
Komplimente aus München
MADRID. Am 16. August 2016 präsentierte Florentino Pérez mal wieder in königlicher Manier auf dem Ehrenbalkon des Estadio Santiago Bernabéu eine neue Errungenschaften. Auf der Bühne stand Marco Asensio, sichtlich gerührt und bewegt hielt der damals 19-Jährige das weiße Jersey mit der Nummer 20 in der Hand. Später flossen sogar ein paar Tränen über die Wangen des jungen Spaniers. Das Gesicht von Pérez hingegen strotzte nur so vor Stolz und Genugtuung. Im Wissen, was für ein genialer Transfercoup seinem Real Madrid gelungen ist.
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Fernab jeglichen Inszenierungszwangs sitzt ein elegant gekleideter und sehr kultiviert wirkender Mann im Hintergrund und begutachtet das Geschehen ebenfalls mit großer Genugtuung. Sein Name lautet José Ángel Sánchez. Der 51 Jahre alte Spanier ist seit Pérez’ zweiter Amtszeit 2009 als Generaldirektor der Blancos der Hauptverantwortliche für die strategische und sportliche Ausrichtung des spanischen Rekordmeisters. Auch in der Personalie Asensio war Sánchez bereits früh mit dem Spieler und seinen engsten Vertrauten in Kontakt, überzeugte ihn schlussendlich von der Perspektive und der neuen Strategie des Vereins in junge spanische Spieler zu investieren und sicherte sich die Dienste des Offensivallrounders schlussendlich für 3,5 Millionen Euro. In Worten: Drei Komma fünf Millionen! Eine Summe, in Zeiten des Transferwahnsinnns, die derart absurd wirkt, dass selbst Michael Reschke, zu seiner Zeit Technischer Direktor beim FC Bayern, sich dazu veranlasst fühlte, José Ángel eine SMS zukommen zu lassen: „Felicitaciones“, Glückwunsch, war der kurze, aber einzig zutreffende Inhalt der Nachricht.
Philosoph im Haifischbecken
Diese kleine Anekdote rund um den Asensio-Transfer offenbart dabei nicht nur Sánchez’ strategisches Talent. Es beweist ebenfalls, dass diesem Mann überall in Europa mit großem Respekt und Wertschätzung begegnet wird. Weil er eben genau diese Werte vorlebt. Fragt man Wegbegleiter und die wenigen Journalisten, die von ihm mal ein Statement erhielten, so hört man stets die gleichen Adjektive: bescheiden, gebildet, visionär, respektvoll. „Seine Kombination aus starker Persönlichkeit, einnehmender, sympathischer Ausstrahlung und großem Intellekt haben mich immer beeindruckt“, formulierte es Reschke gegenüber Spox. Als „Visionär“ bezeichnet ihn auch Stefan Kohfahl, der Sánchez einst das Konzept zu Real Madrids Fußballschule präsentierte und nun umsetzte: „Für mich eine der beeindruckendsten Persönlichkeiten, die ich je kennenlernte.“
Sánchez scheut – bewusst und ganz im Gegensatz zu seinem Boss Pérez und dem Selbstbild seines Arbeitgebers – das große Rampenlicht. Auf Pressekonferenzen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen fängt ihn zumeist keine Kamera ein. In seinen 17 Jahren bei Real Madrid hat er kaum Interviews gegeben. Kaum zu glauben, aber selbst Wikipedia führt den gemeinsam mit Pérez Mächtigsten bei Real nicht in seiner schier endlosen Enzyklopädie auf. Der in Segovia geborene Sánchez war weder Fußballprofi, noch hat er den akademischen Werdegang im Sportbusiness eingeschlagen oder angestrebt. Nach seinem Philosophiestudium verschlägt es ihn zunächst zum japanischen Computerspiele-Entwickler SEGA (1995 bis 2000). Innerhalb kürzester Zeit wird er zum Südeuropa-Chef und transformierte seine Einheit zu einer wahren „Cash Cow“, der profitabelsten Abteilung des gesamten Konzerns. Pérez nutzte zu Beginn seiner ersten Amtszeit seine zahlreichen Verbindungen in Spaniens Wirtschaft und wurde schnell auf den damals 34 Jahre alten Sánchez aufmerksam. Reals neuer Marketingdirektor war gefunden!
Wiederbelebung des Mythos
Unter der Federführung von Pérez und seinem Business-Genie im Backoffice gelingt dem Verein die Wiederbelebung des Mythos Real Madrid. Der Geist und die Magie des weißen Balletts um Alfredo Di Stéfano sollte zurück ins Bernabéu geholt werden. Das Prinzip war so einfach, wie nachvollziehbar: Medienwirksame Stars locken die Menschen ins Stadion und vor die Fernseher, spielen erfolgreicheren Fußball und ziehen damit wiederum neue Sponsoren und TV-Verträge an Land, die den teuren Luxus auf lange Sicht refinanzieren. „David Beckham brachte uns im Marketing- und Merchandising-Bereich 600 Millionen Euro ein“, gab Sánchez einst in einer seiner wenigen öffentlichen Äußerungen von sich. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte und als erster Klub in LaLiga verpasste Sánchez seinem Klub eine echte Marketingstrategie und einen Internationalisierungsplan. Man sicherte sich die Bildrechte seiner Luxus-Spieler, entwickelte Mitgliedschaftsmöglichkeiten für weltweite Fans und baute die vereinseigene Internetpräsenz unter anderem hinsichtlich Mehrsprachigkeit aus.
Ohne Sánchez keine Umsatzrekorde – und kein Zidane
Die im Jahre 2001 sehr kühn formulierte Vision, den spanischen Rekordmeister zur reichsten und profitabelsten Marke im Sportbusiness zu formen, wirkt im Jahr 2017 längst nicht mehr vermessen. Elf Jahre am Stück führte man die „Deloitte Football Money League“ als umsatzstärkster Fußballverein der Welt an, ehe man im vergangenen Jahr von Manchester United auf den zweiten Rang verdrängt wurde. In sämtlichen Erhebungen, die den Wert eines Sportunternehmens bemessen findet man die Königlichen aus Madrid unter den bestplatzierten Sportklubs weltweit. Die Nettoverschuldung wurde unter der Führung von Pérez und Sánchez von ursprünglich 255 Millionen Euro (2009) vor einem Jahr egalisiert. Der Klub steht heute praktisch ohne Verbindlichkeiten da, stellt man den Schulden die klubeigenen Vermögenswerte gegenüber. „Ohne ihn hätten wir uns niemals einen so teuren Einkauf wie Zinédine Zidane leisten können“, hieß es schon 2001 vom damaligen Geschäftsführer Jorge Valdano.

Wachstum trotz Erfolgslosigkeit
Sánchez hat es als Erster in Spaniens Eliteliga verstanden, einen Fußballverein in ein gewinnorientiertes Unternehmen umzuwandeln. „In Spanien hat Fußball vor allem mit grenzenloser Leidenschaft zu tun und weniger mit Verstand“, sagte er zu Beginn seiner Amtseinführung. Trotz des international ausbleibenden Erfolgs – insbesondere in den Jahren 2003 bis 2009, als die Königlichen nicht über das Champions League-Achtelfinale hinaus kamen – machte der Spanier Real Madrid zu dem was es heute wieder ist: Die schillerndste und anziehendste Marke im Fußballgeschäft. Eine Entwicklung, die allen vorher bekannten Gesetzen des Marktes widersprach: Wirtschaftlicher Wachstum, obwohl der sportliche Erfolg mehr oder weniger stagnierte. Das Logo und den Verein zu einer globalen Marke zu machen, die jeder Mensch auf dem Erdball sofort erkennt und wertschätzt – nach dem Vorbild von Walt Disney. Der Vergleich mit dem Unterhaltungsgiganten wird vor allem zu Anfang von Sánchez gerne gezogen. Den Fußball als Teil der Unterhaltungsindustrie zu verstehen. Die Emotionen der Fans anzusprechen, sie mit ihren Träumen zu konfrontieren. Heutzutage gelebte Praxis, vor 16 Jahren ein Meilenstein in der Branche.
Sánchez’ Schüler: Raúl González
Aber auch das kongeniale Führungsduo um Pérez und Sánchez erkannte mit wachsender Unzufriedenheit der eigenen Fans die Notwendigkeit des sportlichen Ertrags. „Man muss verstehen, was die Fans fühlen, denn man kann keinen Verein führen, ohne die emotionale Seite zu verstehen“, sagt der selbst „seit 1996“ bekennende Madridista. Also setzte man nach den durchaus erfolgreichen Mourinho-Jahren (2010 bis 2013), der das königliche Starensemble zurück in Europas Spitze führte, in Carlo Ancelotti, Rafael Benítez und nun Zinédine Zidane in der jüngsten Vergangenheit eher auf besonnene Moderatoren, die auch mit der aggressiven Medienlandschaft in Madrid besser umzugehen wissen, als der portugiesische Exzentriker. Auch in Sachen Transfers hielt man sich nach der Mourinho-Ära im Vergleich zu vielen anderen europäischen Konkurrenten spürbar zurück.
So landeten die Königlichen in den vergangenen Jahren einige Transfercoups: Man denke dabei an die Namen Toni Kroos, Carlos Casemiro oder Raphaël Varane, die allesamt das Gerüst der aktuellen Real-Mannschaft bilden. Dazu setzte man in den letzten Jahren vermehrt auf die Dienste von Eigengewächsen wie Dani Carvajal oder Nacho Fernández. Selbst in puncto Transfereinnahmen und Ausgaben hat offensichtlich ein Umdenken stattgefunden. Die Führungsriege plant nun nachhaltiger und langfristiger, verkauft nur zu überdurchschnittlichen Preisen und wirkt insgesamt durchdachter und langfristig orientierter als noch vor ein paar Jahren. Dies beweisen unter anderem die Verpflichtungen von Dani Ceballos, Mateo Kovačić oder auch das Vertrauen in Eigengewächse wie Marcos Llorente. Auch wenn sich diese in der aktuellen Phase der Saison noch nicht bezahlt machen – der studierte Philosoph Sánchez denkt langfristig und in Visionen. Und denkt auch an eine Zeit nach ihm, so lerhte zwischenzeitlich kein geringerer als Raúl González von ihm.

Der Madridismo darf gespannt sein, an welchem Real Madrid der Querdenker bereits heute bastelt. Im besten Fall steht dem Klub erneut eine Revolution bevor. Und noch viele Spielerpräsentationen, bei denen nicht der Neuzugang oder Pérez am breitesten grinsen.
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