
“Real Madrid oder nichts”
Für Héctor Rial gab es 1954 nur noch eine Option: Real Madrid. Auch wenn die Königlichen damals mitnichten der Weltklub waren, wie man ihn heute kennt, so kannte man – zumindest als Südamerikaner – Alfredo Di Stéfano. Und weil der Königstransfer der Blancos sich außerdem höchstpersönlich um eine Verpflichtung seines argentinischen Landsmanns bemühte, teilte Rial seinem damaligen Arbeitgeber, Uruguays Rekordmeister Nacional Montevideo, kurz und knapp mit: “Fußball spiele ich nur noch für Real Madrid.”
Dem damals 25-jährigen Torschützenkönig der uruguayischen Liga kam es entgegen, dass er als Sohn spanischer Eltern auch den spanischen Pass besaß – und dass “Don Alfredo”, der längst nicht mit jedem Co-Star konnte, erst Ruhe gab, als Präsident Santiago Bernabéu ebenfalls Feuer und Flamme für Rial war. Als dieser 1948 mit CA San Lorenzo, königlicher Klub-WM-Finalgegner 2014, durch Europa reiste, hatte nämlich bereits der FC Barcelona versucht, den Angreifer zu verpflichten – vergeblich.
Sechs Jahre später setzte “el Nene”, das Baby, seinen Wechsel mit etwas kindlichem Trotz auch selbst durch – in eine Liga, in der sich José Héctor Rial Laguía sofort wohl fühlte. Fußballerisch stellte Spanien eine Umstellung dar, die er allerdings zu seinem Vorteil erkannte: “Es wird langsamer gespielt und mit weniger Eile, man muss den Ball aber schneller passen. Für mich war das einfacher.”
Rial und Gento wie Messi und Alba
Bei den Merengues, welche Di Stéfano soeben zur ersten Meisterschaft seit über 20 Jahren geführt hatte, fügte Rial sich nahezu perfekt in eine Sturmreihe ein, die sich in den nächsten Jahren zu einer der fulminantesten in der Geschichte des Fußballs entwickeln sollte.
Die Königlichen rangierten 1954/55 nach einem holprigen Saisonstart auf dem dritten Platz, als Rial, der zuvor als rechter Halbstürmer eingesetzt worden war, am 8. Spieltag bei Alavés erstmals als linker Halbstürmer aufgeboten wurde. Beim 4:2-Sieg machte es zwischen Zweien sofort klick – zwischen Rial und dem in seiner Debüt-Saison kaum überzeugenden Hochgeschwindigkeits-Linksaußen Francisco “Paco” Gento, den Präsident Bernabéu nur auf Bitten Di Stéfanos nicht sofort wieder verkaufte.
Als Alfredo Relaño, langjähriger Direktor der AS, in Bezug auf die Symbiose Lionel Messis und Jordi Albas Argentiniens Weltmeister-Trainer César Luis Menotti zitierte (“Aus individuellen Verbindungen entsteht ein großes Kollektiv”), musste er unweigerlich an Real Madrids linke Seite der 1950er-Jahre denken. Rial verstand es dank seiner Spielintelligenz und Passgenauigkeit wie kein anderer, das Tempo des “kantabrischen Sturmwinds” einzusetzen (Relaño: “Er war ein Meister darin”) – ein Angriffsschema mit Doppelpässen und Flügelläufen, das Real Madrid und gerade auch Vollstrecker Alfredo Di Stéfano fortan etliche Tore bescherte.

Der blonde Alleskönner (“Ich brauche einen Teamkollegen im Mittelfeld, der mir den Ball zurückspielt”) profitierte von seinem Wunschtransfer eigentlich überall auf dem Feld, da Rial stets in die Räume stieß, die Di Stéfano als nomineller Mittelstürmer verließ – oder Rial übernahm als Spielmacher, wenn “Don Alfredo” den Strafraum besetzte.
Nur ein Jahr nach der Ankunft Rials, der zu dieser Zeit schon seine ersten von insgesamt fünf Länderspielen für Spanien bestritt (ein Tor), nahm das schon bald legendäre “weiße Ballett” als erneuter Meister an der ersten Ausgabe des Europapokals der Landesmeister teil – es war die erste von fünf aufeinanderfolgenden, die die nimmersatten “Vikingos” bekanntlich allesamt gewannen.
Reims oder Madrid?
Auf den Erfolgen dieser einmaligen Generation fußt Real Madrids einstiger, aktueller und künftiger Ausnahme-Status, den sich um ein Haar womöglich die französische Top-Mannschaft Stade Reims geschnappt hätte. Die Reimser Dynastie um WM-Torschützenkönig Just Fontaine oder den zwischenzeitlichen Real-Star Raymond Kopa, die die Blancos auch im Landesmeister-Finale 1959 bezwingen mussten, hätte den königlichen Fabellauf schon im ersten Endspiel beinahe beendet, bevor er überhaupt beginnen konnte.
Für überrumpelte Spanier, die nach zehn Minuten bereits mit 0:2 zurücklagen, glich Rial nach Di Stéfanos Anschlusstreffer in der 30. Minute durch ein selbst eingeleitetes Tor zum 2:2 aus. Elf Minuten vor Schluss – es stand nach erneuter französischer Führung inzwischen 3:3 – rechneten viele Zuschauer bereits mit einer Verlängerung, als “El Nene”, der meistens die Nummer 10 trug, am zweiten Pfosten zum 4:3-Siegtreffer einschob. Die Königlichen waren die Könige Europas – und das für fünf lange Jahre.
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Immer wieder bewies Rial sich als Spieler für große Spiele, schoss in 23 Einsätzen im Europapokal der Landesmeister 14 Tore. So hatte der 1,76-Meter-Stürmer die Madrilenen schon 1956 im Halbfinale gegen Milan in Führung gebracht, 1957 traf er gleich in beiden Halbfinal-Spielen gegen Manchester United. Im Endspiel 1958 – wieder gegen Milan – erzwang Rial in der Schlussphase die Verlängerung (das 3:2-Siegtor erzielte Gento), im Halbfinale 1959 gegen Atletico (2:1, 0:1) schoss er im Hinspiel den wichtigen Ausgleich.
Als Rials Leistungen etwas nachließen und er ab 1960 mehr und mehr aus dem ersten Aufgebot verschwand, endete auch die große Ära des in die Jahre gekommenen weißen Balletts. 1961 schloss Rial sich nach sieben Jahren in der Hauptstadt noch Espanyol Barcelona an, zog nach einer enttäuschenden Saison – ebenfalls für ein Jahr – aber zu Olympique Marseille weiter. 1964 folgte die letzte kurze Etappe bei Unión Española, dann hängte der Spieler, der wie sonst nur Di Stéfano Real Madrids erste große Ära prägte, seine Schuhe an den berühmten Nagel.
Madrids wichtigste 10 – ein früher Tod
Fast nahtlos vollzog Rial den Wechsel ins Trainerwesen, stand bei Mallorca, Zaragoza, Las Palmas, La Coruña oder Elche am Seitenrand – 1972 trainierte er zudem die spanische Olympia-Auswahl. Mit Ferenc Puskás, Günter Netzer, Michael Laudrup, Luís Figo, Mesut Özil oder Luka Modrić trugen bei Real Madrid nach Héctor Rial noch viele große Namen das sagenumwobene Trikot mit der Nummer 10 – es schoss darin seitdem aber keiner mehr derart wichtige Tore wie “El Nene”, der 1991 an den Folgen einer schweren Krankheit mit nur 62 Jahren verstarb.
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