Historie

„El Macca“, Englands erfolgreichster Export

Wem er im Champions-League-Finale 2018 wohl die Daumen drückte? Steve McManaman spielte zwischen 1990 und 2003 für den FC Liverpool und für Real Madrid. All das in der Rolle des Popstars und der des Teamplayers, geliebt und unerwünscht, mit schlechtem Timing, dem Hang zu Skandalen aber am Ende mit Erfolg, und dem Status als womöglich erfolgreichster Export von der Insel.

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Auch 13 Jahre nach seinem Karriereende gilt McManaman noch als Englands bester Fußballexport – Foto: Athit Perawongmetha/Getty Images

LIVERPOOL. Anfields gleißendes Flutlicht und die erwartungsvollen Blicke der Fans, beides strahlte dem 18-jährigen Steve mitten ins Gesicht, als er am 15. Dezember 1990 gegen Sheffield United für keinen Geringeren als Peter Beardsley eingewechselt wurde und zu seinem Profi-Debüt kam. Im Jersey des FC Liverpool, der damals Rekord-, Serien- und natürlich auch amtierender Meister Englands war. Der über den Zeitraum der vergangenen drei Jahre – der vergangenen 15 sowieso – die wohl beste Mannschaft Europas stellte. (International konnte man sich aufgrund der sechsjährigen Sperre im Nachgang an die Heysel-Tragödie 1985 jedoch vorerst nicht beweisen.)

Doch McManamans Timing, es sollte katastrophal sein. Die vorangegangene Meisterschaft 1989/90 – es wäre wohl vergleichbar schockierend, würde der aktuelle FC Bayern zehn Jahre in Folge den Bundesliga-Titel verpassen – sollte bis heute die letzte der “Mighty Reds” gewesen sein. Das wusste man Anfang 1991 logischerweise noch nicht. McManaman war das Aushängeschild der jungen Spielergruppe, die auf die Beardsleys, Barnes und Rushs dieser Welt folgten und die Dominanz des LFC aufrechterhalten sollte. Steve war ein Athlet, wie er im Buche steht: Nicht nur dem runden Leder nachjagend, auch als Crossläufer verbuchte er zu Schulzeiten landesweite Erfolge. Wovon er als Fußballer profitierte, besonders dank seiner Schnelligkeit und den unermüdlichen Tempoläufen über den ganzen Platz spielte sich der Rechtsfuß schon in seiner zweiten Saison in den Kreis der “Reds”-Stammspieler.

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Der Durchbruch und die „Spice Boys“

Während beim bald größten Rivalen Manchester United eine junge Riege um Supertalent Ryan Giggs heranwuchs, avancierte der fußballerisch ähnlich agierende McManaman zum merseyside’schen Pendant des Walisers. Als jüngster Spieler auf dem Platz ernennt man ihn nach dem FA-Cup-Finale 1992 zum Man of the Match, 1995 wird der League Cup im “McManaman-Finale” gewonnen. “Er erinnert mich an mich selbst”, lobt danach sogar Sir Stanley Matthews. Nur in der 1992/93 eingeführten Premier League will es einfach nicht laufen. McManaman wird von der Presse, wie auch Giggs, für seine Dribblings gefeiert, aber für die zu geringe Anzahl eigener Tore kritisiert. Die Antwort des Lockenkopfes: 25 Vorlagen in der nächsten Spielzeit – auch ein Statement. Trainer Roy Evans räumte seinem Star in der Zwischenzeit eine freiere Rolle ein, sodass Steves nimmermüder Aktionsradius nun beide Flügel und das Zentrum gleichzeitig abdeckte. Ohne Zweifel hatte sich der Junge aus Liverpool-Stadtteil Kirkdale Mitte der 90er-Jahre zu einem der besten Spieler Europas entwickelt.

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Eine freie Rolle nahm auch der Boulevard-bedienende Kern der jungen “Reds” ein. Während sich Giggs, Scholes, Butt, die Nevilles oder selbst David Beckham in Manchester zielstrebig verbesserten, erregten McAteer, Redknapp, James, Collymore und speziell Top-Stürmer Fowler und Kumpel McManaman durch Modelverträge, derbe Streichkultur, eskalierende Partys und die abgehobenen beigefarbenen Armani-Anzüge vor dem FA-Cup-Finale 1996 Aufmerksamkeit – die “Spice Boys” waren geboren. Doch ihnen fehlten die sportlichen Erfolge, um ihr Auftreten rechtfertigen zu können. Ständig zog man gegen ManUnited den Kürzeren, in der Liga und auch im berüchtigten Armani-Anzug-Finale in Wembley am 11. Mai 1996 (0:1). Weil deren Coach Sir Alex Ferguson, der sich laut seinen Spielern vor McManaman fürchtete, wusste, dass es eigentlich nur diesen auszuschalten galt. Da half erst recht nicht, dass der Tenor aus dem eigenen Lager vergleichbar klang: “War McManaman nicht gut in Form, waren wir nur ein Durchschnittsteam”.

Wechsel-Wirrwarr dank Bosman

Im Sommer 1996 untermauerte der Tempofußballer seinen Status und wurde nach der EM auf der Insel von Legende Pelé zu dessen besten Spieler des Turniers ernannt (tatsächlich wurde Matthias Sammer ausgezeichnet). Nur ein Jahr später plagten Liverpools Entscheidungsebene jedoch Sorgen um die Folgen des Bosman-Urteils – Spieler durften nach Ablauf ihrer Verträge ablösefrei wechseln – und sie akzeptierte ein Angebot des FC Barcelona für McManaman. Der Transfer scheiterte im letzten Moment, wie auch ein Abgang des wechselunwilligen Stars zu Juventus Turin. Die folgenden Vertragsverhandlungen mit den “Reds” verliefen allerdings ähnlich erfolglos und nachdem Englands Nationaltrainer Glenn Hoddle, wohl auch wegen der Eskapaden im Vorfeld der EM 1996, McManaman bei der WM 1998 mehr oder weniger außen vor ließ, hielt dieser, der die großen Liverpooler Ambitionen im Alleingang nie erfüllen konnte, einen Tapetenwechsel für nötig. Anfang 1999 unterschrieb der nach Laurie Cunningham zweite königliche Engländer einen Vorvertrag bei Real. Im Sommer folgte dann der Wechsel zu Trainer und Ex-Liverpool-Stürmer John Toshack – ablösefrei!

Der Held im CL-Finale 2000

Der Auftakt in Madrid, er schien zunächst noch chaotischer zu werden, als es die “Spice Boys” je waren. “Spieler wie McManaman, die jetzt nach Madrid kommen, tun mir leid. Die Kabine ist voller Lügen und Getuschel”, soll sogar Raúl gesagt haben. Doch war Steve erst einmal auf dem Platz wusste er zu überzeugen – auch weil wegen des personellen Umbruchs die Erwartungen nicht besonders hoch schienen. Bei seinem Debüt im weißen Trikot am 22. August 1999, ein 2:1 Auswärtssieg bei Mallorca, legte er Fernando Morientes in der Nachspielzeit den Siegtreffer auf; sieben Tage später erzielte “El Macca”, wie ihn die Madridistas bald riefen, beim 4:1 über Numancia im Bernabéu seinen ersten Treffer für die Merengues. In der Folge glänzte der vielseitig einsetzbare McManaman vor allem in der Champions League. So wurde bereits unter der Regie von Vicente Del Bosque das Finale 2000 gegen den FC Valencia souverän mit 3:0 für sich entschieden. Seine Man of the Match-Performance mit einem sehenswerten Volley-Treffer krönend: Steve McManaman.

Die Probleme mit dem Timing sollten aber nicht nachlassen. Trotz einer tollen Premieren-Saison 1999/00 sah sich “El Macca” mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Florentino Pérez vor einem persönlichen Umbruch. Pérez begann mit dem Transfer von Luís Figo sein Wunschkonzept, welches McManaman später als “die Disneyfizierung von Real Madrid” bezeichnete. Diverse Kernspieler – darunter Fernando Redondo, mit dem Steve ein effektives Mittelfeldtandem bildete – wurden “ausgesondert”. Dem Engländer selbst wurde noch vor Beginn der Saison 2000/01 mitgeteilt, er solle sich keine Hoffnung auf viel Einsatzzeit machen. Man wollte die Nummer 8 nach nur einem Jahr sogar wieder verkaufen, doch McManaman lehnte wie in Liverpool-Tagen dankend ab und wollte sich seinen Stammplatz erkämpfen. Was ihm gelang, weil er sich in jeder Minute für die Mannschaft aufopferte und die Aufgaben jeder Position, auf der er eine Chance bekam, möglichst gut zu adaptierte. Was McManaman nicht nur die Freundschaften und Sympathien der jährlich neuen Superstars, sondern auch die Gunst der Fans einbrachte, welche ihn in zwei seiner vier “spanischen Jahre” zu ihrem Lieblingsspieler wählten.

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Ausbootung und Abgang

Selbstverständlich vermochte der einstige Alleinunterhalter auch weiterhin Spektakel zu produzieren: Seine Scherenschlag-Direktabnahme gegen Oviedo im Jahr 2001 quittierte das begeisterte Publikum im Bernabéu mit dem Schwenken weißer Taschentücher. Eine Randnotiz. Denn in jedem Jahr lockte Pérez einen neuen “Galáctico” an die Concha Espina, in jedem Jahr gab es etwas weniger Zeit und Platz für den anpassungswilligen Fan-Liebling. Auch wenn Barça-Ikone Johan Cruyff ihn als “nützlichsten Spieler der Galácticos” hervorhob und Pérez McManamans Einsatz immerhin mit Worten dankte: “Ein solcher Mann würde immer einen Platz in meiner Mannschaft haben”.

Ebenso wie in Liverpool blieb “El Macca” auch im königlichen Dress einer für die großen Spiele. Im Champions-League-Halbfinale 2002 beim FC Barcelona – der erste Real-Erfolg im Camp Nou nach neun sieglosen Jahren – ebnete er mit einem Heber den Weg ins Endspiel, das die Blancos mit 2:1 gegen Bayer Leverkusen gewannen. Diesmal kein Spieler des Spiels: McManaman wurde nach 61 Minuten für Figo eingewechselt. In der Saison 2002/03, der neue Galáctico hieß Ronaldo, stand McManaman wettbewerbsübergreifend nur noch neunmal in der Startelf. Zu Beginn der Spielzeit 2003/04 gab der Engländer nach der Verpflichtung seines Landsmanns David Beckham auf.

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McManaman gewann in Madrid sieben Titel – Foto: Graham Chadwick /Allsport

Als nicht zu unterschätzender Bestandteil der Mannschaft kommt Steve McManaman in vier Jahren auf 158 Spiele, 14 Tore und sieben Titel: zwei Meisterschaften, die Königsklassen-Trophäen 2000 und 2002, einen Weltpokal und einen spanischen sowie einen europäischen Supercup. Nach der vielleicht fatalsten Spieler-Emission der Königlichen – auch Makélélé, Morientes und Hierro verließen 2003 den Verein – hatte der inzwischen 31-jährige Steve fußballerisch nicht mehr viel anzubieten. Ein zweijähriges Intermezzo inklusive Sex-Skandal bei Manchester City, wo er mit Fowler und James auf Mitglieder der ehemaligen “Spice Boys” traf, endete als großer Misserfolg. Im Mai 2005 beendete der erfolgreichste englische Legionär aller Zeiten seine beachtliche Karriere. Seitdem probiert sich “El Macca” in der Kommentatoren- und der Expertenrolle aus und durfte 18 Jahre nach ihm analysieren, wie Doppeltorschütze Gareth Bale im Champions-League-Finale 2018 ihm den Thron als erfolgreichster Export von der Insel streitig machte.

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Baumgart's Fussballblog

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