Reportage

Varane: Von hinkenden Vergleichen und überzogener Erwartung

Raphaël Varane ist Weltmeister, hat mit den Königlichen vier Mal die Champions League gewonnen und wurde vergangenes Jahr souveräner Meister. Dabei kassierte die Real-Defensive lediglich 25 Gegentore in 38 Liga-Partien. Und dennoch gibt es immer wieder kritische Stimmen zu dem Mann, der schon fast zehn Jahre lang das Trikot der Merengues trägt. Weil er in einem zu großen Schatten steht?

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Raphael Varane
Der Franzose stand aufgrund von Leistungsschwankungen zuletzt vermehrt in der Kritik. Aber zu Recht? – Foto: imago images / Cordon Press / Miguelez Sports

Achtelfinale in der UEFA Champions League. Vor der Brust: Manchester City. Im Nacken: eine 1:2 Hinspiel-Niederlage, die wett gemacht werden muss. Leader und Abwehrchef Sergio Ramos fehlt zu dieser wichtigen Partie aufgrund einer Sperre, Raphaël Varane soll die Defensive führen und das Kommando übernehmen. Doch das Unterfangen scheitert: Trotz eines guten Starts in die Begegnung unterlaufen dem Franzosen zwei folgenschwere Fehler – Real verliert und fliegt raus. Varane stellt sich, übernimmt die Verantwortung vor der Presse, denn diese hat schnell im 1,91 Meter-Mann den Sündenbock für das Ausscheiden ausgemacht. Kritik, die seitdem und bis heute nicht mehr ganz verstummen soll, denn jeder Wackler seit der Nacht von Manchester wird mit Argusaugen beobachtet und dem Verteidiger angekreidet. Der Vorwurf: Varane könne nur mit Ramos! Doch ist das berechtigt?

“Ohne Sergio waren wir defensiv nicht gut”

Dazu eine wichtige Info vorab – und das bitte auch immer im Hinterkopf behalten: Hat man einen Sergio Ramos in seinen Reihen, wäre dessen Fehlen überall zu spüren, denn ein Spieler dieses Formats macht jede Abwehrkette besser. Im Umkehrschluss: Den womöglich besten Verteidiger aller Zeiten kann man eben nicht 1:1 ersetzen. Varane hat also in seinem Nebenmann direkt die maximal mögliche Messlatte für seine Position zur Seite stehen. Vergleiche liegen nahe, allerdings hinken sie. Fehlt Ramos, fehlt natürlich auch dessen Leidenschaft, dessen Wille und Antrieb. “Als Sergio nicht dabei war, war die Mannschaft in keiner guten Verfassung”, erkannte auch der Franzose die Situation und führte fort: “Sein Charakter ist sehr gut für das Team.”  Vor allem bei Geisterspielen ist deutlich zu vernehmen, dass Ramos nahezu jeden Pass auf dem Spielfeld kommentiert und permanent dirigiert – er ist der Chef auf dem Rasen und seine Abstinenz hinterlässt stets Lücken. So erklärte auch Toni Kroos im September, dass er “was Kapitäne betrifft, bisher noch nichts Besseres gesehen” habe. An dieser stelle kann man Varane natürlich vorwerfen, dass er dieses Vakuum zuweilen nicht auszufüllen vermochte, aber macht das denn auch Sinn?

Gegen City erwischte der Verteidiger keinen guten Tag und bekannte sich im Nachhinein schuldig für das Ausscheiden in der Champions League – imago images / PA Images

Varane ist ein anderer Charakter als Ramos und keine billige Kopie, zumal es Spielertypen wie den Spanier nur alle paar Generationen geben kann. “Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, aber ohne Sergio waren wir defensiv zuletzt nicht gut”, gab auch der 67-fache französische Nationalspieler zuletzt zu bedenken, der selbst seine schwächsten Auftritte in Abwesenheit von Ramos hatte und sich deshalb dieser Vorwürfe ausgesetzt sieht. Allerdings sollten derartige Schuldzuweisungen immer mit Bedacht gestreut werden, denn ohne Dirigent, ist jedes Orchester nur noch die Hälfte wert. Varane hingegen kann und will sein spanisches Pendant nicht imitieren, und das aus gutem Grund: Es würde die vielbeschriebene gegenseitige Ergänzung schmälern und damit die Gesamtleistung sinken. Daher ein weiterer Hinweis für alle notorischen Kritiker des Franzosen: Raphaël Varane ist nicht Sergio Ramos! Denn, die Mischung macht’s, so sieht es auch die Nummer 5 der Königlichen: “Meine Qualitäten ergänzen sich zu denen von Sergio sehr gut. Ich mache Sergio besser und er macht mich besser”, schildert der besonnene, selten foulende geschweigedenn Karten kassierende und nicht aus der Ruhe zu bringende Varane die Harmonie mit Kollege Ramos. Logisch auch deshalb, dass jeder ohne seinen eingespielten Partner nicht ganz an sein Limit kommt.

Statistiken: Varane mindestens gleichauf

Bezeichnend auch: In LaLiga bringt es Varane auf durchschnittlich 4,3 Klärungen pro Partie – nur neun Spieler haben noch bessere Werte, darunter kein Ramos, sondern beispielsweise Raúl Albiol (4,5) oder David García (5,3). Auch Team-intern nehmen sich die beiden hinsichtlich Balleroberungen nicht viel, wohingegen Varane mit viel weniger Fouls auskommt – allesamt eigentlich keine neue Erkenntnisse.

Zahlen sprechen für Varane

Und weiter im Kontext: Besser wäre es grundsätzlich, von einer Symbiose der beiden zu sprechen, in der sie jeweils voneinander profitieren. Ramos fehlte in der vergangenen Saison nebst dem einleitend erwähnten Spiel gegen City auch bei drei Aufeinandertreffen in LaLiga: Allesamt wurden gewonnen und nur dem FC Sevilla gelang ein Treffer gegen die Abwehrkette, welche von Varane stellvertretend gesteuert wurde. Der 2011 vom RC Lens gekommene Verteidiger fehlte übrigens in jener Saison sechs Mal, wobei die Königlichen lediglich bei drei dieser Spiele siegreich das Feld verlassen hatten. Zahlen, die eher für Varane, als für Ramos sprechen. Denn auch der Kapitän scheint mit Varane besser zu können, als mit anderen Verteidigern. Nur erntet der Kapitän dafür keine Kritik, die erstickt er mit seiner Offensivkraft, welche bei Varane nicht derartig ausgeprägt ist, allerdings auch schon zu 15 Toren in 328 Auftritten für die Blancos geführt hat.

Jetzt kann man natürlich noch explizit den schwachen Auftritt von Varane gegen Donetsk monieren, wo der 27-Jährige alles andere als eine gute Figur gemacht hatte, aber irgendwo gehört das auch zu den gängigen Höhen und Tiefen einer Spielzeit. Zumal die Blamage gegen die Ukrainer auch als kollektiver Tiefschlaf verbucht werden kann, worin der Abwehrmann mit Wurzeln aus Martinique als eines der letzten Glieder in einer viel zu langen Fehlerkette agierte. Und auch Ramos – bei all seiner “Sturm- und Drangphase” – ist in erster Linie Verteidiger und dabei nicht völlig abstinent gegenüber etwaigen Wacklern in der Defensivarbeit, wie unter anderem zuletzt gegen Gladbach in der Königsklasse.

Nicht fehlerfrei, aber Weltklasse

Was bleibt? Varane ist nicht frei von Fehlern, korrekt. Die Ausrutscher von City waren eklatant, sind aber auch abgehakt: “Das gehört der Vergangenheit an”, sagt er selbst zu dem Thema und zieht inzwischen Positives daraus: “Aus der Vergangenheit muss man lernen und dann stärker und besser werden.” Zudem sollte eine ganz wichtige Tatsache keineswegs vergessen werden. Varane ist eben erst 27 Jahre alt, was angesichts seiner bereits zehnten Spielzeit für die Merengues kaum zu fassen ist. Zwar kein junges Früchtchen mehr, aber noch auf dem weg an den Zenit seiner Schaffenskraft. Auch der sieben Jahre ältere Ramos wurde erst mit zunehmendem Alter immer wichtiger für die Zidane-Elf. Ein Prozess, der Varane noch bevorstehen kann.

Sergio Ramos Raphael Varane
Varane und Ramos ergänzen sich ideal und bilden eines der besten Verteidiger-Pärchen der Welt – Foto: imago images / Alterphotos

„Ich fühle mich reifer, kompletter und abwechslungsreicher in meinem Spiel. Ich habe als Profi sehr früh angefangen und für die Position im Abwehrzentrum braucht man Zeit und Erfahrung”, schätzte der Franzose im Sommer seine Situation ein.Manchmal vergessen wir mein Alter, normalerweise erreicht man seinen Zeit auf der Position zwischen 28 und 30. Ich bin jetzt 27, von daher komme ich dem näher.” Bei all der Kritik sind das doch rosige Aussichten, für das Abwehrzentrum der Königlichen. Nicht umsonst ist er der Feldspieler mit der drittmeisten Einsatzzeit (auch vor Ramos) beim Gewinn des Liga-Titels gewesen. Und auch wenn wieder Fehler passieren sollten, ist der Weltmeister von 2018 inzwischen auf einem derartigen Niveau, dass er unbeirrt seinen Weg weitergehen wird – denn genau das macht einen Weltklasse-Spieler aus.

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von
Christian Graber

Anhänger der Königlichen seit dem bitteren Halbfinalaus in der Champions League-Saison 2001 gegen die Bayern und seitdem Verehrer der Klubphilosophie. Spezifische Kenntnisse des Fußballmarktes in Lateinamerika und bekennender Freund der "Joga-Bonito-Kultur".

Kommentare
Was ihm fehlt ist die Persönlichkeit, welche ein Ramos zweifelsohne hat. Deshalb profitieren die beiden auch voneinander wie in einer zitierten Symbiose.

Militao ist letzen Endes auch kein Wortführer und Anpeitscher. Da mittlerweile auch Marcelo in die Jahre kommt und auch Courtois nicht ein solcher "Haudegen", fehlt der Spielertyp Ramos halt unglaublich (wenn er nicht spielt).

Die Frage die sich bei mir auftut: Wer könnte einen Ramos auf lange Zeit denn ersetzen? Alaba wohl kaum! Van Dijk bei Liverpool nicht wegzudenken und verletzt. Upamecano? Ist der wirklich besser oder anders als Militao? Boateng? Marcinhos? .... wird halt schwierig.

Wir sollten uns also einfach allesamt glücklich schätzen wenn wir diese beiden Spielertypen auf dem extremen Niveau noch möglichst lange gleichzeitig in unseren Reihen haben. Zusammen für mich das beste IV-Duo der Welt!
 
Genau so wie andere Spieler auf dem Feld ihre Mühe haben, wenn sie jahrelang neben einem Spieler gespielt haben und der nicht mehr da ist, ist das eben auch bei Varane und Ramos der Fall.
Varane sieht neben Militao etc. nicht ganz so gut aus, aber das hat auch Gründe der Abstimmung etc., die mit Ramos einfach sitzen ohne dass man was rufen muss, fragen muss, gucken muss..
Auch ein Benzema hat mehr Probleme mit seinem Passspiel neben Vini. Auch ein Modric muss sich auf einen Valverde anders einstellen als auf Kroos, usw.
Die Begründung, dass Varane ohne Ramos nicht gut genug sei und er nur durch ihn getragen werde ist einfach nicht richtig, alleine schon, weil er an der letzten WM der beste IV im Turnier war und das ganz ohne Ramos. Aber mit einem Umtiti ist die Abstimmung halt vielleicht etwas einfacher als sie aktuell noch mit Militao ist.

Varane ist einer, der wenigen Spieler, die ich für keinen zweiten Spieler tauschen würde. Nicht für einen Van Dijk, nicht für einen Koulibaly, De Ligt oder Laporte. Varane ist seit Jahren weltklasse und er hat noch locker 6-7 Jahre vor sich. Ramos in Varanes Alter wurde auch oft kritisiert für seine Fehler, seine rote Karten, und vieles mehr aber trotzdem ist er der beste IV der letzten 15 Jahren, vielleicht sogar der beste IV aller Zeiten.
 
Mir wurde gerade wieder klar, wie jung Varane eigentlich noch ist: Rapha ist erst 27 und wie im Artikel bereits erwähnt, wird er mit fortschreitendem Alter sogar noch besser werden, obwohl er jetzt schon seit Jahren zu den Besten zählt. Er ist schon so lange dabei (seit 2011!) und war trotz seiner Aussetzer über die Jahre immer ein Fels in der Brandung. Seine Konstanz ist weltklasse. Da können die medial hochgehypten Verteidiger, die vor einem Jahr noch niemand kannte, nur davon träumen. Ich bin zuversichtlich, dass Varane sogar noch weiter wachsen wird und in Zukunft auch ohne Ramos prima performen wird - selbst wenn er nicht zum alleinigen Abwehrchef aufsteigen sollte.
 
Er ist trotzdem ebenfalls mittlerweile unverzichtbar geworden, auch wenn er im Moment einen Hänger hat, aber den hatte Ramos ebenfalls mehrmals in seiner Kariere in Madrid - auch er ist öfters nicht fehlerlos - aber in Summe gesehen ist Rapha eine Bank für unsere Abwehr !
 
Zuletzt bearbeitet:
Um Varane muss man sich keine Sorgen machen. Wie viele Patzer hatte er denn vor dem City-Spiel? Da wird zu viel draus gemacht. Ne schlechte Phase hat jeder mal. Er ist und bleibt die Gegenwart und die Zukunft. Natürlich muss er kommunikater und aktiver auf dem Platz agieren um wirklich der Abwehrchef zu werden. Richtig in diese Rolle reinwachsen wird er aber erst wenn Ramos nicht mehr an seiner Seite spielt, ist doch völlig logisch neben einem Alphatier wie Sergio. Zur Zeit ergänzen sie sich eben auch perfekt in der aktiveren und passiveren Rolle. Die Kritik wird Varane nur noch besser machen.
 
Bitte holt den Alaba.
 
Varane ist einer der konstantesten Verteidiger auf der Welt. Das ist, vor allem auf solch hohem Niveau nicht selbstverständlich. Die Kombination aus Ruhe, Schnelligkeit, Robustheit und Technik besitzt im modernen Fußball kaum wer anderes als Varane und der bringt das schon seit Jahren auf den Platz - obwohl er schon gefühlt ewig dabei ist, ist er nur 27; das bedeutet er sollte noch mindestens 5 Jahre Spitzenniveau in sich haben und wenn er sich gut um seinen Körper kümmert und von großen Verletzungen verschont bleibt, dann verweilt er sogar noch länger an der Weltspitze.

Dass er nicht der Leader ist, wie es ein Sergio Ramos ist, ist klar. Varane ist der ruhige Part in der Partnerschaft zwischen den beiden, aber genau so einen Ruhepol braucht die Mannschaft. Die Dyanmik zwischen den beiden ist somit hervorragend! Wer weiß, vielleicht wächst Varane auch mehr in die Rolle des Leaders rein, wenn Ramos nicht mehr da ist.
 
Habe bei der Überschrift mehr Kritik erwartet aber das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Denke nicht das Ramos es umgekehrt in den verschiedenen Konstellationen mit Militao oder Nacho, Marcelo und Vazquez bzw. Mendy auf Rechts, oder Mendy und Vazquez so viel besser gemacht hätte. Wenn 1-2 Herren auf einer ungewohnten Position spielen und neben denen auch noch 1-2 (insgesamt also 3) Herren recht wenig Spielzeit bekommen dann kann die Abstimmung m. M. n. auch gar nicht Stimmen, sei Varane nun ein guter Abwehrchef oder nicht. (Hoffe jedenfalls er übt kräftig in der NM und wird noch selstbewusster sobald der Chef mit der 4 seine Treter an den Nagel hängt und er wirklich der Chef sein soll, nicht nur der Aushilfsschef.)

Schade an der Thematik finde ich jedenfalls das Ramos so viel mehr Narrenfreiheit bekommt als Varane. Kann mich in den letzten Jahren auf jeden Fall an mehr Fehler von Ramos als Varane erinnern, deshalb ist Varane m. M.n. zumindest so unauffällig, weil er im Normalfall halt so fehlerfrei spielt. Natürlich wird das bei Ramos oft von seiner überragenden Qualität in der Offensive kaschiert, aber das sollte bei der Bewertung eines IV ja nicht ausschlaggebend sein.

Abschließend würd ich also sagen das die Kritik völlig unberechtigt ist und höchstens angebracht wäre, wenn sich die Fehler weiter häufen würden, sobald Dani zurück und die Abwehr wieder komplett ist.
 
Um Varane muss man sich keine Sorgen machen. Wie viele Patzer hatte er denn vor dem City-Spiel? Da wird zu viel draus gemacht. Ne schlechte Phase hat jeder mal. Er ist und bleibt die Gegenwart und die Zukunft. Natürlich muss er kommunikater und aktiver auf dem Platz agieren um wirklich der Abwehrchef zu werden. Richtig in diese Rolle reinwachsen wird er aber erst wenn Ramos nicht mehr an seiner Seite spielt, ist doch völlig logisch neben einem Alphatier wie Sergio. Zur Zeit ergänzen sie sich eben auch perfekt in der aktiveren und passiveren Rolle. Die Kritik wird Varane nur noch besser machen.

Man sollte ihn vor allem öfter entlasten, er spielt bei uns nahezu jedes Spiel und bei den Franzosen läuft er auch im unwichtigsten aller Murksspiele, trotzdem jedesmal auf. Die drei relevanten IV Optionen sollten viel öfter rotieren, dann könnte man auch Militaos Potential endlich mal wirklich einschätzen und Raphael wäre frischer, physisch wie psychisch.
 

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