Reportage

Aus der Hölle in den Himmel: Ein Jahr nach Asensios Knie-Horror

Vor exakt einem Jahr reißt sich Marco Asensio bei einem Testspiel von Real Madrid im linken Knie das vordere Kreuzband und den Außenmeniskus. 330 Tage dauert es, bis der Spanier erstmals wieder in einer Partie mitwirkt. Nach seinem Comeback bejubelt er drei Tore und die Meisterschaft. Aus der Hölle in den Himmel. Spricht Asensio heute über den Horror-Moment, muss er aber noch immer weinen.

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Marco Asensio
Asensio: Hingefallen und wieder aufgestanden – Foto: imago images / Cordon Press/Miguelez Sports

Top-Auftritt endet jäh – und schrecklich obendrein

MADRID. 24. Juli 2019, morgens um kurz nach zwei Uhr mitteleuropäischer Zeit: Real Madrid testet im Rahmen der Saisonvorbereitung im US-amerikanischen Landover gegen den FC Arsenal und als Marco Asensio zur zweiten Halbzeit eingewechselt wird, macht er gefühlt sein bestes Spiel im Trikot der Königlichen seit Monaten. Das Team von Zinédine Zidane liegt 0:2 zurück, schafft nach dem Seitenwechsel aber relativ zügig den Ausgleich – vor allem dank des spanischen Außenstürmers. An Gareth Bales Anschluss war er beteiligt (57.), woraufhin Asensio nach einem eigenen Pfostentreffer selbst das 2:2 markierte (59.).

Zwei Minuten danach, in der 61., dann der Schockmoment: Der Linksfuß geht in einen Zweikampf mit dem ballführenden Pierre-Emerick Aubameyang, wird harmlos gefoult, sackt in der Folge aber zu Boden, verzieht vor Schmerzen sein Gesicht, muss am linken Knie behandelt und weinend mit einer Trage vom Feld gebracht werden.

Asensio bricht noch heute in Tränen aus

„Ich habe gemerkt, dass da etwas nicht stimmt. Es war ein Moment des Schocks, der Angst, nicht zu wissen, was passiert ist. Als ich das Gesicht unseres Arztes sah, fing ich wie ein kleines Kind an zu heulen. Zuallererst rief ich meinen Vater an. Ich fragte ihn, ob er die Szene sah. Wir sprachen kurz und ich sagte ihm, dass er sich keine Sorgen machen soll“, erzählt Asensio in seiner Dokumentation auf Realmadrid TV und bricht dabei in Tränen aus.

marco asensio doku realmadrid tv weint
In der Realmadrid TV-Dokumentation „Marco Asensio – el desafío“ („Marco Asensio – die Herausforderung“) muss der Mallorquiner weinen, als er über den Knie-Schock und die Momente danach spricht – Screenshots: Realmadrid TV

Knapp zwölf Stunden später gab Real die Horror-Diagnose bekannt: vorderes Kreuzband gerissen, Außenmeniskus gerissen. Exakt ein Jahr ist das nun her. Asensio hatte sich nach der auch von ihm schlechten Saison 2018/19 enorm viel vorgenommen und war von Zidane für den rechten Flügel eingeplant worden. Von jetzt auf gleich wurde der inzwischen 24-Jährige durch diesen herben Rückschlag aus der Mannschaft gerissen.

„Setzte mir immer Ziele für eine Woche oder zwei Wochen“

„Die erste Nacht im Krankenhaus war sehr schlimm. Vor Schmerzen habe ich viel geweint. Die Ärzten sagten mir, dass eine harte Zeit auf mich zukommen würde. Du musst das annehmen, du musst das akzeptieren. Am Ende bist du selbst derjenige, der das überstehen muss. Du bekommst viel Hilfe, aber wenn du dir nicht dessen bewusst bist, dass du allein das durchstehen musst, dass es dein Knie ist und du nach vorne blicken musst, dann machst du keine Fortschritte, betont der Leidtragende, dessen Wegbegleiter vorerst Krücken und keine Fußbälle sein sollten – und Arbeitskollegen vielmehr die Ärzte und Physiotherapeuten anstatt Mitspieler wie Sergio Ramos, Isco oder Karim Benzema.

asensio schaut beim training zu
Was die Arbeit der Mannschaft betrifft, blieb Asensio mehrere Monate nicht mehr als die Rolle des Zuschauers – Screenshot: Realmadrid TV

Sein Arbeitsbereich: die Inneneinrichtungen auf dem Klubgelände. Asensio schuftete im Kraftraum, machte viele Übungen im Wasser und wurde regelmäßig auf einer Liege behandelt. Erst nach einem halben Jahr, Ende Januar, fing es allmählich mit individuellem Training auf dem Rasen an. Die Schwere der Verletzung war ihm so klar, dass er zu keiner Zeit etwas überstürzte: „Ich wusste von Beginn an, dass ich einen Schritt nach dem anderen machen muss und nach der Operation nicht schon Gedanken daran verschwenden sollte, wieder zu spielen. Ich setzte mir immer Ziele für eine Woche oder zwei Wochen.“

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Video: Asensio langer Weg zurück

330 Tage. So lange ging Marco Asensio durch die Hölle, bis er nur 30 Sekunden nach seiner... weiterlesen

Bilderbuch-Comeback nach knapp elf Monaten

Und so kämpfte sich der Offensiv-Allrounder mit der nötigen Geduld in kleinen Schritten wieder zurück. Nachdem die Ausfallzeit auf rund acht Monate geschätzt worden war, verlängerte die zwölfwöchige Saison-Unterbrechung wegen der Coronavirus-Pandemie die Wartezeit auf das ersehnte Comeback. Gegen Ende der ersten Mai-Hälfte konnte der gebürtige Mallorquiner schließlich wieder anfangen, mit dem Team zu trainieren. Ohne COVID-19 hätte es damit bereits Ende März so weit sein sollen. So oder so: Aus dem Patienten ist peu à peu wieder ein Hochleistungssportler geworden.

Zur Fortsetzung der Primera División am 14. Juni gegen SD Éibar stand Asensio schließlich zum ersten Mal seit dem 19. Mai 2019 wieder in einem Pflichtspiel-Kader. Sein Comeback ermöglichte ihm „Zizou“ jedoch erst am 18. Juni gegen den FC Valencia. Aber was war das nur für eines! 30 Sekunden nach seiner Einwechslung in der 74. Minute erhöhte er den Spielstand auf 2:0. Eine Bilderbuch-Rückkehr. Zidane: „Das bedeutet viel, vor allem für ihn. Aber auch für uns. Wir freuen uns, ihn wieder auf dem Spielfeld sehen zu können.“

30 seconds of joy after 11 months out!
¡30 segundos de alegría tras 11 meses de esfuerzo!
Marco Asensio Willemsen
#RMLiga | #HalaMadrid

Gepostet von Real Madrid C.F. am Samstag, 20. Juni 2020

30 Tage waren an jenem Abend seit dem 24. Juli 2019 vergangen. Weitere 17 Tage und fünf Partien später durfte die Nummer 20 schließlich auch wieder von Beginn an mitmischen. Bedingt durch den wegen der Pandemie verzerrten Spielplan kam Asensio letzten Endes auf weitaus mehr LaLiga-Einsätze als es im Normalfall möglich gewesen wäre.

Mal eben mehr Saisontore als Hazard, Mariano und Jović

Um genauer zu sein waren es neun. Dabei gelang es ihm praktisch mal eben so, mehr Saisontore zu erzielen als seine Offensiv-Kollegen Luka Jović (zwei), Eden Hazard, Mariano Díaz, Brahim Díaz (je eins). Asensio trug sich in 334 Einsatzminuten dreimal in die Torschützenliste ein – gegen Valencia, Deportivo Alavés und CD Leganés. Darüber hinaus steuerte er beim Comeback-Spiel gegen Valencia auch noch eine Vorlage bei. Somit hatte auch er einen Anteil an der gewonnenen Meisterschaft der Madrilenen. „Er ist jetzt zweifelsohne mental stärker. Marco wird mit einer unglaublichen Kraft zurückkehren“, so Berater Horacio Gaggioli Mitte Mai. Keine leeren Worte. Zumindest bislang nicht.

Asensio: Bestimmt kein zweiter Jesé

REAL TOTAL hatte Ende Juli 2019 an den einstigen Fall Jesé Rodríguez erinnert und die Frage in den Raum gestellt, ob es für Asensio im Worst Case ähnlich bergab mit der Karriere gehen wird. Jesé, ebenfalls Flügelstürmer und einst auch Besitzer von Reals Trikotnummer 20, riss sich im März 2014 das rechte Kreuzband und konnte nach einer mehr als halbjährigen Pause nie mehr wieder an seine Top-Form herankommen. Mitte 2016 wechselte er zu Paris Saint-Germain, für das er bis heute auf lächerliche 16 Einsätze kommt. Seit 2017 dümpelt der Kanarier von Leihe zu Leihe, er hat aber nirgendwo Erfolg. Jesé steckt mit seinen erst 27 Jahren in einer Sackgasse. Das muss man auch erst einmal hinbekommen.

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Wie es in den kommenden Jahren wohl für Asensio laufen wird? Das bleibt abzuwarten. Aber so wie Jesé, dessen Laufbahn auch immer wieder von privaten Querelen beeinflusst worden ist, wohl bestimmt nicht. Der 24-malige Nationalspieler Spaniens, der im Jahr 2011 seine Mutter wegen einer Krebserkrankung verlor, ist ein bodenständiger Kerl und nahezu ständig von Vater Gilberto und Bruder Igor umgeben. Beide stehen ihm seit Jahren unterstützend zur Seite. Hinzu kommt, dass Zidane als großer Förderer von Asensio gilt und er auch weiterhin Trainer des weißen Balletts sein wird. Bleibt aus der Sicht des Madridismo nun nur noch zu hoffen, dass ein Horror wie der vom 24. Juli 2019 kein zweites Mal vorkommt…

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von
Filip Knopp

Begleitet den Mythos Real Madrid als Fan seit der Ära der „Galácticos“ und journalistisch bei REAL TOTAL seit Mitte 2011. Erfahrungen auch bei SPORT1 und SPOX, zudem Autor von »111 GRÜNDE, REAL MADRID ZU LIEBEN«.

Kommentare
Vielleicht wird er dem ganz großen Hype früherer Tage nie gerecht werden, aber ein wichtiger Spieler in Madrids Kader kann er definitiv werden. Nach seiner Verletzung steigerte er sich von Spiel zu Spiel und es ist nie verkehrt, jemanden wie ihn mit seinem Zug zum Tor im Team zu haben.
 

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