
Erst das 0:4 gegen Barça, jetzt das 0:1 gegen Atlético.
Spätestens nach der Schmach im Derby muss ich leider konstatieren: Die im letzten Mai von mir angekündigte Selbstzerstörung hat sich endgültig bewahrheitet. Real Madrid ist auf nationaler Ebene zu einer Lachnummer verkommen und braucht neben einer enormen Leistungssteigerung auch eine Menge Glück, um so etwas wie einen Hauch von einer Chance auf den Champions-League-Titel zu haben.
Verein hat Ancelotti-Abgang nicht verdaut
Man musste kein Wahrsager sein, um zu prognostizieren, dass der spanische Rekordmeister nach dem unfreiwilligen Abschied des beliebten Carlo Ancelotti im vergangenen Sommer Probleme bekommen würde. Die Spieler befürchteten es, die Fans befürchteten es – eigentlich alle außer der vom Größenwahn benebelte Präsident Florentino Pérez, dem vier Titel binnen zwölf Monaten nicht genug waren.
Kein Wunder, dass die Rufe nach einem Rücktritt des eigenmächtigen Bauunternehmers am Samstag so laut durch das Estadio Santiago Bernabéu hallten wie nie zuvor. Die dritte Liga-Heimpleite gegen Atlético in Folge war die Offenbarung des Scheiterns von Pérez.
#LigaBBVA VIDEO: Desde las gradas del Santiago Bernabéu: “Florentino dimisión”.https://t.co/Php2CO0GSL
— NBC Deportes (@TelemundoSports) 27. Februar 2016
Pérez und Sánchez: Die geballte sportliche Inkompetenz
Der Madridismo will sich nicht länger mit dem ersten Platz der Forbes-Rangliste rühmen, sondern zur Abwechslung auch mal wieder die Spitze der Primera División erklimmen. Dass Real nach der Saison nur eine Meisterschaft in acht Jahren zu Buche stehen wird, ist eine Farce und zeugt von sportlicher Inkompetenz – vor allem wenn man die jährlichen Ausgaben von Spielerverpflichtungen und Gehältern berücksichtigt.
Pérez und sein verlängerter Arm namens José Ángel Sánchez haben aus sportlicher Sicht zuletzt alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.
Zu viele Selbstdarsteller, zu wenig Leader
Neben Ancelotti wurden Legenden wie Iker Casillas, Leistungsträger wie Ángel Di María oder Talente wie Álvaro Morata in den letzten Jahren vergrault und ein Team zusammengestellt, das vielmehr aus Selbstdarstellern als aus Spielern besteht, die sich des Wappens auf ihrer Brust bewusst sind. Spieler, die sich mehr mit dem Schießen von Selfies für ihre Instagram-Accounts oder mit dem Aufnehmen von Werbespots beschäftigen als mit der Situation ihres Arbeitgebers.
Casillas mag zwar nicht mehr der Weltklasse-Torhüter wie vor fünf Jahren gewesen sein, hätte in einer Situation wie dieser aber mal auf den Putz gehauen. Man sollte vielleicht ernsthaft darüber nachdenken, Guti als eine Art Matthias Sammer zu installieren. Wie kann es sein, dass ein ehemaliger Profi dem gehässigen Gerard Piqué antworten muss und die aktuellen nur leere Standard-Parolen von sich geben anstatt „Cojones“ zu zeigen?
Marketing steht an erster Stelle
Pérez ließ bei seiner Kader-Zusammenstellung einmal mehr außer Acht, dass große Namen allein keinen Erfolg garantieren. Javier „Chicharito“ Hernández weinte vor Freude, als er Real mit seinem Tor im letzten Champions-League-Viertelfinale gegen Atlético in die nächste Runde beförderte, stellte aus Marketingsicht aber keine Verstärkung für das Starensemble der Königlichen dar. Deshalb stürmt er jetzt für Bayer Leverkusen – und Real hat keinen adäquaten Ersatz für Karim Benzema, der in dieser Saison schon mehrfach mit Verletzungen zu kämpfen hatte.

So etwas kostet im Titelkampf natürlich auch Punkte – genauso wie die waghalsige Idee, mit einem etatmäßigen Linksverteidiger ein Spieljahr zu bestreiten. Das gibt’s nur in der Kreisliga – oder eben im Abenteuerland von Pérez, in dem offensichtlich nicht einmal ein professionelles Ärzteteam Platz findet. Wie viele Muskelverletzungen hatte Real seit der Ernennung von Dr. Jesús Olmo zum Oberarzt im Jahr 2014? Ich habe aufgehört zu zählen. Barças Muskelverletzungen in diesem Zeitraum kann man dagegen fast an einer Hand abzählen.
Zidane kann die Wende schaffen – mit Zeit und Vertrauen
Da sind auch keine magischen Kniffe von Zinédine Zidane zu erwarten. Jedenfalls nicht von jetzt auf gleich. Wer auf dem Platz Harry Potter war, ist es nicht automatisch auch an der Seitenlinie. Als Trainer ist man bei Real ohnehin am Ärmsten dran. Vielmehr passt das Wort Marionette besser als Trainer. Der Übungsleiter muss sich in erster Linie den Transferplänen der Direktive beugen.
Das war es. Nach gerade einmal 133 Tagen muss Santiago Solari bei Real Madrid seinen Hut nehmen. Entlassen! Ihn hat es nur eine Woche länger als seinen Nachfolger Julen Lopetegui im Klub gehalten. Nur drei von insgesamt zwölf Trainern unter Präsident Florentino Pérez gingen freiwillig. Das Schicksal von Solari teilen demnach viele andere Coaches. REAL TOTAL blickt zurück. Vicente del Bosque (l.) war der erste Coach, den der im Jahre 2000 zum Präsidenten ernannte Pérez feuerte. Bei den Spielern und dem Großteil der Fans beliebt, sorgte die Entscheidung gegen den väterlichen Coach am Ende der Saison 2002/03 für große Empörung. Del Bosque hatte die Anhängerschaft Reals mit zwei Champions-League-Titeln sowie zwei spanische Liga-Trophäen innerhalb von drei Jahren glücklich gemacht. Offenbar zu wenig für Pérez, der sich auch auf der Trainerbank mehr Spektakel erhoffte. Noch während der Meisterfeier 2003 zeigte das Oberhaupt der Blancos dem späteren Weltmeister-Trainer Spaniens die Tür. Als „sehr schmerzhaft“ beschreibt der Spanier den Abgang noch heute. Als Nachfolger für den langjährigen Erfolgsgaranten wechselte Carlos Queiroz (l.) in die spanische Hauptstadt. Der Portugiese hatte zuvor als Co-Trainer unter Sir Alex Ferguson bei Manchester United gearbeitet. Das Projekt begann vielversprechend, doch Queiroz und sein Team verloren in der Rückrunde den Faden und beendeten die Saison schließlich titellos. Die peinliche Niederlage im Pokal-Finale 2004 gegen Real Zaragoza (2:3) besiegelte das Aus des Neulings. Die Saison 2003/04 war erst der Anfang einer langen Durststrecke. Mit José Antonio Camacho (l.) baute Pérez wieder auf einen Übungsleiter aus dem eigenen Hause, doch die Abwehr-Legende verzweifelte rasch an den Egos der Superstars. Nach nur vier Liga-Spieltagen nahm er freiwillig seinen Hut – bis heute das kürzeste Intermezzo. Später übte der Spanier an der Transferpolitik und Kaderzusammenstellung der Merengues Kritik: „Ich war überflüssig. Es existierte schlichtweg keine sportliche Planung, um die Ziele des Präsidenten zu verwirklichen. Es war ein großer Fehler von Herrn Pérez, jedes Jahr einen neuen Megastar zu verpflichten.“ Camachos Assistenzcoach Mariano García Remón sprang daraufhin ein, hielt sich aber nicht länger als sein ehemaliger Vorgesetzter: 101 Tage, 21 Partien. Nach dem Abschluss der Hinrunde, am ersten Weihnachtsfeiertag 2004, war für den einstigen Torhüter der Blancos Schluss. Der im europäischen Fußball bis dato vollkommen unerfahrene Vanderlei Luxemburgo sollte nach den kurzen Intermezzos von Camacho und García Remon den „Feuerwehrmann“ spielen und Reals chaotische Saison 2004/05 retten. Dies gelang ihm nicht, jedoch hielt er sich immerhin elfeinhalb Monate auf der Trainerbank des Estadio Santiago Bernabéu. Nachdem die sportlichen Erfolge ausgeblieben waren und sich nahezu die gesamte Mannschaft, vor allem Luís Figo, mit dem Brasilianer zerstritten hatte, zog Pérez die Reißleine. „Drei Führungsspieler stellten sich gegen Luxemburgo“, gestand Roberto Carlos Jahre später. Inzwischen war der Trainerjob an der Concha Espina nicht mehr begehrt. Pérez blitzte bei einigen Wunschkandidaten ab und griff erneut zu einer Notlösung. Juan Ramón López Caro wurde von der zweiten in die erste Mannschaft befördert und sollte einer weiteren verkorksten Saison eine positive Wende geben. Der frische Wind tat dem „galaktischen“ Starensemble nur kurzzeitig gut. Nach einer 1:2-Niederlage gegen RCD Mallorca im Februar 2006, drei Monate nach der Entlassung Luxemburgos, warf Pérez dann selbst das Handutch. López Caro blieb bis zum Saisonende, musste wegen Erfolglosigkeit aber seine Koffer packen. Etwas mehr als drei Jahre und drei Trainer – Fabio Capello, Bernd Schuster und Juande Ramos – später kehrte Pérez 2009 als Präsident zu den Blancos zurück und ersetzte Ramón Calderón, der den Klub beinahe in den Ruin trieb. Mit Pérez kam Manuel Pellegrini (r.), der beim FC Villarreal Beträchtliches geleistet hatte. Der Chilene sollte mit neuen und teuren Stars wie Cristiano Ronaldo oder Kaká eine neue Ära einleiten… … doch dieses Vorhaben gelang Pellegrini nicht. Im Pokal schied sein Team gegen einen Drittligisten aus (“Alcorconazo”), in der Champions League wurde das “Finale dahoam” schon im Achtelfinale gegen Olympique Lyon verpasst. Nur in der Liga wusste Real unter Pellegrini zu gefallen. 96 Punkte waren wegen des wahrscheinlich besten FC Barcelona aller Zeiten aber zu wenig. „Ich wusste, dass ich das nächste Jahr nicht erleben würde“, erklärte Pellegrini Jahre später. Der für „zu weich“ befundene Pellegrini erhielt folglich auch deshalb eine Kündigung, weil sich mit José Mourinho ein absoluter Wunschtrainer von Pérez dem Champions-League-Rekordsieger anbot. „The Special One“, der Inter Mailand 2010 zum Triple geführt hatte, beendete die jahrelange Durststrecke schon in seiner Debüt-Saison, indem er eine Gruppe von launischen Einzelkönnern zu einer Einheit formte, die ins Halbfinale der Königsklasse vordrang und zudem die Copa del Rey gewann. Unfassbar: Es war Pérez’ erster Titel seit 2003! Mourinho machte Real darüber hinaus in der Saison 2011/12 mit 100 Punkten und 121 Toren zum spanischen Meister. Die Hegemonie Barças schien gebrochen, doch ein Zerwürfnis zwischen Mannschaft und Trainer verhinderten den Beginn einer neuen Erfolgsgeschichte. Als Konsequenz der titellosen Saison 2012/13 kehrte der Portugiese auf eigenen Wunsch zum FC Chelsea zurück. Bis auf Camacho (und später Zinédine Zidane) war er der einzige Trainer, den Pérez nicht feuerte. Das Leben ging auch ohne Mourinho weiter – und wie! Mit Carlo Ancelotti (l.) folgte genau der richtige Trainer, der wieder Ruhe und Besonnenheit in die Mannschaft brachte und an kleinen, aber feinen Schrauben drehte. Der von Paris Saint-Germain verpflichtete Italiener bescherte den Real-Fans vier Titel in einem Kalenderjahr, darunter den zwölf Jahre lang herbeigesehnten Champions-League-Triumph: “La Décima”! Mit seiner fürsorglichen Art gewann „Carletto“ die Herzen der Spieler. Im Jahr nach dem zehnten Europapokal gingen er und sein Team wegen einer indiskutablen Rückrunde jedoch titellos aus. Der Kader war zu klein, das Verletzungspech zu groß. Pérez sah darin keine Ausrede: Er gab Ancelotti einen Laufpass und enttäuschte damit in erster Linie die Mannschaft, die sich demonstrativ für einen Verbleib ihres „Vaters“ eingesetzt hatte. Sicherlich stellte auch diese Tatsache einen Grund dar, weshalb Rafael Benítez von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Seine Zeit bei Real Madrid war nach nur einem halben Jahr vorüber. Und das, obwohl ihn Florentino Pérez zuvor noch als „den besten aller Trainer“ bezeichnet hatte. Der Spanier war unter den Spielern unbeliebt und verlor einen Clásico gegen Barcelona vor heimischer Kulisse mit 0:4. Einen ansehnlichen Fußball sah das Bernabéu unter ihm nicht. Nachdem Zinédine Zidane als Nachfolger von Benítez mit Real stolze neun Titel und unter anderem drei Champions-League-Titel in Folge binnen zweieinhalb Jahren gewonnen hatte, trat er zurück. Es folgte Julen Lopetegui. Von 14 Pflichtspielen bestritt er aber nur sechs erfolgreich. Die Folge: die Kündigung. Nach gerade einmal 126 Tagen wurde er vom Hof gejagt. Das 1:5-Debakel in Barcelona war dem Klub endgültig zu viel, der angesichts des Umbruchs in der Mannschaft lange Geduldsfaden gerissen. All das, obwohl Spieler wie Sergio Ramos, Toni Kroos und Marcelo behauptete, “bis zum Tod” hinter Lopetegui stehen zu wollen. Vergrößern
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Ich hoffe inständig, dass Pérez nach Saisonende nichts Verrücktes macht und an Zidane festhält. Der Franzose verdient eine ehrliche Chance, zumal er im Gegensatz zu Rafael Benítez einen Großteil des Teams an seiner Seite weiß und sich im Verein auskennt. Er möge den Kader in der Sommerpause bitte nach seinen Belieben verändern und ihm eine neue Mentalität einhauchen. Bis dahin kann er, zumindest in der Liga, herumtüfteln und den einen oder anderen Nachwuchskicker wie Borja Mayoral ans Team heranführen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Real braucht auf und neben dem Platz endlich wieder eine sportliche Identität, einen sportlichen Plan. Mit Zidane wäre dieser Neuanfang möglich. Eine Ruine wieder in ein prachtvolles Schloss zu verwandeln, benötigt allerdings Zeit. Die Fans werden viel Geduld aufbringen müssen – vor allem aber der Präsident…
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