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Zwischen Himmel und Hölle: Das eigene Erbe macht Real zu schaffen

Real Madrid schreibt 2018 mit dem dritten Champions-League-Titel in Serie Geschichte. Mit den Abschieden von Zinédine Zidane und Cristiano Ronaldo deutet sich aber an, dass das Jahr kein durchweg glanzvolles wird. Die Königlichen führen einen Kampf mit ihrem eigenen Erbe und fallen tief. REAL TOTAL blickt zurück.

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Real erlebte 2018 Höhen, aber auch viele Tiefen – REAL TOTALGrafik: AFP/Bongarts/Getty Images

Ein glückliches Ende

MADRID. Finale gewonnen, Titel gewonnen. Am Ende war alles wieder gut. So, wie man es bei Real Madrid immer haben will. Auch zum Abschluss des Pflichtspieljahres 2018 können die Königlichen stolz von sich behaupten, die Nummer eins des Fußballs zu sein. Bei der FIFA Klub-WM gingen sie als Sieger hervor, machten es damit wie 2014, 2016 und 2017.

Es ist angesichts der unbekannten Kontrahenten kein Titelerfolg, der eine Menge Prestige mit sich bringt. Und dennoch träumen insgeheim irgendwie ja doch etliche europäische Top-Vereine von ihm. Das ist kein Widerspruch. Schließlich geht einer Teilnahme an dem Turnier der Triumph des Wettbewerbs voraus, der auf Klubebene wichtiger als jeder andere auf der Welt ist: die UEFA Champions League. Mit dem dritten siegreichen Endspiel innerhalb von 48 Monaten ließ Real unter Trainer Zinédine Zidane wahr werden, was zuvor niemand für möglich gehalten hatte. Nach Atlético am 28. Mai 2016 und Juventus Turin am 3. Juni 2017 musste sich am 26. Mai 2018 auch der FC Liverpool vor dem weißen Ballett ergeben.

TOPSHOT - Real Madrid's Brazilian defender Marcelo (C) lifts the trophy after winning the UEFA Champions League final football match between Liverpool and Real Madrid at the Olympic Stadium in Kiev, Ukraine on May 26, 2018. - Real Madrid defeated Liverpool 3-1. (Photo by LLUIS GENE / AFP) (Photo credit should read LLUIS GENE/AFP/Getty Images)
Real krönte sich einmal mehr zum Champion – Foto: Lluis Gene/AFP/Getty Images

In der K.o.-Phase waren bereits zuvor zahlreiche namhafte Klubs an dem europäischen Rekordchampion gescheitert. REAL TOTAL zeichnet den Weg bis zur Krönung nach.

PSG, Juventus, Bayern, Liverpool: Real killt sie alle

  • 14. Februar: Real bekommt für das Achtelfinale mit Paris Saint-Germain einen Top-Gegner zugelost. Weil die Königlichen in der Liga weit von der Spitze entfernt und in der Copa del Rey früh ausgeschieden sind, wird das Duell mit PSG schon als ein Finale ausgerufen. Entsprechend tritt Zidanes Mannschaft auf. Zwar gerät sie beim Hinspiel im Estadio Santiago Bernabéu in Rückstand, doch diesen kann sie in der Schlussphase noch in einen 3:1-Erfolg ummünzen – wenn auch glücklich. Cristiano Ronaldo trifft doppelt (45./83.), Marcelo markiert den Endstand (86.).

https://www.youtube.com/watch?v=x2u3Gmu9qEw

  • 6. März: Der Titelträger reisen mit einem komfortablen Vorsprung zum Rückspiel nach Paris, haben aber mitbekommen, dass die Franzosen sich längst nicht aufgeben und trotz des Ausfalls des verletzten Neymar auf Rache sinnen. Real entscheidet aber auch die zweite Begegnung für sich, diesmal knapp mit 2:1. Nach dem Seitenwechsel köpft Ronaldo das 1:0 (51.), nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich von PSG (71.) bringt Carlos Casemiro Madrid wieder in Front (80.).

https://www.youtube.com/watch?v=KIqNBodbpDg

  • 3. April: Juventus stellt sich den Blancos im Viertelfinale der Königsklasse in den Weg. Es kommt damit zu einer Neuauflage des Endspiels von 2017. Und so wie bei dem triumphalen 4:1 an jenem Juni-Abend in Cardiff demonstriert Real auch in Turin seine Stärke. Ronaldo markiert früh die Führung (3.), in der zweiten Halbzeit gelingt ihm ein spektakuläres Tor per Fallrückzieher (64.), wegen dem sich die Juventus-Fans vor ihm verneigen. Marcelo erhöht sogar noch auf 3:0 (72.).
  • 11. April: Dank des mehr als komfortablen Hinspiel-Resultats wähnt sich Real bereits im Halbfinale. Diese Herangehensweise führt dann aber um ein Haar zum Super-GAU. Juventus kann Reals 3:0 im Estadio Santiago Bernabéu nach 90 Minuten egalisieren. In der siebten Minute der Nachspielzeit verwandelt Ronaldo einen umstrittenen Elfmeter, der die Madrilenen mit einem blauen Auge davon kommen lässt. 1:3-Niederlage, aber doch eine Runde weiter.

https://www.youtube.com/watch?v=5Sf4sUqHKcs

  • 25. April: Wie bereits 2017 duelliert sich Real in der Königsklasse erneut mit dem FC Bayern München. Diesmal jedoch nicht im Viertel-, sondern im Halbfinale. Wie 2014. Beim Hinspiel in der Allianz Arena gerät Madrid nach einer knappen halben Stunde in Rückstand (28.), präsentiert sich aber unbeeindruckt und dreht die Partie. Noch vor der Halbzeit gleicht Marcelo aus (44.), nach dem Seitenwechsel nutzt Marco Asensio einen Schnitzer in Bayerns Verteidigung (57.).

https://www.youtube.com/watch?v=H-CR6mabmrk&t=5s

  • 1. Mai: Real geht mit einer guten Ausgangslage in das Rückspiel vor heimischer Kulisse, muss aber zum wiederholten Male mit einem Rückstand umgehen (3.). Doch wie in München gelingt den Merengues die Wende, Karim Benzema schnürt einen Doppelpack (11./46.). Der von Real an Bayern ausgeliehene James Rodríguez macht es mit einem Tor in der 63. Minute noch mal spannend. Bayern drängt auf das dritte Tor, das zum Final-Einzug reichen würde. Aber es fällt nicht, es bleibt bei dem 2:2. Real zieht zum dritten Mal in Folge ins Endspiel ein.

https://www.youtube.com/watch?v=jnq_hAGwajk

  • 26. Mai: Und zum dritten Male in Folge beweisen die Königlichen, dass sie Endspiele nicht spielen, sondern gewinnen. Nach einer schweren Anfangsphase gegen den FC Liverpool findet Real besser in das Finale. Benzema nutzt einen katastrophalen Patzer von Torwart Loris Karius zum 1:0 (51.), doch gleich darauf fällt der Ausgleich (55.). Das 1:1 hält aber nicht lange. Der eingewechselte Gareth Bale erzielt per Fallrückzieher erst ein Jahrhunderttor (64.), ehe er mit einem Fernschuss, bei dem Karius erneut neben der Rolle ist, alles klar macht (83.). 3:1. Finale gewonnen, Titel gewonnen.

https://www.youtube.com/watch?v=0XUk44-J9mY

Ein noch unsterblicheres Real – aber nur international

Als hätten die Madrilenen mit der ersten Titelverteidigung in der Ära der Champions League nicht schon ausreichend Geschichte geschrieben, machten sie sich ein Jahr später mit dem Hattrick noch unsterblicher – und konnten damit eine auf nationaler Ebene desolate Saison nahezu vollständig kaschieren. Im Pokal war schon im Viertelfinale gegen CD Leganés Schluss (1:0, 1:2), in der Liga landete Real als Dritter 17 Punkte hinter Meister FC Barcelona.

Auch jetzt, am Ende des Jahres 2018, hinken die Blancos ihrem Erzrivalen hinterher. Bei einer Partie weniger sind es als Viertplatzierter acht Punkte, die Real von der Spitzenposition trennen. Dass das Team nach dem Kunststück in der Königsklasse eine schwere Spielzeit erwarten würde, deutete sich schon unmittelbar nach dem Triumph gegen Liverpool an.

Zidane weg, Ronaldo weg: Madrid wird hart getroffen

„Es war sehr schön, bei Real Madrid gewesen zu sein“, ließ Ronaldo in einem Interview auf dem Feld des Olympiastadions in Kiew völlig unerwartet eine Bombe platzen. Sechs Wochen später gab Real bekannt: Den portugiesischen Mega-Star zieht es für 117 Millionen Euro zu Juventus. Der Klub stand plötzlich vor der großen Herausforderung, seinen wichtigsten Spieler der vergangenen Dekade (450 Tore in 438 Einsätzen) zu ersetzen – allerdings auch aus eigenem Verschulden. Präsident Florentino Pérez hatte sich mit der Tormaschine überworfen und sah offenbar kein großes Problem darin, einer Trennung zuzustimmen.

Anders als im Falle von Zidane. Der Erfolgscoach hatte bereits eine Woche nach dem Gewinn des Henkelpokals und fünf Wochen vor dem Ronaldo-Beben seinen Hut genommen. Freiwilliger Rücktritt! Sichtlich geschockt und ratlos schritt Pérez mit dem Franzosen zu der außerordentlichen Pressekonferenz, die an jenem 31. Mai nur eine Stunde zuvor einberufen worden war. Zidane habe die Vereinsführung erst tags zuvor informiert, teilte Pérez mit. Das Team brauche neue Impulse, erklärte „Zizou“ wiederum seinen Abschied.

Spaniens Nationaltrainer Julen Lopetegui war der Mann, der den Job übernahm. Bei einem Real, mit dem es nach Jahren voller historischer Erfolge eigentlich nur bergab gehen konnte. Erst recht aufgrund der Tatsache, dass die Antwort auf Ronaldos Abgang am Ende bloß Mariano Díaz und Vinícius Júnior heißen sollte.

Schon wieder kein Mega-Star

Den vierten Transfersommer in Serie sah die Führungsetage davon ab, einen Profi der Kategorie „Galáctico“ zu gewinnen. Stattdessen vertraute man den vielen Spielern, die an der Weltmeisterschaft in Russland teilgenommen hatten und ihrer Top-Form in der neuen Saison über Wochen hinterherhechelten. Weltmeister Raphaël Varane beispielsweise. Oder Vizeweltmeister Luka Modrić. „Nach der WM ist es logisch, dass man die mentale Spannung nicht aufrecht erhalten kann. Die Intensität ist für eine kurze Zeit enorm hoch und am Ende bekommt man die Quittung dafür“, erklärte der Kroate das Dilemma später.

Lopetegui scheitert jäh – Solari wird befördert

Das weiße Ballett stürzte innerhalb weniger Monate kolossal ab, verlor im August erst das Finale im UEFA Super Cup gegen Atlético (2:4 n. V.) und kassierte Ende Oktober eine 1:5-Klatsche bei Barça. Weil Real vor der Clásico-Schande binnen vier Wochen schon fünf Partien nicht gewonnen und dabei viermal nicht mal ein Tor erzielt hatte, wurde Lopetegui vom Hof gejagt. Rund vier Monate nach seiner Präsentation.

Santiago Solari beerbte den Spanier. Ein Mann mit Stallgeruch. So wie Zidane spielte der Argentinier einst selbst für das weiße Ballett. Und so wie Zidane wurde auch er vom Trainer der zweiten zum Trainer der ersten Mannschaft befördert. In Madrid beten sie angesichts der Katastrophe unter Lopetegui förmlich, dass der Erfolg als Coach auf Dauer eine weitere Parallele zwischen den beiden früheren Mitspielern werden wird.

Die Klub-Weltmeisterschaft war ein erster Schritt. In einem Jahr, in dem Real vor allem mit sich selbst gekämpft hat – weil in einem Sommer personell nicht angemessen gehandelt wurde, das bestehende Spielermaterial oft schlicht zu satt wirkte und das Erbe der Ronaldo-Ära deshalb einfach zu schwer war. In der laufenden Saison wurden zehn von bis dato 27 Pflichtspielen nicht siegreich gestaltet – acht Niederlagen, zwei Remis. Ernüchternd.

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Reals Jahr 2018: Irgendwie doch ein gutes

Der eine oder andere Protagonist verbleibt trotzdem mit dem Positiven. 2018 sei unter dem Strich ein gutes Jahr gewesen, „weil wir wieder die Champions League gewonnen haben“, sagt Mittelfeld-Ass Toni Kroos zum Beispiel. Und irgendwie hat er damit ja auch recht. Welcher Anhänger der Königlichen würde es jetzt denn nicht unterschreiben, den begehrtesten Vereinstitel im Weltfußball auch 2019 wieder abzuräumen?

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von
Filip Knopp

Begleitet den Mythos Real Madrid als Fan seit der Ära der „Galácticos“ und journalistisch bei REAL TOTAL seit Mitte 2011. Erfahrungen auch bei SPORT1 und SPOX, zudem Autor von »111 GRÜNDE, REAL MADRID ZU LIEBEN«.

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