Reportage

Benítez’ Rotationsystem – ein Rezept für den Erfolg?

Bei der Entlassung von Carlo Ancelotti spielte wohl auch die mangelnde Rotation eine gewichtige Rolle. Mit Rafael Benítez hat man sich nun einen Mann an die Concha Espina geholt, der als großer Verfechter dieser Praxis gilt. Aber hinter dem System Benítez steckt weitaus mehr, als nur das Durchtauschen der Spieler. REAL TOTAL gewährt einen kleinen Einblick in die Trainingsmethoden des 55-Jährigen.

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Rafael Benítez wird vor allem für seine Trainingsmethodik geschätzt

Ancelottis wunder Punkt: mangelnde Rotation

MADRID. Der Stachel sitzt ob der Saison ohne großen Titel bei Real Madrid tief. Während der Erzrivale aus Barcelona bereits das zweite Triple der Vereinsgeschichte bejubeln durfte, ging der spanische Rekordmeister in den wichtigen Wettbewerben leer aus. Als Konsequenz daraus setzte sich die Vereinsführung um Florentino Peréz nach Ende der Spielzeit zusammen und hinterfragte den gesamten Verlauf, infolgedessen Trainer Carlo Ancelotti seinen Hut nehmen musste. Laut MARCA-Informationen sah die Direktive vor allem in der wiederkehrenden Verletzungsflut, die unter anderem langwierige Ausfälle von Leistungsträgern wie Luka Modric oder James Rodríguez nach sich zog, einen der Hauptgründe für den unbefriedigenden Verlauf der Saison. Des Weiteren sei man der Überzeugung, dass inadäquates Fitness- und Athletiktraining und damit einhergehende Überlastungen die Ursache der Verletztenserie seien.

Durchaus mehr als nur latente Kritik an Ancelotti und seinem Athletik-Trainerstab, bestehend aus seinem Sohn Davide sowie Giovanni und Francesco Mauri. Daraus nun zu schließen, „Carletto“ würde generell falsch oder gar zu hart trainieren, ist natürlich zu weit hergeholt. Der Italiener gilt als moderner Übungsleiter, der beim AC Mailand einst mit den Spezialisten im legendären Milan-Labor zusammenarbeitete und seine Spieler, auch in Madrid, beim Training unter anderem per GPS „überwachen“ ließ, um die Umfänge und die Intensität besser steuern zu können. Außerdem achtet der 56-Jährige penibel und streng auf die Ernährungspläne seiner Spieler, speziell vor und nach Belastungen. In Bezug auf die vergangene Saison ist, von außen betrachtet, ein Thema allerdings nicht von der Hand zu weisen: beim Thema Rotationen machte sich Ancelotti angreifbar. Klar mag dies zum Teil dem Spielermaterial geschuldet sein, jedoch griff der Fußballlehrer aus Reggiolo nur äußerst selten in die Rotations-Trickkiste und verschaffte manchen Akteuren nur äußerst selten eine Pause.

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Vor allem erhielten Leistungsträger wie Modric oder James nach ihren Verletzungspause nur wenig Wiedereingewöhnungszeit. Zwar wurde ihre Einsatzzeit zunächst progressiv erhöht, nach drei bis vier Spieltagen standen sie jedoch wieder regelmäßig alle drei Tage über nahezu jeweils 90 Minuten auf dem Feld. Im Fall des Kroaten rächte sich dies: nur wenige Wochen nach dem Comeback zog sich der „kroatische Mozart“ eine Innenbandverletzung im rechten Knie zu. Ob die Verletzung nun direkt mit der Läsion zuvor zusammenhängt, ist schwer nachzuweisen. Zumal es sich um das andere Bein handelte und derartige Bandverletzungen auch durch traumatische (äußere) Einwirkungen hervorgerufen werden können. Völlig von der Hand zu weisen ist der Verdacht jedoch nicht.

Der niederländische Fitness-Experte Raymond Verheijen meinte zu dem Thema Ermüdung und Sportverletzungen in einem Bericht der 11FREUNDE: „Das liegt daran, dass das menschliche Nervensystem bei Müdigkeit langsamer arbeitet und das Signal vom Gehirn zum Muskel länger braucht. Für einen Fußballprofi bedeutet das ein drastisch steigendes Verletzungsrisiko, denn während explosiver Fußballaktionen hat er weniger Kontrolle über seinen Körper. Er kann sich leichter den Knöchel oder das vordere Kreuzband im Knie verdrehen. Bei einer Rotationsbewegung ziehen sich die Muskeln im Knie normalerweise zusammen, halten es stabil und beschützen es. Spieler können das in ihrer Karriere problemlos eine Million Mal machen. Sind sie aber müde und kommt das Signal vom Gehirn zu spät im Knie an, fällt der Schutz weg und schwerste Verletzungen können die Folge sein.“

Paco de Miguel — der heimliche Cheftrainer

Um diesem Thema und auch solchen Debatten entgegenzuwirken, ist man im Fußball bemüht, in erster Linie präventiv zu arbeiten. Das heißt, Verletzungen erst gar nicht entstehen zu lassen. Dies geschieht primär durch das richtige Verhältnis von Belastung und Erholung sowie vorbeugenden Trainingsinhalten. Ein wichtiges Mittel im europäischen Spitzenfußball ist hierbei eben das Thema Rotation. Mit Rafael Benítez hat man bei den Königlichen einen Trainer unter Vertrag genommen, der ein großer Verfechter dieser Praxis ist. Das System des ehemaligen Castilla-Trainers allerdings nur auf das Austauschen von Spielern zu reduzieren, ist zu einfach. Mit Benítez, und vor allem mit dessen Trainerstab, hat man sich eine sehr spezielle Trainingsphilosophie ins Haus geholt.

Grundsätzlich ist das Training nach folgenden Prinzipien aufgebaut: 80 Prozent wird mit dem Ball trainiert, die restlichen 20 Prozent stellen ergänzende, kompensierende Übungen dar. In seinem eigenen Blog fügt Benítez zu diesem Thema ergänzend hinzu: „Du musst immer Arbeit ohne Ball betreiben, um muskuläre Dysbalancen, die die Dynamik des Spiels mit sich bringt, zu bekämpfen.“ Besonders bei den Muskeln der Oberschenkelvorder- und -rückseite trete diese Problematik zu Tage. Dieser gelte es dementsprechend, durch Kräftigungs- und Dehnübungen, entgegenzuwirken.

Für das Athletiktraining unter Benítez verantwortlich zeichnet sich der ehemalige Leichtathlet Paco de Miguel. Wobei die Bezeichnung Athletiktrainer dessen Aufgabenbereich eigentlich nur unzulässig beschreibt, denn in der täglichen Arbeit ist er dem Cheftrainer nahezu gleichgestellt. De Miguel ist nämlich derjenige, der Umfang und Intensität der jeweiligen Einheit bestimmt. Er gibt einen Belastungsrahmen vor, anhand dessen Benítez seine Übungen auswählt und anpasst. Um die Belastung entsprechend steuern und regulieren zu können, kommt während der Trainingseinheiten diverses technisches Werkzeug zum Einsatz, welches verschiedene leistungsrelevante Parameter, wie beispielsweise die Herzfrequenz, aufzeichnet, um diese im Anschluss an jede Einheit auszuwerten und neu auszurichten. Der Umfang einer einzelnen Trainingseinheit umfasst 60 bis 90 Minuten, in der Regel wird nicht öfter als einmal pro Tag trainiert. Im Vergleich zu anderen Sportarten mag dies wenig wirken, jedoch muss in diesem Zusammenhang eine besondere Charakteristik des Fußballs beachtet werden: der Fußball ist wettkampfdominiert. Da in einer Woche bis zu drei Spiele auf der Agenda stehen, sind, wie der schwedische Sportmediziner Jan Ekstrand in einer Untersuchung für die UEFA bereits belegte, 90 Minuten intensives Training völlig ausreichend.

111 Gründe, Real Madrid zu lieben

Benítez, ein Verfechter der Rotation

Eine Saison mit bis zu 60 Pflichtspielen verletzungsfrei beziehungsweise ohne temporäre Leistungseinbußen zu überstehen, ist nur durch die richtige Belastungssteuerung allerdings wohl nur im Ausnahmefall möglich. Von Zeit zu Zeit ist es auch notwendig, dem Körper mal eine Verschnaufpause zu gönnen. Hierbei kommt das Thema Rotationen ins Spiel. Benítez führt dabei drei Gründe an, weshalb ein derartiges Vorgehen im internationalen Spitzenfußball unbedingt notwendig ist. In erster Linie gelte es, einen „Overload“ an absolvierten Spielminuten zu vermeiden, da Spieler mit zu vielen Spielminuten in den Beinen eher zu Verletzungen neigen, wie er mit Verweis auf wissenschaftliche Quellen deutlich macht. Zudem nehme in in einer englischen Woche die physische Leistung von Partie zu Partie, besonders was die Intensität angehe, kontinuierlich ab. Zwangsläufig müssen diese Daten natürlich keine Aussagekraft hinsichtlich der Qualität des Spiels liefern, im Hinblick auf die Verletzungsprophylaxe könnte eine früher einsetzende Ermüdung jedoch problematisch sein. Als letzten Aspekt zählt Benítez den Konkurrenzkampf im Team auf, der durch regelmäßige Wechsel angetrieben werden und die Motivation erhöhen soll.

Aufbauend auf diesen drei Grundsätzen sowie dem Versuch, die Belastung der Spieler optimal zu steuern, wird Benítez dem Team ab Beginn der Vorbereitung neue Impulse verleihen und alles daran setzen, das titellose Spieljahr schnell vergessen zu machen. Ob es nun genau diese Aspekte sein werden, die Real im Kampf mit dem FC Barcelona in der kommenden Spielzeit die nötigen Prozente bringen können, bleibt abzuwarten. Fakt ist jedoch, dass Benítez bislang bei jeder seiner Trainerstationen wichtige Titel einfahren konnte – teilweise sogar mit eher durchschnittlich besetzten Teams. Und im Gegensatz zu 2014, als man in der entscheidenden Saisonphase in guter Form auflief, wirkte das Team dieses Mal im Schlussspurt überspielt und ausgelaugt. Dass dies nächste Saison anders laufen wird, dafür gibt es keine Garantien. Genauso wenig dafür, dass durch die eingesetzten Trainingsmethoden eine erneute Verletzungsmisere abgewendet werden kann, wie auch der Fußball-Lehrer selbst betont. Aber sie sind ein Ansatz, um die analysierten Fehler der abgelaufenen Saison zu bekämpfen.

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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