
MADRID. Emotionale Aufholjagden galten eigentlich immer als die große Spezialität Real Madrids. Von Sturm-und-Drang-Fußball ab Minute 70 fehlt im Estadio Santiago Bernabéu in dieser Saison aber jede Spur. Stattdessen bekommen die Fans nur noch wirkloses Ballgeschiebe zu sehen. Wie wirklos, das offenbart die Statistik. Real stünde mit acht Punkten mehr als aktuell unangefochten an der Tabellenspitze der spanischen Liga, wenn alle Spiele nach 45 Minuten abgepfiffen worden wären. Sieben (!) Dreier wurden nach dem Seitenwechsel verspielt. Der FC Barcelona hätte in diesem Fall nur 36 statt 51 Zähler errungen.
Auf der anderen Seite würden sich die Blancos nicht einmal unter den ersten Zehn befinden, sondern nur fünf Zähler vor dem ersten Abstiegsplatz stehen, wenn sie ausschließlich die zweiten Halbzeiten bestritten hätten.
Warum geht es für die Mannschaft von Zinédine Zidane nach dem Pausentee so sehr bergab? REAL TOTAL betreibt Ursachenforschung:
– Schlechte Physis
Je länger ein Spiel dauert, desto schwerer werden die Beine. Auch wenn Real mit Antonio Pintus einen der besten und anspruchsvollsten Fitnesstrainer Europas in seinen Reihen verfügt, deuten die schwachen Leistungen nach dem Seitenwechsel in erster Linie auf eine schlechte physische Verfassung des Teams hin. Die Tor-Statistik untermauert diese Annahme. Denn im Schnitt treffen Cristiano Ronaldo und Co. im zweiten Durchgang nur alle 90 Minuten, während im ersten dagegen alle 35 Minuten ein Tor fällt. Und wer nun einmal körperlich erschöpft ist, lässt häufig die letzte Konzentration und Konsequenz im Abschluss vermissen. Die Madrilenen haben die hohe Belastung in der Hinrunde mit den beiden Supercups und der Klub-Weltmeisterschaft zweifelsohne teuer bezahlt.
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– Keine Joker
Real tanzte zwar auch in der vergangenen Saison schon auf mehreren Hochzeiten, allerdings standen Trainer Zidane damals viel bessere Alternativen zur Verfügung. Die Abgänge von Álvaro Morata, James Rodríguez, Pepe und selbst Danilo taten mehr weh als gedacht und konnten bisher nicht ansatzweise von den jungen Wilden aufgefangen werden. Zidane erschöpft in wichtigen Spielen meist nicht einmal sein Wechselkontingent, was auf mangelndes Vertrauen in den Rest des Kaders hindeutet. Das erste neu verpflichtete Talent – Dani Ceballos – liebäugelt deshalb schon mit einer Blitz-Rückkehr zu Betis Sevilla. Hatte Zidane 2016/17 noch fast zwei Mannschaften, welche er nahezu beliebig rotieren konnte, zählen 2017/18 eigentlich nur zwei, drei Akteure zu seinem erweiterten Stamm.
– Falsche Einstellung
Hochmut kommt vor dem Fall. Ein Ansatz für die schwachen Leistungen nach der Pause könnte auch die zu Überheblichkeit neigende Einstellung des einen oder anderen Spielers sein. „Wir sind Real Madrid, am Ende gewinnen wir doch irgendwie eh“, wird sich so mancher zuletzt gedacht haben. Neuzugang Jesús Vallejo monierte nach dem 2:2 gegen CD Numancia nicht grundlos, die Mannschaft spiele viele Situationen einfach schlecht zu Ende. Nach acht Titeln in zwei Jahren fällt es den Merengues schwer, 90 Minuten lang erfolgshungrig zu sein und auch einmal kompromisslos den Deckel auf ein Spiel zu setzen. Die Worte von Zidane in der Kabine, der sich mehr als Spielerkumpel gibt und auf Wutreden verzichtet, scheinen nicht mehr richtig anzukommen.
FAZIT: Letztlich tragen sicher alle genannten Faktoren – der eine mehr, der andere weniger – zu dem Leistungsabfall bei. Klar ist: 45 ordentliche Minuten reichen Real nicht mehr, um auf nationalem Boden zu bestehen. Nicht einmal gegen einen Aufsteiger wie den FC Girona. „Hasta el final, vamos Real“, muss wieder das Motto der Mannschaft lauten. Sonst droht garantiert auch in der Champions League gegen Paris Saint-Germain (14. Februar, 6. März) das böse Erwachen.
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