Stadion

Stets im Wandel: Die sieben Umbauphasen des Bernabéu

Paris hat seinen Eiffelturm, London Big Ben, Rom das Kolosseum, und Madrid? Das Estadio Santiago Bernabéu! 1947 eröffnet, wird der königliche Fußballtempel nun umgebaut. Und das schon zum achten Mal! 1953, 1957, 1982, 1992, 1998, 2004, 2011 und nun 2019. REAL TOTAL zeigt die sieben bisherigen Renovierungen, und warum es wenig Gründe zur Annahme gibt, das Bernabéu würde seine Optik verlieren – denn der Fußballpalast an der Concha Espina befand sich schon immer im Wandel.

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81.044 Zuschauer fasst das Bernabéu – Foto: Gerard Julien/AFP/Getty Images

MADRID. Es braucht große Visionäre für gigantische Projekte. Der Grundstein für das gewagte Stadionprojekt wurde am 27. Oktober 1944 gelegt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der damalige Vereinspräsident Santiago Bernabéu Yeste in der Nachkriegszeit genug Spenden seiner Vereinsmitglieder beisammen, um das ambitionierte Bauvorhaben zu starten. Das für damalige Verhältnisse gigantische Projekt wurde im Stadtteil Chamartín realisiert, damals noch weit außerhalb der Stadtgrenzen von Madrid, an der Stelle, wo auch das vorangehende Stadion stand.

Noch bis heute bleibt es vielen ein Rätsel, wie ein derartig großes Vorhaben, nur fünf Jahre nach Ende des spanischen Bürgerkriegs (1936 bis 1939) bei der damals herrschenden Zementknappheit realisierbar gewesen ist. Diese kaum greifbaren Ambitionen zu verwirklichen, diente allerdings einem bestimmten Zweck, der bis heute spürbar ist. Vereinsikone Jorge Valdano versuchte später das Stadion mit folgenden Worten zu umschreiben: “Das Estadio Santiago Bernabéu hat auf mich dieselbe Wirkung wie das Meer – mir kommt es nie klein vor, immer monumental. Beide Orte atmen Größe.”

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Das damalige Nuevo Chamartín bei seiner Eröffnung 1947 – Foto: corazonblanco.com

Riesig, aber schon bald nicht mehr groß genug

PHASE 1 (1953)

Trotz aller Zweifel hatte Reals legendärer Präsident „sein“ Nuevo Estadio Chamartín am 14. Dezember 1947 mit einem Fassungsvermögen von 75.000 Personen eröffnen dürfen. Doch das war dem 1943 zum Präsidenten ernannten Bernabéu schnell nicht genug. Aller Vorwürfe des Größenwahns zum Trotz, wurde bereits 1953 die erste Umbaumaßnahme umgesetzt. Ziel war es, die Kapazität auf 125.000 Zuschauer zu erhöhen und das Rund mit der möglichst modernsten Ausstattung zu versehen. Zu diesem Zeitpunkt avancierte die Spielstätte zur größten Europas. Die Ideen von Bernabéu fruchteten, denn auch sportlich setzte der vom Präsidenten propagierte Aufstieg ein – finanziert durch die höheren Zuschauereinnahmen. Zum Dank machte ihn die Mitgliederversammlung am 14. Januar 1955 zum Namensgeber des Bauwerks.

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Das Bernabéu nach der ersten Renovierung 1956 – Foto: Pulledoffathalftime.com

Für Günter Netzer, der erste von neun Deutschen im königlichen Dress, bleibt das Bernabéu aus den 1970er-Jahren ebenfalls in bester Erinnerung. Der Freigeist, welcher von 1973 bis 1976 in Madrid sein Salär bezog, fand eine treffende Beschreibung für die königliche Heimat: “Für mich war das Stadion immer der sichtbare Ausdruck der Macht von Real Madrid. Kein Verein auf diesem Planeten versprüht einen ähnlichen Mythos der Größe wie Real, und dieses Stadion ist die eindrucksvolle Visitenkarte.”

PHASE 2 (1957)

So wirklich zum Stillstand kamen die baulichen Maßnahmen am Stadion eigentlich nie. Nachdem die Dimensionen allesamt erfolgreich erweitert wurden, folgte nun die Flutlichtanlage. Diese wurde im Jahr 1957 fertiggestellt. womit das königliche Wohnzimmer zum am besten ausgeleuchteten Stadion der Welt avancierte. Der Prachtbau sollte von nun an, auch nicht mehr nur an den Heimspielen genutzt werden. Auch die Büroeinrichtungen des Klubs zogen allmählich mit in das weite Rund der Arena. Ab 1965 waren alle Büroeinrichtungen des Vereins im Estadio Santiago Bernabéu untergebracht.

Durch Schönheitskur zur WM-Form

PHASE 3 (1982)

Im Jahr 1982 wurden wichtige Modernisierungsmaßnahmen ergriffen, um das Stadion für die WM in Spanien wieder auf Hochglanz zu bringen. Das Facelift sah eine Umwandlung aller Stehplätze auf der Haupttribüne und der Gegengerade in Sitzplätze vor. Dadurch verringerte sich die Kapazität von 125.000 auf 90.000 Plätze. Zugleich zog die Haupttribüne von Ost nach West. Erstmals waren, abgesehen der Osttribüne, alle Ränge überdacht. Dafür sorgte eine neue Metallkonstruktion, welche sich wie eine Markise über das Stadion legte. Zusätzliche Modernisierungen bezogen sich auf die Installation der neuesten Technologie an Videokameras und das Flutlicht wurde abermals nachgerüstet.  Der Umbau unter der Leitung von Luis und Rafael Alemany wie auch Manuel Salinas kostete damals 704 Millionen Peseten, wovon der Verein circa 530 Millionen Peseten aus seiner eigenen Kasse finanzierte.

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Zur WM 1982 auf Vordermann gebracht – Foto: realmadrid.com

PHASE 4 (1992)

Zehn Jahre später folgte die bis heute größte Renovierung des inzwischen 45 Jahre alten Bauwerks. Neben der Installation einer Rasenheizung bekam das Stadion auf allen Tribünen, außer Ost, seinen dritten Rang. Damit erhöhte sich die Zuschauerkapazität auf 106.500 Plätze. Dafür hatte man das Dach von 22 auf 45 Metern anheben müssen und diverse Anpassungen vorgenommen. Bereits sechs Jahre später musste allerdings die Gesamtkapazität wieder auf 74.300 reduziert werden, weil die neuen UEFA-Regularien reine Sitzplatzstadien vorgesehen hatten.

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In den 90er-Jahren erhielt das Bernabéu seine heutige Optik – Foto: Historias matritenses

Modernisierungsmarathon bis hin zur heutigen Schönheit

PHASE 5 (1998)

Unter der Bezeichnung “Proyecto Líder XXI” sollte die weitere Kommerzialisierung und Vermarktung vorangetrieben werden. Zunächst erhielt das Stadion ein neues Anzeigesystem und die Soundanlage sorgte dafür, dass der gesamte Innenraum mit einer homogenen Lautstärke von 103 dB beschallt wird. Gleichzeitig wurde die dritte Hochtribüne an der Calle Padre Damián umgebaut und überdacht sowie 9.380 neue Sitzplätze gewonnen. Dadurch stieg die Kapazität wieder auf 80.354 potentielle Besucher an. Ab 2000 – mit der Amtsübernahme von Pérez als Vereinspräsident – wurden unzählige weitere Umbaumaßnahmen angestrebt, welche größtenteils dem höheren Komfort dienlich sein sollten.  Ebenfalls zeigten sich die Umkleidekabinen in neuem Gewand, die Ehrentribünen und VIP-Logen wurden aufgehübscht sowie die Presseräume erneuert. Die Installation von Rolltreppen und der markanten Panoramaaufzüge erhöhten zudem den Komfort innerhalb des Stadions. Mit der Installation von 1.300 Heizstrahlern errang das Bernabéu zudem den Titel als das bestbeheizte Stadion der Welt.

PHASE 6 (2003)

2003/04 kehrte dann die Haupttribüne wieder auf die erweiterte und mittlerweile überdachte Ostseite zurück, wo sie bis heute zu finden ist. Dabei handelte es sich um eine der flächenmäßig größten Umbauarbeiten der vergangenen Jahre. Auch die Ostfassade strahlt seit diesen Maßnahmen in ihrem aktuellen Glanz. Noch wichtiger wurde jedoch die Verwirklichung des Ziels, das Stadion an 365 Tagen im Jahr geöffnet zu halten. Dazu wurde unter anderem das angrenzende Multifunktionsgebäude eröffnet, welches Presseräume, Büros und TV Sets beherbergt. Auch ein Adidas-Fanshop bekam ein neues Zuhause im Bernabéu-Stadion und ist bis heute der größte Vereins-Fanshop der Welt. Weiterhin beherbergt das Stadion seit dieser Zeit drei Restaurants. Mit der zusätzlichen “Tour del Bernabéu” und dem integrierten Vereinsmuseum ist das Stadion in permanentem Betrieb. Die Königlichen hatten einen weiteren Wirtschaftszweig erschlossen und die Stadionführung zu einer der Hauptattraktion für Touristen in Madrid gemacht. Bis 2006 fanden diese Erneuerungen kontinuierlich statt und vertilgten insgesamt 129 Millionen Euro.

PHASE 7 (2011)

Die bis dato letzten Handgriffe fanden 2011 am Stadion statt. Das Bernabéu ist das erste voll steuerbare Fußballstadion. In der vierten Hochtribüne im westlichen Teil des Gebäudes liegt die U.C.I. (Unidad de Control Integral). Von dort aus wird per Mausklick die Beleuchtung, der Rasen, die Rolltreppen, das Dach, die Heizung und noch vieles mehr gesteuert. Das Stadion befindet sich stets auf dem neuesten Stand, ermöglicht unter anderem durch den Ausbau des WLANs im weiten Rund oder anderen technischen Infrastrukturmaßnahmen. Nicht umsonst wird das Estadio Santiago Bernabéu von der Firma CISCO Systems als Referenz für ihre Kommunikations- und Managementlösungen genannt. Mit solchen Partnerschaften erhält der Verein stets den Status Quo, eines der besten und modernsten Stadien der Welt zu besitzen, mit dem man immer wettbewerbsfähig in puncto Vermarktung bleiben wird. Dabei war in den mehr als sieben Dekaden der Stadiongeschichte eines immer gleich: Die Entwicklung der Spielstätte und Reaktion auf neue Ansprüche. Jetzt folgt der nächste Schritt.

Was die Zukunft bringt?

So soll die königliche Zukunft aussehen – Foto: Javier Soriano/AFP/Getty Images

Nach fast 71 Jahren hat das Stadion keineswegs an Glanz und Ausstrahlung verloren. Bis heute dient es als Mekka für Fußballfans, als Heimat der größten Fußballvirtuosen der Welt. Das Stadion hat sich im Laufe all dieser Jahre entwickelt, um stets den Anforderungen gerecht zu werden. Es ist wahrlich ein Stadion im Wandel der Zeit: Bei der Eröffnung 1947 hatte das Rund weder die berühmten vier Treppenaufgänge, noch seinen dritten und vierten Rang. Permanente Veränderungen am Bauwerk stehen als Sinnbild für den Fortschritt des Vereins. Nach über sieben Dekaden steht der Tempel nun wieder vor einem drastischen Eingriff, der nun dessen gesamtes Erscheinungsbild verändern wird. Die Pläne sind kühn, 575 Millionen Euro schwer, aber auch vielversprechend. Romantikern erscheint die Modernisierung vielleicht zu viel des Guten, Kritik kommt auf. Allerdings sollte sich jeder vor Augen halten, dass es quasi ein Naturell des Stadions und des Vereins ist, mit der Zeit zu gehen. Aus dieser Perspektive können die Baumaßnahmen nur ein Schritt in die richtige Richtung sein. Denn auch Santiago Bernabéu Yeste sah sich in der spanischen Nachkriegszeit Vorwürfen ausgesetzt, seine Träume seien unrealistisch. Sogar Wahnsinn. Dennoch gibt es viele Gründe, auch ökologisch: ein Dach ist gegen die großen Heizungsaufwendungen genauso sinnvoll, wie angesichts der Tatsache, dass bei Regen die untersten Reihen immer noch nass werden.

Wenn Ende 2022 die neue Arena fertiggestellt sein wird, wird man die alte vielleicht nicht wieder erkennen, aber es wird weiterhin das Zuhause großartigen Fußballs bleiben, das Zuhause von Real Madrid. Und es wird neue großartige Kapitel des Vereins geben, welche in dieser neuen Arena geschrieben werden.

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von
Christian Graber

Anhänger der Königlichen seit dem bitteren Halbfinalaus in der Champions League-Saison 2001 gegen die Bayern und seitdem Verehrer der Klubphilosophie. Spezifische Kenntnisse des Fußballmarktes in Lateinamerika und bekennender Freund der "Joga-Bonito-Kultur".

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