
Juves wichtigster Mann
TURIN. Die Sommerpause 2017 bei Juventus Turin, sie war eine äußerst stürmische. Die 1:4-Pleite im Champions-League-Finale gegen Real Madrid (die zweite Final-Niederlage binnen drei Jahren) machte den „Bianconeri“ sichtlich zu schaffen. Das Selbstverständnis des italienischen Rekordmeisters, des ewigen Champions in Italien, es war merklich angekratzt. Als sich nach internen Querelen mit Leonardo Bonucci auch noch der Kopf des Teams Richtung AC Mailand verabschiedete und mit Dani Alves (Paris Saint-Germain) ein weiterer Leistungsträger absprang, wurden in Italien bereits die ersten Untergangsszenarien für die „alte Dame“ heraufbeschworen. Die verloren gegangene Qualität könnten auch die Millionentransfers von Douglas Costa (46 Millionen Euro) oder Federico Bernardeschi (40 Millionen Euro) nicht auffangen, so die einhelligen Prognosen. Juventus würde es schwer haben, seinen Status der letzten Jahre als Top-5-Team in Europa aufrecht zu erhalten.
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Allegris beeindruckende Zahlen
Alleine Allegris Zahlen bei Juventus sind beeindruckend: Seitdem der 50-Jährige 2014 seinen Dienst bei der „alten Dame“ antrat, holte man dreimal in Folge das Double aus Meisterschaft und Pokal, 2015 gewann man zudem den italienischen Supercup. 2015 und 2017 zog Juve in das Finale der Königsklasse ein, 2016 scheiterte man in einem denkwürdigen Achtelfinale äußerst unglücklich am FC Bayern (2:2 und 2:4 nach Verlängerung). Allegris Siegquote liegt bei über 70 Prozent. Und auch in dieser Saison befindet man sich mittlerweile erneut auf Kurs Meisterschaft, obwohl Konkurrent Neapel eine der besten Spielzeiten der Vereinsgeschichte abliefert. Allegri hat Juventus zu einer wahren Ergebnismaschine geformt, die die Konkurrenz reihenweise zur Verzweiflung treibt. Dass der Anteil des Italieners an diesen Erfolgen enorm ist, steht außer Frage. Doch was macht den Trainer Allegri eigentlich so besonders?
Bombenfeste Defensive, maximale Variabilität
Ganz in der italienischen Tradition sind Teams des Mannes aus Livorno defensiv hervorragend organisiert. Der 50-Jährige ist dabei jedoch keineswegs ein rein defensiv denkender Dogmatiker, dessen primäres Ziel lautet „die Null muss stehen“. Im Gegenteil, Allegri besteht darauf, seinen Spielern offensive und kreative Freiheiten zu gewähren, sie sind für ihn essentieller Bestandteil des Fußballs. Aber gegen den Ball geht es nun mal nicht ohne die entsprechende Organisation. Auch hier zeigt sich Juventus extrem flexibel, agiert je nach Gegner aus verschiedenen Grundordnungen: 3-5-2, 4-2-3-1 oder 4-3-3 – Allegri passt je nach Personal und Kontrahent seine Taktik und Formation an. Die Verschiebebewegungen und Raumaufteilung des italienischen Rekordmeisters wirken dabei stets extrem harmonisch und sind perfekt aufeinander abgestimmt. Jeder Spieler – egal ob Abwehrmann oder Stürmer – weiß stets ganz genau, was er zu tun hat. Die fast schon pedantische Arbeit Allegris, die ihm im taktischen Bereich nachgesagt wird, spiegelt sich auch eindrucksvoll in den Zahlen wider: In 43 Pflichtspielen in dieser Saison spielten die „Bianconeri“ ganze 27-mal zu Null. In der Liga blieb man zuletzt zehn Partien in Folge ohne Gegentreffer.

Der Spielerversteher
Was Allegri dabei besonders auszeichnet und ihn womöglich von einer Vielzahl seiner Trainerkollegen unterscheidet, ist seine besondere Fähigkeit, einzelne Spieler so einzusetzen, dass ihre Stärken am besten zur Geltung kommen. Nicht das System steht an erster Stelle, sondern die Akteure. Sobald ein Spieler wegbricht, findet Allegri einen Weg, diesen durch entsprechende mannschaftstaktische Anpassungen oder gezielte Transfers zu ersetzen. Im Gegensatz zu Vorgänger Antonio Conte, der immer wieder Juves geringe finanzielle Möglichkeiten im Vergleich zur absoluten europäischen Spitze anprangerte, arbeitet „Max“ mit dem Material, das er hat – oder findet durch auf den ersten Blick unkonventionelle Transfers einen Weg, den Abgang vermeintlicher unersetzbarer Top-Stars zu kompensieren. Durch seine angenehme, ruhige Art findet Allegri guten Zugang zu den Spielern, bringt so auch vermeintliche Problemkinder wie Ex-Bayern-Akteur Douglas Costa dazu, sich in der Defensivarbeit entsprechend einzubringen. Juventus ist auch deshalb so schwer zu schlagen, weil die Mannschaft als perfekt aufeinander abgestimmte Einheit funktioniert, in der viele Rädchen nahtlos ineinander greifen.
Wechselkönig und Taktikfuchs
Worin der ehemalige Mittelfeldspieler jedoch ein absoluter Meister ist, ist einem Spiel durch entsprechende Einwechslungen oder taktische Änderungen im Laufe der Partie eine entscheidende Wendung zu geben. Eine Kostprobe seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten, ein Spiel zu lesen und durch entsprechende Justierungen sogar einen kompletten Spielverlauf auf den Kopf zustellen, lieferte der 50-Jährige just im Achtelfinal-Rückspiel der Königsklasse gegen Tottenham, als Juventus binnen vier Minuten eine Partie, in der man eigentlich deutlich unterlegen schien, zu seinen Gunsten drehte. Durch eine Systemumstellung von 3-5-2 auf 4-4-1-1 sowie marginalen Anpassungen in der offensiven Raumaufteilung überrumpelten Dybala und Co. völlig konsternierte „Spurs“, die eine Zeit lang völlig von der Rolle wirkten und überhaupt keinen Zugriff mehr fanden. In diesem Zeitraum erzielte Juventus zwei Tore, die letztlich das Weiterkommen sichern sollten.

Dass Allegri auf diese Weise ein Spiel dreht, ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. In Italien genießt er nicht umsonst einen Ruf als Wechselkönig (Juve erzielte in dieser Spielzeit bereits zehn Jokertore) und Meister des In-Game-Coachings. Insbesondere wenn die „alte Dame“ bereits am Boden zu liegen scheint, schlägt sie in dieser Saison eiskalt zu – weil Allegri es schafft, durch feine Anpassungen die komplette Dynamik eines Spiels auf den Kopf zu stellen. Bei Real ist man auf jeden Fall gewarnt und weiß um die außergewöhnlichen Coaching-Qualitäten des Übungsleiters aus Livorno.
Zidanes große Herausforderung
Die Aufeinandertreffen in Turin (3. April) und Madrid (11. April) werden letzten Endes natürlich auch ein Kräftemessen zwischen Zidane und Allegri sein. Und auch wenn „Zizou“ das letzte Duell im Finale von Cardiff gemeinsam mit seinem Team deutlich für sich entschied, sind die Vorzeichen diesmal andere. Durch die Konstellation mit Hin- und Rückspiel ist die Ausgangslage eine völlig andere. Vermutlich dürfte sich die Aufgabe insgesamt sogar erheblich schwieriger gestalten als das Finale. Gegen Paris demonstrierte Zidane eindrucksvoll, dass er mehr ist, als nur der „gute Kumpel“ der Stars, als der er gerne beschrieben wird. Nun wartet mit Allegri die nächste große Herausforderung. Fest steht auf jeden Fall: Das Viertelfinale zwischen den beiden europäischen Großmächten wird auch aus taktischer Hinsicht enorm spannend. Spielmeister Allegri hat dafür bestimmt auch schon einen Plan.
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