
Acht Jahre ist es jetzt hier. Als damals frischgebackener Weltmeister macht ein gewisser Toni Kroos mit 24 Jahren seinen, im Nachhinein betrachtet, wohl wichtigsten Karriereschritt. Nach einer sehr erfolgreichen Zeit beim FC Bayern München verabschiedet sich der defensive Mittelfeldspieler aus Deutschland, um sein Glück in Spanien zu versuchen, bei Real Madrid. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2022 und das Fazit ist einfach: der Versuch ist geglückt. Wie auch nicht, wenn man der einzige deutsche Fußballer mit fünf Champions-League-Titeln ist? Im Interview mit dem KICKER verrät der 32-Jährige, wie es zu diesen Erfolgen in der Königsklasse kommen konnte und spricht auch über seine ersten Kontakte mit dem runden Leder.
„Real hat über Jahre schlau eingekauft“
Kein Verein kann von sich behaupten, drei Mal in Folge die UEFA Champions League gewonnen zu haben, bis auf eine kleine Ausnahme: Real Madrid. 2016, 2017 und 2018. Toni Kroos erlebte diese spektakuläre Zeit hautnah mit und nennt die drei Hauptfaktoren, die diesen Erfolg überhaupt erst möglich machen konnten: „Es gibt mehrere Geheimnisse. Zunächst hat Zinédine Zidane es sehr gut verstanden, die Gruppe zu managen und alle Spieler bei Laune zu halten. Zweitens war da eine außerordentlich hohe Qualität im Kader. Und drittens stand immer eine Mannschaft auf dem Platz. Nicht elf Freunde, aber elf Spieler, die dem Erfolg alles unterordneten und immer bereit waren, als Team auf den Platz zu gehen. Dazu kam in einigen Spielen auch das Matchglück, das du brauchst. 13 perfekte Spiele schaffst du nicht in einem Wettbewerb von derart hoher Qualität und Leistungsdichte. Du musst lernen, schwere Situationen zu überstehen, und dann kommt das Glück zu dir.“
Und noch eine vierte Geheimzutat machte die Blancos in diesen drei Spielzeiten so unschlagbar – die Einkaufspolitik: „Der Mix stimmte perfekt. Real hat es verstanden, Spieler zu entwickeln und dazu über die Jahre sehr schlau einzukaufen. Das erhöht die Chance, Titel zu holen. Gareth Bale oder Cristiano waren ja nicht billig. Aber bei ihnen stimmte die Qualität und sie erfüllten die Voraussetzungen, was den Teamgeist anging. Einfach nur die teuersten Spieler zu holen, um sich mit ihnen zu schmücken, das hätte nicht hingehauen. Ebenso wenig wäre es allein mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs gegangen.“
„Die Familie im Stadion gibt mir zusätzlich Kraft“
Bei all den Titeln fiel es dem Deutschen gar nicht so schwer, den wertvollsten auszuwählen: „Tatsächlich ist der erste Titelgewinn mit Real Madrid 2016 für mich der wertvollste. Ich bin damals unter anderem deshalb zu Real gewechselt, um mit diesem großen Klub einmal die Champions League zu gewinnen. Das ist an diesem Abend gelungen. Und dieser Titel bedeutete mir auch mehr als der Titelgewinn mit den Bayern, weil ich da im Finale verletzt fehlte. Das war deshalb eher nur so ein halber Gewinn für mich.“
Allerdings bekundete der fünffache Königsklassen-Sieger schon nach dem Finale, dass sein eigentliches Highlight und die größte Kraftquelle seine Familie sei, erst seine drei Kinder und Ehefrau Jessica machen diese Momente besonders: „Man ist als Profi eines Spitzenklubs viel unterwegs. Wenn man es dann in ein großes Finale schafft, und die Familie ist im Stadion – das gibt mir zusätzlich Kraft. Ich weiß, dass sie dann auf der Tribüne sind, mich anfeuern, hinter mir stehen und mitfiebern. Das entschädigt und gibt mir das Gefühl, dass wir es gemeinsam erreicht haben.“

„Die Fernbedienung flog durch den Raum“
Die berühmte Hymne, die vor jeder Champions-League-Partie eingespielt wird, löst nicht nur bei jedem Fan Gänsehautstimmung aus, auch für den Routinier sind diese Töne das Zeichen für eine besondere Partie, raus aus dem LaLiga-Alltag. „Wer ein Problem mit der Motivation hat, der sollte sie spätestens in diesem Moment nicht mehr haben“, so die Meinung des Greifswalders, der durch seinen Vater schon sehr früh Bekanntschaft mit den Emotionen in diesem Wettbewerb machen durfte. Genauer gesagt beim berühmten Endspiel zwischen Manchester United und dem FC Bayern 1999: „Mein Vater ist ein großer Bayern-Fan, und ich erinnere mich, dass plötzlich die Fernbedienung durch den Raum flog, als Manchester in letzter Minute das Finale drehte. Da bin ich zum ersten Mal mit diesen Emotionen konfrontiert worden, mit dem, was Erfolg und Misserfolg mit den Fans macht. So hatte ich meinen Vater noch nicht erlebt.“
Glücklicherweise bleiben seine Erinnerungen nicht nur an fliegenden Fernbedienungen hängen, sondern auch an einem ganz speziellen Champions-League-Moment: „Ein Highlight war sicher, als mein Vater mit mir 2004 zu einem Champions-League-Spiel nach Bremen fuhr, Werder spielte gegen Inter Mailand. Da war ich 14 und sah zum ersten Mal mein Idol Johan Micoud live. Das war ein spezieller Abend, ein tolles Vater-Sohn-Ding.“
„Dreimal Toni Kroos wäre nicht so effektiv“
Das Idol, welches Toni Kroos im Franzosen Joan Micoud sah, ist er heute für viele selbst und mehr noch: Er ist Teil eines Teams voll von diesen Vorbildern. Einige davon sind leider nicht mehr Teil des Klubs, wie zum Beispiel Cristiano Ronaldo: „Wir haben wenig Kontakt, wenn, dann eher zufällig. Zweimal haben wir uns im Urlaub getroffen, aber das war nicht geplant. Er ist ja nach wie vor mein Nachbar hier in Madrid, er hat sein Haus behalten. Manchmal sehe ich seine Familie. Und ich kann mir vorstellen, dass er nach der Karriere nicht in Manchester bleibt und wir uns dann möglicherweise hier wieder häufiger sehen.“
Natürlich kam er als ehemaliger Mannschaftskollege und Sitznachbar in der Kabine nicht an der Frage vorbei, ob er den Portugiesen für den besten Spieler hält: „Dass Cristiano zu den Besten überhaupt gehört, da kommt man nicht drum herum. Das gilt genauso für Leo Messi. Aber diesen einen Besten, den sehe ich nicht. Weil man schwer vergleichen kann, wer was auf dem Platz leistet und wie sich das Spiel über die Jahrzehnte verändert hat.“ Die Antwort überrascht wenig.
Viel interessanter ist da schon zu erfahren, warum sein Mittelfeldgespann gemeinsam mit Luka Modrić und Casemiro bisher so gut harmonierte: „In erster Linie liegt es an der Qualität. Dann daran, dass jeder von uns seine Eigenschaften genau kennt und dementsprechend so einbringt, dass sie im Verbund funktionieren. Dreimal Toni Kroos, das wäre nicht so effektiv. Wir ergänzen uns auf dem Platz, weil wir Lust haben, zusammen zu spielen und zusammen Erfolg zu haben. Und wir haben eine tolle Mannschaft um uns herum, die hinten verteidigt und vorne vollstreckt.“
„Erfolg hast du nur, wenn du willst“
Einen starken Einfluss auf das Funktionieren dieses Gespanns und des gesamten Teams hatten auch die beiden Legenden Carlo Ancelotti und Zinédine Zidane. Beide verbuchten enorme Erfolge mit den Blancos. Carlo Ancelotti krönte sich damit zuletzt erst zum einzigen Trainer mit fünf CL-Titeln. Für Toni Kroos sind beide sehr ähnlich: „Sie verbindet sehr viel. Was auch daran liegt, dass ‚Zizou‘ unter Ancelotti schon Co-Trainer war. Beide beherrschen den Umgang mit den Spielern sehr gut. Sie begegnen uns auf Augenhöhe, was Profis sehr mögen. Und sie haben eine klare Idee davon, wie sie Fußball spielen lassen. In dieser Bewertung kommen sie mir – genauso wie Jupp Heynckes – mitunter zu schlecht weg. Ich hatte während meiner Karriere verschiedene Trainer und dementsprechend Eindrücke von deren Arbeit. Natürlich war, was die Taktik anging, Pep Guardiola sehr beeindruckend. Aber das gilt für die anderen genauso.“
Bei Fußballern spricht man oft davon, dass sie irgendwann titelmüde werden und so Stück für Stück aus der Erfolgsspur geraten. Toni Kroos aber wirkt überhaupt nicht so, als würde er auch nur einen Prozent nachlassen wollen und macht dennoch ganz deutlich klar: „Erfolg hast du nur, wenn du willst. Wenn du diesen Willen nicht mehr spürst, dann kannst du aufhören. Ich will dieses Gefühl immer wieder haben, jedes Spiel zu gewinnen. In jedem Wettbewerb. Das ist der Grundgedanke bei Real Madrid. Weniger geht nicht und wird auch nicht akzeptiert. Wenn der Spaß irgendwann einmal nachlässt, dann höre ich sofort auf. Das gebietet der Respekt vor Real Madrid.“
Die letzte Saison dürfte dem frischgebackenen CL- und LaLiga-Sieger viel Spaß bereitet haben und mindestens eine Saison – sein Vertrag läuft bis Sommer 2023 – kann er mit Real Madrid im absoluten Optimalfall sechs weitere Titel sammeln.
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