Interview

„In den Vorstandsetagen hielten sich einige für Halbgötter“

Jupp Heynckes gewann 1998 nach 32 Jahren mit Real die Champions League und wurde am Ende doch entlassen. In der Königsklassen-Sonderausgabe des Fußball-Magazins 11FREUNDE blickte der ehemalige Trainer der Blancos auf sein einjähriges Intermezzo in der spanischen Hauptstadt zurück und berichtete von der großen Erwartungshaltung rund um das Bernabéu, Machtkämpfe an der Vereinsspitze und seine schönste Erinnerung an seine Zeit in Madrid.

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Heynckes trainierte die Königlichen in der Saison 1997/98 – Foto: imago images / Uwe Kraft

„Alle sprachen nur von ‚la Séptima‘“

MÜNCHEN. Wenn im Zuge des Gewinns von „la Décima“ über die zwölf Jahre andauernde Obsession des Madridismo und den dadurch entstandenen Druck auf Carlo Ancelotti und sein Team gesprochen wird, dürfte das bei Jupp Heynckes lediglich ein müdes Lächeln hervorrufen. Als der gebürtige Mönchengladbacher 1997 den Dienst bei den Königlichen antrat, blickte man auf 31 Jahre ohne Triumph im größten europäischen Vereinswettbewerb zurück. Bereits bei Amtsantritt habe sich alles nur um „la Séptima“, den siebten Europapokaltriumph der Vereinsgeschichte, gedreht.

Schon während der ersten Trainingseinheit sei der enorme Druck spürbar gewesen: „Als ich in Madrid ankam, sprachen alle nur von ‚la Séptima‘. In jeder offiziellen Ansprache des Präsidenten fiel der Begriff. Seit 32 Jahren wartete Real Madrid auf den siebten Erfolg in der Champions League. Nie werde ich das erste Training vergessen. 80.000 Zuschauer waren bei strömendem Regen ins Bernabéu gekommen. Jeder Spieler wurde präsentiert, das Trainerteam und der Präsident. Ganz am Ende kamen Francisco Gento und Alfredo Di Stéfano auf den Platz, als das passierte, flippte das Stadion, in dem es ohnehin ohrenbetäubend laut war, komplett aus“, beschrieb der Deutsche seine ersten Tage an der Concha Espina.

Dem Druck der Menschenmenge nachgebend, rief er dann auch den Gewinn der Champions League als Ziel aus. Wenn auch etwas unfreiwillig, wie Heynckes heute einräumt: „Ich gebe zu, da war auch ein bisschen Populismus im Spiel. Angesichts so einer Masse macht man das eben.

„In der Vereinsspitze tobte ein politischer Machtkampf“

Auch ausgesprochene Job-Garantien für Trainer rufen beim deutschen Fußball-Lehrer eher gemischte Gefühle hervor. Denn nicht einmal Titel sind, wie er aus eigener Erfahrung berichten kann, bei Real Madrid eine Versicherung. Am 20. Mai 1998 gewannen die Blancos nämlich durch ein 1:0 über Juventus Turin tatsächlich die Champions League – entlassen wurde Heynckes trotzdem. Vom Beginn weg schwang „Osram“, wie er in Deutschland aufgrund seines zeitweise roten Kopfes getauft wurde, große Skepsis entgegen. Das Hauptproblem waren jedoch nicht die Akteure, auch wenn sich starke Persönlichkeiten im damaligen Team befanden. Vielmehr machte die damalige Vereinsführung um den umstrittenen Präsidenten Lorenzo Sanz dem heute zweifachen Champions-League-Sieger-Trainer zu schaffen: „In Madrid traf ich auf Charaktere wie Clarence Seedorf, Christian Karembeu, Christian Panucci oder Roberto Carlos. Keine einfachen Typen, aber voll auf die Champions League fixiert. Die Spieler waren jedenfalls nicht mein Problem. In der Vereinsspitze tobte ein politischer Machtkampf. Ich spürte, dass ich dort von Anfang an nicht den absoluten Rückhalt besaß. In den Vorstandsetagen von Real hielten sich einige damals für Halbgötter.

Dass er am Ende trotz „la Séptima“ seinen Stuhl räumen musste, lag in erster Linie wohl am enttäuschenden Abschneiden in der Liga, wo man nur den vierten Rang belegte. Das Ziel Europapokal habe eben über allem gestanden: „Die Fixierung auf dieses Ziel hatte Folgen: In der Meisterschaft wurden wir nur Vierter, weil die Spieler diesen Wettbewerb gar nicht erst wahrnahmen. Alles drehte sich nur um ‚la Séptima‘.

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„Real etwas schenken? So selbstlos war ich nicht“

Die Entlassung kam für den heutigen Pensionär allerdings auch nicht aus heiterem Himmel. Für sich selbst hätte er ohnehin beschlossen gehabt, sein Engagement bei den Madrilenen am Saisonende zu beenden, wenngleich ein Rücktritt nicht in Frage kam: „Ich hatte mich schon im Dezember 1997 entschieden, nach der Saison Schluss zu machen. Die negativen Strömungen in der Führung zwangen mich dazu. Aber mit meinem Berater entschied ich, nicht von mir aus zurückzutreten. Ich hatte einen Zweijahresvertrag. So selbstlos, Real Madrid noch etwas zu schenken, war ich nicht.

Auch wenn die Liaison zwischen Heynckes und den Merengues ein unrühmliches Ende nahm, habe die Zeit in Spaniens Hauptstadt und beim größten Fußballklub der Welt auch unvergessliche und schöne Momente mit sich gebracht. Einer davon sei die Siegesfeier an der Cibeles im Anschluss an den Königsklassen-Gewinn gewesen, der in seiner Art und Weise unvergleichbar sei: „Kein Mensch kann sich vorstellen, wie es ist, in einem offenen PKW durch Madrid zu fahren, wenn einem zwei Millionen Menschen vom Straßenrand zujubeln. Der Jubel an der ‚Plaza de Cibeles‘ und anschließend mit 100.000 im Bernabéu, das war unbeschreiblich. Man kommt sich vor wie im Film.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

Kommentare
Ein großartiger Trainer.
 

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