
Nacho, oder auch vollständig José Ignacio Fernández Iglesias genannt, ist nicht der Torjäger, wie Benzema, nicht das Passmonster, wie Toni Kroos und auch nicht der Dribbelkünstler wie Luka Modrić. Extravaganz oder anderweitige Auffälligkeiten gehören ebenso wenig zu seinem Repertoire. Dennoch gehört der Spanier seit seinem Debüt am 23. April 2011 gegen den FC Valencia zu den größten Konstanten bei den Blancos, hat unzählige Teamkollegen erlebt und ist dabei immer die willkommene Alternative für jeden Trainer geblieben. Obwohl er auf den ersten Blick nicht besonders erscheint, macht ihn gerade seine Normalität für die Königlichen so wertvoll: Wenn er gebraucht wird, ist er stets zur Stelle, wenn er in das zweite Glied zurücktreten muss, verhält er sich wie ein demütiger Profi, der auf die nächste Chance lauert. Kurzum: ein großes Geschenk für jeden Trainer.
Kein Häuptling, aber ein Indianer
Gerade in einer Welt, in der so viele Häuptlinge existieren, wird oft die Wichtigkeit der Indianer vergessen. Nacho ist ein solcher Indianer, der sich in den Dienst der Mannschaft stellt und seine eigenen Befindlichkeiten denen seines Team unterordnet. „Jeder weiß, dass ich auf verschiedenen Positionen spielen kann. Das habe ich immer getan. Ich betrachte mich als Innenverteidiger, dort kommt meine Qualität für die Mannschaft am meisten zum tragen. Dort habe ich nämlich praktisch mein ganzes Leben gespielt”, beschrieb der Defensiv-Allrounder vergangene Saison selbst seine Stärken, wohlwissend ob seiner Flexibilität. „Aber ich kann dem Team auch auf der Seite helfen. Diese Saison haben wir auf diesen Positionen ziemlich viele Ausfälle, sodass ich auf beiden Seiten zum Einsatz komme. Ich habe mich daran gewöhnt und Erfahrung, um es gut zu machen. Der Trainer weiß aber, dass meine eigentliche Position in der Mitte ist.“ Es ist genau die Bereitschaft auch unliebsame Rollen zu begleiten, welche als Überlebens-Elixier für den Spanier an der Concha Espina wirkt. Wo Stars kommen und gehen, ist Nacho immer geblieben und geht jetzt in seine 13. Spielzeit in der ersten Mannschaft, die 22. insgesamt im Verein – keiner hat mehr!
Das fünfte Rad am Wagen
Eine derart lange Treue zu einem Klub ist im heutigen Fußball-Geschäft nahezu undenkbar, was Nacho auch zu einer herausragenden Identifikationsfigur für alle Madridistas mutieren lässt. Und trotz lukrativer Angebote, unter anderem von der Roma, blieb er immer Standhaft: „Ich bin ein glücklicher Spieler und dort, wo ich sein will. Ich bekam Offerten und man bot mir sportlich etwas an, was ich in Madrid vielleicht nicht erreiche. Ich bin aber ein glücklicher Spieler und würde momentan nirgendwo anders hingehen“, schob der Spanier etwaigen Gerüchten einen Riegel vor. Rein sportlich betrachtet wird allerdings auch die neue Saison für den 1,80 Meter-Mann auf seiner angestammten Position in der Innenverteidigung an Alaba, Militão oder neuerdings auch Rüdiger kein vorbeikommen sein. Deshalb wird improvisiert. Die Flexibilität von „Nachete“, gepaart mit der Bereitschaft auch auf Außen zu spielen, eröffnet ihm die Möglichkeit, zumindest punktuell als Linksverteidiger einzuspringen, weil dort hinter Stammkraft Mendy und nach dem Abgang von Marcelo (noch) kein Backup zur Verfügung steht. Auf der rechten Seite wäre eventuell auch die Rolle als Backup von Carvajal vakant. Die hohe Belastung während einer Saison und die damit einhergehenden Rotationen im Laufe des Jahres passen perfekt zur Geduld des in Madrid geborenen Verteidigers, was den „Mister Zuverlässig” aus der spanischen Hauptstadt für Ancelotti zu einem unverzichtbaren Baustein werden lassen könnte.

Real Madrid und nichts anderes
Das dürfte letztlich auch die Fans freuen. Nicht nur, dass seit über einem Jahrzehnt ein Canterano in Reihen der Blancos auftaucht, der sein ganzes Herzblut für das Wappen auf der Brust in die Waagschale wirft. Sondern auch, dass mit Nacho und dessen offenkundigem Wunsch nach einem Karriereende bei den Königlichen der erste One-Club-Man seit „Manolo” Sánchís in der Pipeline steckt: Seitdem der Verteidiger elf Jahre alt ist, schnürt er die Schuhe für die Blancos, durchlief die hiesigen Jugendmannschaften, war fünf Jahre in der Castilla aktiv und agierte ab 2011 bereits sporadisch für das Profiteam, wo er sich Jahr für Jahr seine Einsatzzeiten erarbeiten konnte. Heute fungiert er gar im Amt als Vizekapitän des größten Klubs der Welt, als Resultat von inzwischen zwölf Spielzeiten im weißen Dress, in denen er auf 186 Liga-Einsätze und 50 Auftritte in der Königsklasse kommt.
Daher scheint es kein großes Wunder, dass bereits vergangenen Sommer sein Arbeitspapier bis Sommer 2023 verlängert wurde und der Wunsch vom Karriereende bei den Königlichen weiterleben darf: „Real Madrid ist mein Zuhause. Ich kann mir ein Leben ohne Real Madrid nicht vorstellen“, sagte der Verteidiger damals zu seinem neuen Vertrag. Was den diagnostizierten Typ-1-Diabetiker antreibt, derartige Leistungen abzurufen, führt er selbst auf emotionale Beweggründe zurück: „Ich bin sehr stolz darauf, noch weitere Jahre für Real Madrid zu spielen. Es ist ein einzigartiger Traum. Als Kind träumt man davon, bei dem Klub seiner Träume zu spielen, in meinem Fall Real Madrid. Ich habe davon geträumt, ein Spiel zu spielen, und jetzt, wo ich so viele habe, habe ich immer mehr Kraft und Lust, meinen Job weiter gut zu machen und natürlich Träume zu erfüllen.“ Also eigentlich alles getreu der Vereinshymne: Real Madrid y nada más. Real Madrid und nichts anderes!
Vergleich mit ganz Großen
Während bereits angesprochener Manuel Sanchís mit insgesamt 687 Spielen für die Königlichen zwar mehr Einsatzzeit in dessen Karriere verbuchte, hat als Trophäenhamster mit fünf Champions-League-Titeln, vier Weltpokalen, je drei spanischen Meisterschaften und Siegen beim UEFA Super Cup sowie einem Triumph im Pokal hingegen Nacho die Nase vorne. Mit solchen Zahlen braucht sich der Verteidiger aber ohnehin vor kaum einem Fußballer dieses Planeten zu verstecken. Das liegt vermutlich auch am Selbstverständnis, welches Fernández bei den Blancos seit über 20 Jahren geimpft bekommt und zu verinnerlichen scheint: „Das Ziel ist es, so viele Titel wie möglich zu gewinnen, und das ist die Mentalität, die man uns beigebracht hat, seit wir in diesen Verein gekommen sind“, sagt der 32-Jährige im Hinblick auf die neue Saison und äußerte erst kürzlich den ambitionierten Wunsch für die neue Spielzeit, „das Gleiche oder sogar mehr zu erreichen.”

Auch wenn nie alle Skeptiker gegenüber „el Kaiser“ verstummen werden, ist seine nun 13. Spielzeit bei den Königlichen doch Beweis genug für dessen Qualitäten. Damit wird Nacho als zweitdienstältester Profi dann sowohl für alle Teamkollegen, aber auch die Fans im Stadion oder vor dem Fernsehgerät ein Vorbild sein – egal ob er zwei, oder drei Top-Leute vor sich hat. Eben weil er ein Akteur ist, der exakt die Rolle einzunehmen versteht, welche im jeweiligen Moment seinem Team am meisten hilft. Es sollte viel mehr Sportler dieser Art geben und Real Madrid kann sich glücklich schätzen, schon solange einen derartigen Teamplayer in den eigenen Reihen zu wissen. „Ich komme aus diesem Verein und kenne die Werte perfekt. Die jungen Leute habe ich immer sehr gut behandelt, so wie jetzt auch”, sagt der 32-Jährige angesprochen auf seine Rolle im Team und fügt an: „Ein Kapitän zu sein, gibt dir etwas mehr Verantwortung, aber ich versuche immer, dem Team zu helfen, vor allem den jungen Spielern.” Wie sehr er letztlich helfen kann und wie wichtig dieser Mann für seine Mannschaft ist, werden viele womöglich nie vollkommen schätzen. Ein Blick in die Vita des ewigen Nacho sollte zumindest genügen, um die Frage nach dem Status als Backup oder Legende zu beantworten.
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