
Die „Grada“ wächst – vor allem in deutschsprachigen Ländern
MADRID. „Mi campeón de Chamartín“, „Yo quiero mi cajón pintado blanco entero” und „Y vamos a ganar la Copa”, hallt es regelmäßig durch das Estadio Santiago Bernabéu. Fan-Gesänge, die älteren Madridistas noch nicht so leicht von der Zunge gehen. Denn vieles ist noch immer neu im bald 70 Jahre alten Madrider Fußballtempel. Dabei ist nicht die Rede von den 400 Millionen Euro saftigen Umbauarbeiten, die ohnehin erst im Sommer beginnen, sondern von etwas Innerem, Organischem – von der „Grada“. Real Madrids vor drei Jahren gegründeter, aber irgendwie immer noch „neuer“ Fan-Block im Bernabéu. Anfangs „Grada joven“, also „junge Treppe“ getauft, ist die „Grada de Animación“ – keine Übersetzung notwendig – inzwischen das Stimmungsorgan im Bernabéu. Und die „Grada“ wächst. Nicht nur bei der Anzahl an „modernen“ Liedern, an die sich jahrezehntelange Dauerkartenbesitzer noch gewöhnen müssen, sondern auch an Mitgliedern. Auch international. In deutschsprachigen Gebieten.
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„Wir sind die Deutschen in der ‚Grada‘“
REAL TOTAL sprach mit der ersten internationalen Sektion der Fan-Gruppierung „Grada Fans RMCF“. Wie soll es auch anders sein, kommt der erste internationale Ableger aus Deutschland: die Fans RMCF Alemania/Austria. „Wir sind die Deutschen in der ‚Grada‘“, berichtet Andreas Leoniw, besser bekannt als Leo, stolz. Er verfolgt den Verein seit über 18 Jahren und traf im letzten Jahr bei einer seiner Reisen nach Spaniens Hauptstadt auf Verantwortliche der „Grada“. Wenige Monate später war der deutsche Ableger gegründet. Am 10. März feiert der Hamburger mit seinen inzwischen 100 Mitgliedern sogar einjähriges Bestehen. Häuptling Leo: „Ich führe die Sektion mit drei guten Freunden und wir wachsen weiter stetig an. Jedoch gehen wir nicht auf Quantität, sondern auf Qualität. Wir wollen nur Vollblut-Madridistas bei uns haben und keine Fußball-Touristen. Solche, die sich hinsetzen und die Gesänge lernen und sich im Stadion die Seele aus dem Leib schreien.“ Und das tut die „Grada“ auch: Spiel um Spiel, 90 Minuten Dauerbeschallung. Alles in Weiß – kein buntes oder schwarzes Mosaik.

„Ultras schadeten Vereins-Image, ‚Grada‘ ist ein Klub-Projekt“
All das war nicht immer so – als der Klub Ende 2013 begann, die „Grada“ zu implementieren, ersetzte diese die Ultras Sur, welche durch Einzelpersonen und deren politische Orientierung mehr und mehr ins Kreuzfeuer gerieten. Bis es Pérez und Co. reichte und Madrids Direktive „endlich“ ein lang ersehntes Ziel umsetzte: eine Fan-Gruppe, die dem Klub untersteht, nicht mehr unabhängig ist (und nebenbei auf die „wertvollen“ Plätze direkt hinter dem Tor verzichtet und unters Dach zieht – wobei sich das bald wieder ändern könnte) und sich auch dem Willen von Liga-Präsident Javier Tebas beugt, indem sie keine Schmähgesänge anstimmt. Leo und seine Kollegen sehen darin kein Problem. Im Gegenteil: Es sei das Beste, was dem Verein passieren konnte, weil „in einer Fanszene der Verein im Vordergrund stehen sollte und nicht die Politik.“ Dies sei „bei der ‚Grada‘ der Fall. Wir unterstützen den Verein in jeder Phase des Spiels. Die US haben Tradition, passen aber schlichtweg nicht zu den Werten des besten Vereins der Welt. Man muss bei solchen Dimensionen auch immer an das Image denken und diesem haben die US geschadet – auch wenn sie für Stimmung gesorgt haben.“ Ja, der Verein hat die Kontrolle über diesen Zusammenschluss aus vier verschiedenen Peñas: Primavera Blanca, La Clásica, Peña Veteranos und North Fans RMCF (welche vor kurzem Orgullo Vikingo ersetzten). Wer den Vorgaben des Klubs (sei es Kleidung oder Verhaltensrichtlinien) nicht nachkommt oder gar polizeibekannt ist, bekommt Schwierigkeiten.
Unter „Socios“ immer noch nicht akzeptiert
Ablehnung von Gewalt und Diskriminierung, keine politische Meinungsmache und Respekt vor anderen sind einige der Grundsätze. Für Leoniw kann „dieses Projekt von Real Madrid“ sogar als „ein Vorbild für andere Vereine in Europa gelten“. Klingt eigentlich unspektakulär selbstverständlich, war es jedoch in den letzten Jahren nicht immer, auch wenn speziell eine Institution wie die 800 Mitglieder großen Ultras Sur für das Fehlverhalten Einzelner bestraft wurde – mittlerweile versucht der Klub sie selbst aus dem (dadurch auch spärlicher besuchten) Estadio Alfredo Di Stéfano der Castilla fernzuhalten. Unabhängig der US-Thematik scheint die „Grada“, welche inzwischen 1.600 Mitglieder aller Altersklassen vereint, innerhalb des Madridismo noch nicht angenommen. Wohlgemerkt sei an dieser Stelle, dass der Verein seinen rund 97.000 „Socios“, also stimmberechtigten Mitgliedern gehört – keinen Aktionären, Scheichs oder sonstigen Investoren. Und eben jene Madridistas wollen die „Grada“ auch drei Jahre nach ihrer Gründung noch nicht akzeptieren. „Das Ganze braucht Zeit“, denkt Leoniw und erklärt weiter, dass „es doch oft so ist, dass sich Dinge, die neu sind, zunächst erst einmal bewähren müssen. Die ‚Grada de Animación‘ ist ein Projekt von Real Madrid und ich denke es ist eine Frage der Zeit bis auch die älteren Peñas verstehen, dass wir auf derselben Seite stehen, wie sie selbst“.
Von manchen gar als „Schoßhündchen“ des Klubs bezeichnet, muss man dennoch feststellen: Die „Grada“ leistet durchaus gute Arbeit – nicht nur durch ihren 90-minütigen Support, in dem sich neue mit traditionellen Liedern mischen, sondern inzwischen auch durch ihre Choreos. Standen die US über vier Jahrzehnte für spektakuläre Choreografien (diverse Beispiele), in denen bei Derbys oder Champions-League-Schlachten das gesamte Stadion pulsierte, können sich die nach einigen Startschwierigkeiten (einige Beispiele) Vorbereitungen der „Grada“ inzwischen auch mehr als sehen. Für Leoniw stehen „die ‚Grada Fans RMCF‘ den US da in nichts nach“ und er erinnerte an Aktionen wie gegen Juve, ManCity oder zuletzt gegen Neapel (bei welcher der Deutsche selbst mit half und bei den Arbeiten Dank durch Kapitän Sergio Ramos erhielt). „Wenn wir so weitermachen, werden auch die älteren Peñas und das ältere Publikum einsehen, dass wir eigentlich ganz cool sind“, grinste er.
Madridistas aus Deutschland und Österreich gesucht
Warum auch nicht? Leoniw und seine spanischen, überraschend jungen Freunde kommen mehr als offenherzig rüber. Vor jedem Heimspiel treffen sich einige der 1.400 Zuschauer, die oben in den „Grada“-Block passen, in einem Park gegenüber dem Bernabéu. An den vielen Dosen auf dem Boden kann sich jeder bedienen, bei den vielen Gesängen jeder einstimmen. Kaum ans Gemeckere grenzenden Diskussionen über Entscheidungen der Vereinsdirektive, wie man es unter „Socios“ oft mitbekommt – nicht immer jedoch ungerechtfertigt. Dass Präsident Florentino Pérez „diktatorisch-undemokratisch“ über die stimmberechtigten Socios gerne mal hinweg entscheidet, wie beispielsweise beim Stadion-Umbau, scheint hier keinen zu interessieren. „Wir identifizieren uns zu 100 Prozent mit dem Verein“, bestätigt der Hamburger. Ist das naiv-romantisch oder einfach treue Dankbarkeit? Stichwort „Schoßhund“. Es heißt: Die „Grada“ mache, was der Klub will, und bekommt dafür alles – hört man es aus tiefen Kreisen der „traditionellen“ Fan-Szene. Die angeblich großzügigen Unterstützungen bei Auswärtsfahrten (während andere, ältere Peñas für Umkosten selbst aufkommen müssen, so auch die US) konnte Leoniw zwar nicht bestätigen, immerhin hat seine deutsch-österreichische Sektion viele Reisen nach Dortmund, Wolfsburg oder Mailand selbst finanziert, doch gibt es ganz andere Vorteile, um Mitglied einer der vier „Grada-Peñas“ und damit der „Grada Fans RMCF“ zu werden. „Wir sind eine Anlaufstelle für Vollblut-Madridistas in ganz Deutschland und Österreich. Als Teil des Fanklubs Primavera Blanca genießen wir das Privileg, Zutritt auf die ‚Grada‘-Tribüne im Bernabéu zu haben. Allen, die Lust darauf haben mit Gleichgesinnten auf der ‚Grada‘ zu singen und im stimmungsvollen Bereich des Bernabéu zu sein, sollten sich bei uns melden. Über uns ist es möglich, dort zu stehen und einfach mal 90 Minuten lang völlig durchzudrehen“, schwärmt Leoniw.
Der Missionar aus Hamburg
2004 war er erstmals im Bernabéu, Madrid bezwang Kiew mit 1:0 und damals konnte der Hamburger nur davon träumen, nicht neben „Pipas“ (Sonnenblumenkerne) futternden Zuschauern zu sitzen, sondern neben Gleichgesinnten zu stehen und singen. Die 100-Mitglieder-Grenze hat sein deutsch-österreichischer Ableger inzwischen erreicht, und noch viel ist geplant: „Nach unserem eigenen Banner, das auch schon im Bernabéu hang, gibt es endlich eigene Shirts, Schals und Sticker unserer Sektion.“ Bei einem unserer Treffen überreichte er einen Stapel Aufkleber, die zwar noch etwas klein ausfallen, aber irgendwie genau deswegen für die „Grada“ stehen – mit Platz für Wachstum. Dass die „Fans RMCF Alemania/Austria“ jedoch kein eigener Fanklub seien, wie beispielsweise die Peña aus München, ist kein Hindernis für viele königliche Erlebnisse: „Durch uns kommt man auf die sogenannte ‚Lista de Cesiones‘, mit der man sich für jedes Heim- und Auswärtsspiel anmelden kann.“ Bei „98 Prozent der Spiele“ soll das problemlos klappen. Nur „bei Spielen gegen Barça, Atlético oder einem CL-Halbfinale ist es natürlich schwierig, da die Nachfrage sehr groß ist.“ Für Leoniw und seine Truppe jedoch ein „real“ gewordener Traum.

Nachdem wir ihn schon im Januar gegen Málaga trafen, war er auch zuletzt gegen Neapel und Espanyol im Bernabéu mit von der Partie. Immer mit anderen Mitgliedern seiner Sektion. Den Hamburger könnte man fast als Missionar bezeichnen, hat er neben vielen Freunden selbst schon seinen Vater mit dem Madridismo infiziert und ihn zu „Nachtdurchmachungen“ in Spaniens Hauptstadt genötigt.
Seit ihrer Gründung waren die Deutschen und Österreicher schon oft dabei – ob in Madrid oder in Wolfsburg, gegen Manchester City, in Dortmund, gegen Legia Warschau oder oder oder. Neben mehr und mehr eigenen Fanartikeln, wollen sie viele gemeinsame Reisen nach Madrid oder zu Auswärtsspielen in der Königsklasse planen, genauso wie Mitgliedertreffen in Deutschland oder Österreich. „In Madrid ist man sehr stolz“ auf die erste internationale Sektion der „Grada“. So wurde dank Leoniw auch schon die zweite Sektion gegründet: Luxemburg – REAL TOTAL berichtete.

Real hat die Tür für Fans geöffnet
Sind „normale“ Peñas aufgrund ihrer Regionalität begrenzt und stellt sich das Gründen eines offiziellen Fanklubs ohnehin komplizierter dar als Ämterbesuche im deutschen Bürokratie-Djungel, scheint es für die „Grada“-Sektionen keine Grenzen zu geben (noch eine Sache, die langjährigen Madridistas wenig schmeckt) – Real Madrid hat jungen, internationalen Madridistas seine Türen geöffnet. Da dürfte neben Grundsätzen wie Ablehnung von Gewalt und politischer Meinungsmache, das Einstudieren der Fan-Gesänge für manche Fans aus Deutschland und Österreich schon eine größere Hürde darstellen. Doch auch das gehört dazu: „Wir wollen nur Vollblut-Madridistas bei uns, welche die Gesänge der ‚Grada‘, die absolut nicht schwierig sind, lernen. Man sollte den Verein im Herzen tragen und diesen immer mit Stolz vertreten“, so Leoniws persönliche Erwartungshaltung an seine auf zwei Länder verteilten Mitglieder. Und eines noch fernen Tages gehen „Mi campeón de Chamartín“ und „Yo quiero mi cajón pintado blanco entero” vielleicht auch nicht mehr aus den Ohren der „älteren“ Fans, seien es die verhassten „Pipas“-Mampfer oder altgediente und sich vom Klub hintergangen fühlende „Socios“.
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