Kommentar

Wie ich mir den Abschied eines verdienten Spielers vorstelle

Sich als Fußballprofi an Ort und Stelle zweimal von seinem Verein zu verabschieden, kommt wahrlich nicht oft vor – selbst wenn es sich dabei um eine Ikone handelt. Weil das erste „Auf Wiedersehen“ jedoch äußerst unglücklich ausfiel, wagten Real Madrid und der scheidende Iker Casillas einen zweiten Anlauf. Ein Akt, der der Vergangenheit des Torhüters aber aufs Neue nicht gerecht wurde. Die Gedanken von REAL TOTAL-Redakteur Filip Knopp.

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Iker Casillas
„Adiós“: Nach einem Vierteljahrhundert legt Iker Casillas Real Madrids Trikot ab

Als ich mir am Montagmittag die erneute Verabschiedung von Iker Casillas ansah, ärgerte ich mich ein wenig. Nachdem sich der langjährige Kapitän von Real Madrid am Sonntag vollkommen allein lediglich im Rahmen einer Pressekonferenz verabschiedete, prasselte derart viel Kritik auf den Verein ein, dass kurzerhand ein weiterer zeremonieller Akt gestartet wurde. Doch das Bild, das einem dort zunächst vor Augen geführt wurde, ähnelte dem vom Vortag dann aber schließlich sehr stark. Casillas auf dem Podium, die Journalisten lauschend, die Fotografen knipsend.

So etwas hat für meine Begriffe herzlich wenig mit einer vernünftigen Verabschiedung zu tun. Als Madridista will ich nicht, dass ein Gespräch mit Pressevertretern eine solche Bezeichnung erhält. Als Madridista will ich, dass sich Casillas in seinen letzten Momenten als Königlicher einzig und allein denjenigen widmet, die ihn jahrelang angefeuert haben – und nicht der Presse. Mediale Begleitung: ja. Die Medien als Gegenüber: nein. Die Kontrahenten des spanischen Torhüters würden nun vermutlich schmunzelnd erwidern, seine wahren Freunde seien doch so einige Journalisten.

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Nun, es soll sich hierbei gar nicht explizit um Casillas drehen. Dass Real in Sachen Verabschiedung verdienter Spieler Nachhilfe gut gebrauchen könnte, zeigten beispielsweise nämlich schon die Fälle Raúl oder Guti. Beide gingen 2010 und taten das wahrlich nicht im großen Stil. Das ist eine Tatsache. Dabei verbrachte der eine 18 und der andere 26 Jahre im Verein. Wer spielt denn heutzutage noch so lange für einen einzigen Klub?

Geht eine solche Größe, will ich kein Estadio Santiago Bernabéu sehen, in dem nur eine einzige Kurve gerade mal zur Hälfte gefüllt ist. Ich will kein Bernabéu sehen, das derart leer ist, dass man den Schriftzug „REAL MADRID CF“ auf der Westtribüne abzulesen ist. Ich will kein Bernabéu sehen, in dem beim Abschied eines Raúl oder Casillas 70.000 Plätze frei bleiben. Ich will ein Bernabéu sehen, in dem keine blaue Sitzschale mehr zu erkennen ist.

Warum bekommt man es hin, die Präsentation eines Cristiano Ronaldo in die Abendstunden zu legen und somit rund 80.000 Anhänger ins Estadio Santiago Bernabéu zu locken, aber selbiges nicht, wenn es um die Verabschiedung eines Spielers geht, der mehr als ein Jahrzehnt lang die Knochen für den Klub hinhielt? Jemand wie Raúl, jemand wie Guti. Oder aber jener Casillas. Wir sprechen hier zweifelsfrei von Legenden – und einem Klub, der Millionen von Fans besitzt, von denen es genügend vor Ort in Madrid gibt.

Wie wäre es denn, wenn es diese große Show nicht nur bei Neuzugängen à la Ronaldo oder Kaká gäbe, sondern auch dann, wenn ein großer Verein und ein großer Spieler sich trennen? Wie wäre es, wenn sich Fans, Verantwortliche und der scheidende Star noch einmal gemeinsam die schönsten Momente und Erlebnisse auf der Stadion-Leinwand ansehen würden? Wie wäre es, wenn jemand wie Casillas seine emotionalen Worte nicht über TV-Kameras, sondern direkt an die Anhängerschaft richten würde? Unterm Strich ein hoher Aufwand, ja. Aber hat sich eine Legende das nicht verdient? So zumindest stelle ich mir eine Verabschiedung vor, die in einem würdigen Rahmen verläuft.

Der FC Liverpool hat es zum Ende der zurückliegenden Saison mit Steven Gerrard meiner Meinung nach nahezu perfekt vorgemacht. Nach seiner letzten Partie an der Anfield Road standen sowohl die „Reds“ als auch die gegnerischen Akteure der Mittelfeld-Ikone Spalier. Gerrard marschierte aufs Feld, das just in diesem Moment ganz allein ihm gehörte. Das gesamte Stadion sang seinen Namen, ehrte ihn.

Ähnlich rühmen könnte man Spieler doch auch bei Real. Wenngleich die Uhren dort bekanntlich anders ticken, ist beispielsweise gerade mit Blick auf Raúls Abschiedsspiel erkennbar, dass das Potential allemal vorhanden ist. Es war fraglos ein Gänsehaut-Erlebnis.

Dass Pérez bestritt, auch nur ein Akteur würde den Klub durch die Hintertür verlassen, macht mir fürs Erste wenig Hoffnung auf Besserung. Schade eigentlich, denn das wirft aufgrund der Häufigkeit mittlerweile in erster Linie ein schlechtes Bild auf den Klub, der sich als königlich und ehrenhaft versteht.

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von
Filip Knopp

Begleitet den Mythos Real Madrid als Fan seit der Ära der „Galácticos“ und journalistisch bei REAL TOTAL seit Mitte 2011. Erfahrungen auch bei SPORT1 und SPOX, zudem Autor von »111 GRÜNDE, REAL MADRID ZU LIEBEN«.

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