
„Bin dank Real der, der ich heute bin“
NEAPEL/MADRID. Nach so vielen Küssen auf das königliche Wappen wird es José Callejón am Mittwoch keineswegs leicht fallen, den Rasen des Estadio Santiago Bernabéu in einem anderen Trikot als dem weißen zu betreten. Für welchen Verein sein Herz mehr schlägt, kann er nicht sagen. Das ist ihm auch nicht wichtig. Als absoluter Vollblutprofi gehen ihn zumindest für 180 Minuten nur die Interessen seines aktuellen Arbeitgebers an – und der heißt nicht Real Madrid, sondern SSC Neapel. „Wir wollen weiterkommen“, so seine Kampfansage im Interview mit der UEFA. Callejón wäre aber nicht Callejón, würde er dieses Champions-League-Achtelfinale als gewöhnliche Herausforderung bezeichnen. Er weiß, dass sich für ihn ein ganz besonderer Kreis schließt: „Real ist meine Heimat und ich habe dem Klub so viel zu verdanken. Er hat mich zu dem Spieler und dem Menschen gemacht, der ich heute bin.“
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Mourinho als Traumerfüller
Im Städtchen Motril im spanischen Süden nahe Granada geboren, kam Callejón im Alter von 15 gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Juanmi nach Madrid. Er durchlief die Jugendteams problemlos, ehe bei der Castilla – wie für so viele vor und nach ihm – Endstation war. Anders als beispielsweise Juanfran, dem heutigen Rechtsverteidiger von Atlético Madrid, begrub er seinen Kindheitstraum von einem Engagement in der Profimannschaft aber nicht. „Caletti“, wie ihn seine Mitspieler in Reals „Talentfabrik“ in Valdebebas schon früh nannten, kämpfte über Umwege weiter. „Mit 21 ging ich zu Espanyol. Ich wollte unbedingt spielen, Erfahrung auf dem Platz machen, so viele Partien bestreiten wie möglich“, erinnert er sich zurück. In Barcelona entwickelte er sich zu einem mehr als passablen Erstliga-Spieler, sorgte aber nicht für Aufsehen und lieferte auch nicht die ganz großen Argumente, um für einen Top-Klub zu spielen. Einem tat er es mit seiner Schnelligkeit und seiner zuverlässigen Gabe, Lücken zu reißen und zu stopfen, aber besonders an. „Nach einem Jahr spielten wir gegen Real und nach Abpfiff kam José Mourinho auf mich zu und fragte, ob ich zu Real zurück will. Ich musste laut lachen, dachte er macht einen Scherz“, berichtet Callejón. Doch Mourinho nahm den Rechtsfuß nicht auf die Schippe. „Einige Monate später riefen sie mich an und ich kehrte zurück. Das hatte ich allein Mourinho zu verdanken.“

Liebe zum Fußball größer als zu Madrid
Callejón entwickelte auf Anhieb ein Verhältnis zum „Special One“, das über eine normale Beziehung zwischen Spieler und Trainer hinausgeht. Er galt schnell als Lieblingsschüler des Portugiesen. In der Rekord-Meistersaison 2011/12 mit 100 Punkten und 121 Toren nahm er eine wichtige Rolle ein. Auch wenn an Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Gonzalo Higuaín, Mesut Özil und Co. in der Startelf kaum ein Vorbeikommen war, konnte sich Mourinho immer blind auf das Arbeitstier aus dem eigenen Nachwuchs (28 Torbeteiligungen in 77 Spielen) verlassen. Wenn die Stars mal nicht funktioniert haben, kam Callejón, von seinem Kindheitstraum angetrieben, und avancierte zum Super-Joker. Mit dem Ende von Mourinho im Sommer 2013 ging aber auch für ihn eine Etappe zu Ende. Er hatte Zweifel, unter dem neuen Trainer Carlo Ancelotti zum Zuge zu kommen und wollte außerdem den Ruf als idealer Einwechselspieler ablegen und sich für die Nationalmannschaft empfehlen. Neben der sportlichen Situation trug auch die durch das Zerwürfnis zwischen Mourinho und Kapitän Iker Casillas hervorgerufene Spaltung der Anhängerschaft zu Callejóns Entschluss bei, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Er verließ Spanien erstmals, für im Nachhinein läppische zehn Millionen Euro, um in einer neuen Liga in einem ruhigeren Umfeld mit besseren Aussichten auf einen Stammplatz seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.
https://www.youtube.com/watch?time_continue=116&v=xN6RhvZCZco
„Meine Liebe zum Fußball war größer als meine Liebe zu Real Madrid“, erklärte er damals nur wenige Wochen nach seinem Wechsel und sprach von der „schwierigsten Entscheidung“, die er in seinem Leben treffen musste. Was auf den ersten Blick nach einem Rückschritt aussah, entpuppte sich für Callejón als Volltreffer. In Neapel, wo ihn zunächst der spätere Real-Coach Rafa Benítez betreute, war er sofort gesetzt. Bis auf die Coppa Italia 2014 holte er zwar keine Titel, wurde aber zu einem besseren Fußballer.
Sportliches und privates Glück in Neapel
55 Treffer und 43 Vorlagen stehen ihm inzwischen für den Traditionsverein zu Buche, von 191 Pflichtspielen hat er in nur zwei gefehlt. Allein in dieser Saison hat er schon 22 Torbeteiligungen geliefert – und darf sich damit hinter dem Belgier Dries Mertens (31 Scorerpunkte) als gefährlichster Offensiv-Mann im Team von Maurizio Sarri bezeichnen.
„Ich bin sehr glücklich hier, vom ersten Tag an“, gibt Callejón zu verstehen. Auch wenn es mit seinem Ziel von einem festen Platz in Spaniens „Selección“ nicht zu klappen scheint, kann sich der am Samstag 30 Jahre alt gewordene Flügelflitzer keinesfalls beklagen. Privat läuft es ebenfalls rund, mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Marta Ponsati hat er mittlerweile zwei Töchter. Auch sie werden mit nach Madrid reisen, um ihm bei seinem Comeback im Bernabéu die Daumen zu drücken. „Es wird sehr emotional werden. Meine Familie und all meine Freunde werden auf der Tribüne sein“, sagt Callejón.
Dabei hofft er – unabhängig von seiner eigenen Leistung – auf einen positiven Ausgang für Neapel. „Wir wachsen hier alle gemeinsam, haben viele junge Spieler, denen eine große Karriere bevorsteht. Wir können nun die nächste Stufe erreichen und einer der besten Klubs in ganz Europa werden“, glaubt Callejón. Dafür würde er vor dem Tor von Keylor Navas wohl auch seine vielen Küsse auf das königliche Wappen ausblenden…
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