. Das geht weder in einem Clásico noch gegen Mannschaften wie Betis oder Girona, wie die bisherige Hinrunde ebenfalls eindrucksvoll zeigte.
Weitaus beunruhigender als die Leistungen auf dem Platz ist aber der Umgang der Madrilenen mit ihren Problemen. Einige Spieler sitzen noch immer auf dem hohen Ross, das sie im vergangenen Juni in Cardiff bestiegen haben. Flüchten sich in Ausreden. Weinen den abgewanderten Spielern nach. Verlangen zum Teil sogar noch eine Aufstockung ihres Gehalts. Selbstkritik? Kommt für einen Großteil nicht in Frage. Nur diejenigen, die sich nach den Spielen immer der Presse stellen, wie Marcelo, sind dazu fähig. Und diejenigen, die am Flughafen auf dem Weg in den Weihnachtsurlaub abgefangen werden, wie Karim Benzema, geloben in fast schon unverschämter Gelassenheit Besserung.

Das passt zum Verhalten des Trainers. Zidanes Aussagen, überhaupt nichts ändern zu müssen, treffen maximal auf seine taktische Ausrichtung zu. Das Experiment Kovačić hätte bei einer besseren Chancenauswertung im Clásico auch gut gehen können. Zidane hat seit seiner Ankunft viel an seinem System gewerkelt, seine Mannschaft kann im positiven Sinne unberechenbar sein. Trotzdem ist er in der aktuellen Lage gut beraten, auch an sich zu arbeiten. Vor allem an seiner Menschenführung. Denn bisher funktionierte die Legende nur nach dem Zuckerbrot-Prinzip. Als cooler, besonnener Spielerkumpel. Wie einst sein Mentor Carlo Ancelotti. Der machte allerdings den gravierenden Fehler, zu viel Zuckerbrot zu verteilen und seine Peitsche Zuhause zu lassen. Seinen Stars einfach blind zu vertrauen und nicht immer nach dem Leistungsprinzip aufzustellen. Wie das endete, weiß jeder. Auch Zidane. Deshalb sollte ihm eigentlich klar sein, dass sich in den nächsten Monaten sehr wohl etwas ändern muss. Gegebenenfalls sogar in Sachen Wintertransfers. Sonst droht 2018 wie 2015 zu werden.
Folge REAL TOTAL auch auf Facebook, Twitter, Google+ und Instagram
Community-Beiträge