
1. Patzer mit Ansage und Kalkül
Nach 14 Siegen und zwei Unentschieden kassierte Reals Madrid die erste Pflichtspiel-Niederlage der laufenden Saison. Außerdem war es die erste Niederlage der Blancos gegen eine deutsche Mannschaft seit dem 0:2 in Wolfsburg im Champions-League-Viertelfinale am 6. April 2016.
Es musste einmal passieren und die erste Saisonpleite kam mit Ansage. Fast scheint es, als hätte Carlo Ancelotti den Patzer bewusst einkalkuliert und „provoziert“. Karim Benzema (Muskelermüdung), Federico Valverde (angeschlagen), Daniel Ceballos (Aufbautraining), Mariano Díaz (angeschlagen), Luka Modrić (angeschlagen) fehlten ohnehin, doch Reals Coach verzichtete in Leipzig zudem auf weitere Stammkräfte in der Startelf und ließ David Alaba, Dani Carvajal und Ferland Mendy auf der Bank. Die Partie bei Sachsen bot sich an, so viele Spieler wie möglich zu schonen. Die Königlichen standen mit zehn Punkten auf dem ersten Platz und hatten bereits mit dem Unentschieden bei Shakhtar Donetsk das Achtelfinale der Champions League auch rechnerisch erreicht. Zwar hätte ein Punkt am Dienstagabend gereicht, um den Gruppensieg vorzeitig zu sichern, es ist jedoch verständlich, dass Ancelotti und seine Mannschaft es nicht mit aller Macht haben angehen lassen. Die Belastung im Oktober war und ist immens, mit der Partie in Leipzig absolvierte Real die vierte englische Woche in Folge.
Der Pflichtspiel-Marathon geht bis zur WM-Vorbereitung ab dem 11. November unverändert weiter – bis dahin wird das Team zwölf Partien innerhalb von 39 Tagen absolviert haben. Trotz der ersten Saisonniederlage meisterte Ancelottis Truppe das harte Programm bisher mit Bravour: In LaLiga steht man mit drei Punkten Vorsprung auf den FC Barcelona auf dem ersten Tabellenplatz und in der Königsklasse kann mit einem Dreier im Heimspiel gegen Celtic (2. November, 18.45 Uhr)der Gruppensieg unter Dach und Fach gebracht werden.
2. Defensive von Real Madrid wackelt bedenklich
Auch wenn die Niederlage an sich sportlich verschmerzbar ist, gibt die Art und Weise, wie sie zustande kam, Anlass zur Sorge. Das gilt in erster Linie für die Defensive der Merengues, die sich seit Saisonbeginn verwundbar und anfällig präsentiert. Mit den drei Gegentreffern in Leipzig kassierte Real Madrid im bisherigen Saisonverlauf 14 Tore in 17 Pflichtspielen.
Dabei blieb die Mannschaft lediglich fünfmal ohne Gegentor, je zweimal in LaLiga (bei Getafe und in Elche) und Champions League (bei Celtic und daheim gegen Leipzig) sowie im UEFA Super Cup gegen Eintracht Frankfurt. Einer der Gründe dafür ist sicherlich die verletzungsbedingte, aber auch durchaus gewollte ständige Rotation im Abwehrverbund. Mit Éder Militão, David Alaba, Antonio Rüdiger und Nacho Fernández kamen bis dato vier Spieler als Innenverteidiger zum Einsatz, wobei die drei Letztgenannten hin und wieder auch als Außenverteidiger fungieren mussten.
Im Vergleich zur Vorsaison kam der verletzungsbedingte Ausfall des Welttorhüters Thibaut Cortois erschwerend hinzu, der in sechs Partien durch Andriy Lunin ersetzt werden musste. So konnte sich bis jetzt keine feste Abwehrformation herausbilden und einspielen. Gleichzeitig hinken Militão und Alaba der Vorjahresform noch hinterher, und Rüdiger ist immer noch dabei, sich vollständig einzubinden und zu integrieren. Die Defensivreihe bestehend aus Lucas Vázquez, Militão, Nacho und Rüdiger wirkte in Leipzig teilweise vogelwild und völlig ohne Abstimmung, vor allem zu Beginn in der letzten Viertelstunde der Partie.
Die logische Konsequenz sind Gegentore. Dass das erste Saisondrittel trotzdem so erfolgreich verlief, ist in erster Linie dem Offensivspiel zu verdanken. Real Madrid erzielte nämlich bereits 40 Tore in den bisherigen 17 Saisonpartien. Die letzten drei Spiele vor der WM-Pause (gegen Girona, Celtic und bei Rayo Vallecano) bieten sich dafür an, die Defensivbilanz ein wenig aufzupolieren und einen Grundstein für einen stabileren weiteren Saisonverlauf in Sachen Abwehrsicherheit zu legen.

3. Angriff von Real Madrid ohne Benzema zu harmlos
In den letzten Jahren war Real Madrids Angriff immens von Benzema abhängig. Wenngleich mit Vinícius Junior ein zweiter Scorer in der vergangenen Saison hinzukam, ging vorne in der Regel wenig, wenn der Weltfußballer der Saison 2021/22 aussetzen musste. Obwohl die Königlichen in der Sommerpause trotz des Abgangs von Luka Jović keinen weiteren Mittelstürmer verpflichteten und stattdessen auf interne Lösungen setzten, schien es in den letzten Wochen, als könnte man den Franzosen doch meistens erfolgreich ersetzen. Benzema fehlte aufgrund seiner Muskelverletzung in sechs Partien seit Saisonbeginn und fünf davon konnte Real gewinnen.
Die Pleite in Leipzig offenbarte jedoch alte Schwächen in der königlichen Offensive, wenn kein richtiger Mittelstürmer dabei ist, sprich – wenn Benzema nicht spielt. Zwischen der 20. und 75. Minute kontrollierte Madrid zwar scheinbar das Geschehen auf dem Platz, präsentierte sich im letzten Drittel aber viel zu harmlos. Es fehlte merklich ein Abnehmer für Flanken und eine Anspielstation im gegnerischen Strafraum. Es fehlte jemand, der sich gezielt fallen ließ, um Räume für Mitspieler zu öffnen. Es fehlte schlicht und ergreifend Benzema. Neben den beiden Treffern erspielte sich Reals Offensive in Leipzig gerade einmal zwei weitere Torchancen in 90 Minuten. Viel zu wenig gegen einen starken und aggressiven Gegner wie RB. Ob Rodrygo, Marco Asensio oder in der Schlussphase Eden Hazard, keiner konnte das Fehlen eines richtigen Mittelstürmers wettmachen.
Benzema dürfte gegen Girona am Sonntag wieder zur Verfügung stehen, was im Hinblick auf die letzten drei Spiele bis zur WM-Pause Mut macht, aber das Aufflammen der alten Abhängigkeit vom einzigen Weltklasse-Mittelstürmer im Kader bereitet durchaus Sorgen. Hoffentlich übersteht der Franzose die Weltmeisterschaft heil und unverletzt und kann in der entscheidenden Phase der Saison mit vollen Kräften angreifen.

4. Vinícius trifft und bereitet Sorgen
Wenn ein Königlicher in Leipzig den Eindruck erweckte, den zwischenzeitlichen 0:2-Rückstand noch wettmachen zu können, dann Vinícius. Auch wenn dem Brasilianer längst nicht alles gelang, war er der Initiator der vielleicht besten Offensivphase der Blancos, die kurz vor der Pause im 1:2 mündete. Auch in der zweiten Hälfte ging, wenn überhaupt, nur von ihm Torgefahr aus. Statistisch gesehen macht Vini in dieser Saison dort weiter, wo er in der letzten Spielzeit aufgehört hatte. Nach 17 Einsätzen kann er acht Treffer und fünf Torvorlagen für sich verbuchen und ist somit der beste Scorer in Ancelottis Team.
Und dennoch scheint der Brasilianer sich in einem kleinen mentalen Loch zu befinden. Seit Beginn der Saison verrät seine Körpersprache zunehmend eine gewisse Nervosität und Gereiztheit. Er ist immer wieder am Meckern und Diskutieren mit Gegenspielern und Schiedsrichtern, lässt sich auffallend oft bei kleinsten Kontakten teilweise theatralisch fallen, um anschließend zu hadern und zu lamentieren. Dieses Verhalten hat ihm insbesondere bei spanischen Schiedsrichtern scheinbar einen gewissen Ruf als „Schauspieler“ hervorgebracht, so dass inzwischen auch bei klaren Fouls an Vinícius im Zweifel eher nicht gepfiffen wird.
Ancelotti hat diesen Umstand bereits erkannt und angesprochen, erklärte dies aber mit dem noch sehr jungen Alter des Brasilianers und zeigte sich zuversichtlich, dass dieser es schon noch lernen werde. Eine der Ursachen für die reizbare Stimmung des Flügelflitzers wird sicherlich der Rassismus-Skandal rund um das Derbi Madrileño im September sein. Eine andere ist aber wohl der Umstand, dass Vini überspielt zu sein scheint. Er absolvierte alle 17 Saisonspiele, stand in 16 Partien in der Startelf und wurde lediglich einmal in der Champions League eingewechselt. Offenbar braucht er eine Verschnaufpause, auch und vor allem, um mental abzuschalten. Die kommenden drei Partien bis zum Beginn der WM-Vorbereitung bieten sich dafür geradezu an.
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