
Von Atlético im Stich gelassen, von Real vor Absturz bewahrt
MADRID/VALLECAS. Wir schreiben das Jahr 1961, in dem Rayo Vallecano einen der schwersten Sommer der Vereinsgeschichte durchlebte. Hochverschuldet stieg der Madrider Vorstadtklub damals in die spanische Drittklassigkeit ab. Zu allem Übel beendete dann auch noch Atlético Madrid, das in den 1950er-Jahren im Rahmen einer Kooperation immer wieder Spieler an Rayo verliehen hatte, wegen des verpassten Klassenerhalts die Zusammenarbeit mit dem rebellischen Nachbarn: Die „Franjirrojos“ standen nicht nur vor dem Bankrott, sondern auch vor dem Absturz in die sportliche Bedeutungslosigkeit.
In seiner Not bat der damalige Rayo-Präsident Juan Roiz, seines Zeichens auch Vereinsmitglied bei den Königlichen, den für seine soziale Ader berühmten Real-Präsidenten Santiago Bernabéu Yeste um seinen Beistand – mit großen Erfolg. Gemeinsam mit seinen Vorstands-Mitgliedern Raimundo Saporta und Antonio Calderón schnürte Bernabéu „Rayito“ ein historisch-großzügiges Hilfspaket. Pedro, der Sohn des damaligen Rayo-Bosses Roiz, hat sich in einem Interview mit der Journalistin Rosa De La Vega für das Buch „Vallecas y el Rayo Vallecano“ an den Wortlaut der Abmachung erinnert:
Bernabéu: „Juan, willst du aufsteigen?“
Roiz: „Um Gottes Willen, Santiago, was reden Sie da? Sie sind der Arzt und ich der Patient. Natürlich will ich aufsteigen!“
Bernabéu: „Sieh, du wirst machen, was ich dir sage. Ich werde dir einige Spieler ausleihen, aber den Trainer werde dafür ich bestimmen. Wenn unsere Amateure in Vallecas spielen, werden wir euch zehn Prozent der Einnahmen überlassen. Wenn Rayo spielt, gebt ihr uns 30 Prozent, dafür übernimmt Real Madrid allerdings die Kosten für die Angestellten, die Stromrechnung und so weiter. Trainer, Spieler, sie alle sollen zum Kassieren nach Chamartín kommen.“

„Real zahlte mein Gehalt, obwohl ich bei Rayo Vertrag hatte“
Rayo-Legende Félix Bardera Sierra, genannt „Felines”, heuerte in der Saison nach diesem Deal bei den Vorstädtern an. Dort stand er zwar unter Vertrag, sein Gehalt aber zahlte Real Madrid, wie er in einer Kolumne vom 2. November 2013 in der Sportzeitung AS berichtete:
„Das war ein spektakuläres Jahr (Wiederaufstiegs-Saison 1964/65; d. Red.). Wir schafften den Aufstieg, ohne ein Spiel zu verlieren. Wir hatten ein großartiges Team. Ich war zu Saisonbeginn von Caranbanchel zu Rayo gewechselt und war dort der einzige Spieler, der dem Verein gehörte; alle anderen waren Leihspieler aus der Amateurmannschaft von Real.“
„Real übernahm alle finanziellen Angelegenheiten. Obwohl ich bei Rayo unter Vertrag stand, zahlte Real mein Gehalt. Wir, die wir keine Starspieler waren, verdienten im Monat 3500 Peseten und hundert weitere in Form von Prämien. Mehrmals wöchentlich ging ich mit meinen Teamkollegen Las Heras und Peinado in ein Restaurant an der Glorieta de Bilbao und aß dort ein Menü. Auch diese Rechnungen übernahm Real. Wir bestellten dort Steaks, die ich zuvor noch nie in meinem Leben gesehen hatte! Wir holten unser Geld dort, wo damals die Madrider Basketballer spielten und hatten sogar Dauerkarten für die Spiele der Profis von Real in Chamartín (Stadtteil, wo Reals Stadion steht)“, erzählte „Felines“ von seinem kuriosen Arbeitsverhältnis mit den Blancos.
Rayo-Spieler, die Real-Spiele besuchten? Madrids Stadionheft aus dem Jahr 1966 verrät: Das gab es auch umgekehrt! Beispielsweise in der besagten Saison 1966, als die Königlichen um Amancio und Fernando Serena vor einer Reise nach Montevideo nach Vallecas kamen, um der Elf vom Kooperationspartner bei einer Partie gegen Torrelavega zuzusehen.

Als Puskás, Gento und Di Stéfano für Rayo aufliefen
Wohlgemerkt, stellten die Besuche der Blancos in Vallecas nicht alleine einen Freundschaftsdienst dar: Die Truppe um die Real-Talente Benito und José Peinado spielten nämlich erfrischenden und erfolgreichen Fußball, welcher Rayo 1964/65 zurück in die Segunda División brachte – ohne ein Spiel zu verlieren und mit einem Torverhältnis von 114:14.
Mit den Playoff-Triumphen über Jerez und Ferrol war das große Ziel der Zusammenarbeit erreicht, was Rayo dazu veranlasste, Real als Zeichen der Dankbarkeit zur Aufstiegsfeier einzuladen. Ein Fest mit einem spektakulären Höhepunkt, wie AS-Journalist Carlos Forjanes weiß: „Für das eigens angesetzte Freundschaftsspiel zwischen Rayo und Girondins Bordeaux stellten die Königlichen einige ihrer Stars wie Ferenc Puskás und Paco Gento für einen Tag an die ‘Rayistas’ ab und sorgten so für bis heute unvergessene Momente im Barrio de Vallecas, wo einige Rayo-Fans mit Dankes-Plakaten für Santiago Bernabéu aufwarteten.“
Mit von der Partie war übrigens auch Alfredo Di Stéfano, damals bereits bei Espanyol Barcelona unter Vertrag, der verletzungsbedingt aber nicht mitwirken konnte.

Die „Heiligsprechung“ des Santiago Bernabéu
Doch damit nicht genug der Dankbarkeit: Zwei Wochen später wurde Santiago Bernabéu im Vorfeld eines Testspiels zwischen den befreundeten Klubs feierlich mit der “Insignia de Oro y Brillantos” geehrt, einer seltenen Auszeichnung für außergewöhnliche Verdienste für den Verein, sowie der Ehrenmitgliedschaft bei Rayo.

Von dieser innigen Freundschaft zwischen den beiden Nachbarn ist heute nicht mehr viel übrig. Vielmehr ist Real Madrid als Global Player des Fußballs das Feindbild Nummer eins in der politisch linken Fanszene Rayos. So mussten in der jüngeren Vergangenheit mehrere Duelle zwischen den Madrider Klubs vom spanischen Innenministerium als Hochsicherheitsspiele eingestuft werden mussten. Wie heißt es so schön? Früher war alles anders…
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