
Als ich mir am Montagmittag die erneute Verabschiedung von Iker Casillas ansah, ärgerte ich mich ein wenig. Nachdem sich der langjährige Kapitän von Real Madrid am Sonntag vollkommen allein lediglich im Rahmen einer Pressekonferenz verabschiedete, prasselte derart viel Kritik auf den Verein ein, dass kurzerhand ein weiterer zeremonieller Akt gestartet wurde. Doch das Bild, das einem dort zunächst vor Augen geführt wurde, ähnelte dem vom Vortag dann aber schließlich sehr stark. Casillas auf dem Podium, die Journalisten lauschend, die Fotografen knipsend.
So etwas hat für meine Begriffe herzlich wenig mit einer vernünftigen Verabschiedung zu tun. Als Madridista will ich nicht, dass ein Gespräch mit Pressevertretern eine solche Bezeichnung erhält. Als Madridista will ich, dass sich Casillas in seinen letzten Momenten als Königlicher einzig und allein denjenigen widmet, die ihn jahrelang angefeuert haben – und nicht der Presse. Mediale Begleitung: ja. Die Medien als Gegenüber: nein. Die Kontrahenten des spanischen Torhüters würden nun vermutlich schmunzelnd erwidern, seine wahren Freunde seien doch so einige Journalisten.
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Nun, es soll sich hierbei gar nicht explizit um Casillas drehen. Dass Real in Sachen Verabschiedung verdienter Spieler Nachhilfe gut gebrauchen könnte, zeigten beispielsweise nämlich schon die Fälle Raúl oder Guti. Beide gingen 2010 und taten das wahrlich nicht im großen Stil. Das ist eine Tatsache. Dabei verbrachte der eine 18 und der andere 26 Jahre im Verein. Wer spielt denn heutzutage noch so lange für einen einzigen Klub?
Geht eine solche Größe, will ich kein Estadio Santiago Bernabéu sehen, in dem nur eine einzige Kurve gerade mal zur Hälfte gefüllt ist. Ich will kein Bernabéu sehen, das derart leer ist, dass man den Schriftzug „REAL MADRID CF“ auf der Westtribüne abzulesen ist. Ich will kein Bernabéu sehen, in dem beim Abschied eines Raúl oder Casillas 70.000 Plätze frei bleiben. Ich will ein Bernabéu sehen, in dem keine blaue Sitzschale mehr zu erkennen ist.
Warum bekommt man es hin, die Präsentation eines Cristiano Ronaldo in die Abendstunden zu legen und somit rund 80.000 Anhänger ins Estadio Santiago Bernabéu zu locken, aber selbiges nicht, wenn es um die Verabschiedung eines Spielers geht, der mehr als ein Jahrzehnt lang die Knochen für den Klub hinhielt? Jemand wie Raúl, jemand wie Guti. Oder aber jener Casillas. Wir sprechen hier zweifelsfrei von Legenden – und einem Klub, der Millionen von Fans besitzt, von denen es genügend vor Ort in Madrid gibt.
I hope that finally @realmadriden learns to say #goodbye to its #Legend like #IkerCasillas the way they deserve it! #HalaMadrid
— Bodo Illgner (@Bodo_Illgner) 13. Juli 2015
Wie wäre es denn, wenn es diese große Show nicht nur bei Neuzugängen à la Ronaldo oder Kaká gäbe, sondern auch dann, wenn ein großer Verein und ein großer Spieler sich trennen? Wie wäre es, wenn sich Fans, Verantwortliche und der scheidende Star noch einmal gemeinsam die schönsten Momente und Erlebnisse auf der Stadion-Leinwand ansehen würden? Wie wäre es, wenn jemand wie Casillas seine emotionalen Worte nicht über TV-Kameras, sondern direkt an die Anhängerschaft richten würde? Unterm Strich ein hoher Aufwand, ja. Aber hat sich eine Legende das nicht verdient? So zumindest stelle ich mir eine Verabschiedung vor, die in einem würdigen Rahmen verläuft.
Der FC Liverpool hat es zum Ende der zurückliegenden Saison mit Steven Gerrard meiner Meinung nach nahezu perfekt vorgemacht. Nach seiner letzten Partie an der Anfield Road standen sowohl die „Reds“ als auch die gegnerischen Akteure der Mittelfeld-Ikone Spalier. Gerrard marschierte aufs Feld, das just in diesem Moment ganz allein ihm gehörte. Das gesamte Stadion sang seinen Namen, ehrte ihn.
Ähnlich rühmen könnte man Spieler doch auch bei Real. Wenngleich die Uhren dort bekanntlich anders ticken, ist beispielsweise gerade mit Blick auf Raúls Abschiedsspiel erkennbar, dass das Potential allemal vorhanden ist. Es war fraglos ein Gänsehaut-Erlebnis.
Dass Pérez bestritt, auch nur ein Akteur würde den Klub durch die Hintertür verlassen, macht mir fürs Erste wenig Hoffnung auf Besserung. Schade eigentlich, denn das wirft aufgrund der Häufigkeit mittlerweile in erster Linie ein schlechtes Bild auf den Klub, der sich als königlich und ehrenhaft versteht.
Real Madrid verabschiedet seine Legende. Im Gegensatz zur gestrigen Pressekonferenz, nahm Iker Casillas erst mal im Publikum Platz. Denn Präsident Florentino Pérez begrüßte die versammelten Presse-Vertreter (der Raum war maximal gefüllt) und widmete sich seinem langjährigen Kapitän ein letztes Mal.
Pérez: „Iker hat während der 25 Jahre unseren Respekt und unsere Zuneigung gewonnen. Er geht als bester Torwart in der Geschichte Real Madrids und Spaniens. Wir lieben und respektieren Iker und die Tore des Klubs seines Lebens werden ihm immer offen stehen. Iker hat diesen Verein noch größer gemacht, wenngleich es mir gefallen hätte, hätte er seine Karriere hier beendet. Wir vergessen nicht und werden nicht vergessen, dass Iker für immer zum Herzen Real Madrids gehört.“
Der 34-Jährige war gefasst, lange nicht so den Tränen nahe wie bei seinen gestrigen Abschiedsworte. Er dankte Pérez und dem Madridismo, schien fast etwas erleichtert zu sein.
Von Disharmonie nichts zu spüren: Pérez und Casillas herzten sich ein letztes Mal vor den Kameras.
Dann ging es für „San Iker“ raus auf das Spielfeld des Estadio Santiago Bernabéu. Dort waren alle 19 Pokale, die „San Iker“ von 1990 bis 2015 mit den Königlichen errang, aufgebaut.
Welch eine Ansammlung an Trophäen. Davon träumt ein jeder Fußballer.
Geschafft. Von heute an ist der fünfmalige Welttorhüter Spieler des FC Porto.
Anschließend ging es für die Ikone in Richtung Fankurve.
„Adiós, amigos!“ Nun ist Casillas selbst „nur noch“ ein Fan von Real Madrid, ein weiterer Madridista, wie er selbst sagte. Zu der mehr oder weniger spontan angesetzten Verabschiedung im Bernabéu haben es immerhin rund 10.000 Fans geschafft.
Casillas verneigt sich vor den Madridistas.
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