
Trotz Clásico-Absage: Kuschelkurs statt Kriegsfuß?
Jetzt kann der erste Clásico der Saison endgültig kommen. Und das nicht nur, weil die Generalprobe der Blancos am Dienstag über die Bühne gegangen ist, sondern weil nach dem 2:1-Sieg gegen Braga noch etwas mehr Öl ins Feuer gegossen wurde als eh schon. Dabei stellt der irritierende Beitrag von Barça-Vorstand Mikel Camps nur einen kleinen Teil dar des Feuers, die im Madridismo mittlerweile brennt – und das nicht nur gegen den Erzrivalen selbst, sondern auch den eigenen Vorstand.
Denn so erzürnt die meisten, wenn nicht sogar alle Real-Fans über den Korruptionsskandal rund um den FC Barcelona sind, mittlerweile lädt sich die Wut auch gegen Präsident Florentino Pérez und CEO José Ángel Sánchez. Der Reihe nach: Seit Februar hallen durch das Estadio Santiago Bernabéu regelmäßig „Corrupción en la federación“-Gesänge, Korruption im Verband. Aber seitdem vor acht Monaten die Zahlungen von 7,5 Millionen Euro (von 2001 bis 2018) bekannt wurden, gab es noch keine Konsequenzen. Klar, in einem so alten wie komplizierten Fall mahlen die Mühlen der Justiz nicht gerade schnell, doch der Unmut im Madridismo richtet sich eben auch an den eigenen Verein. Hielt sich Real Madrid in der Causa lange bedeckt, gab es erst im März eine Mitteilung, in der die Blancos ankündigten, als Mitkläger auftreten zu wollen – viel mehr nicht. Und viel mehr ist seitdem auch nicht passiert, zumindest nichts, was so manche Fans zufrieden stellen würde. Stattdessen ist eher das Gegenteil der Fall: Weil Florentino Pérez die wichtigen, geschäftlichen Beziehungen zum zweitgrößten Verein Spaniens – lange ein Partner bei den Super-League-Plänen – offensichtlich nicht mal ansatzweise verringern möchte, wollte er eigentlich auch im Clásico dabei sein. Präsenz statt Boykott? Der Vorstand des FC Sevilla hatte Ende September sein Gastspiel in Barcelona aufgrund der neuesten Entwicklungen boykottiert inklusive aufmerksamkeitsstarker Pressemitteilung. Und Pérez? Der 76 Jahre alte Spanier wollte eigentlich eher auf Kuschelkurs statt Kriegsfuß gehen, aber durch die Beleidigung gegen Vinícius sieht er nun doch von einer Teilnahme ab. Nicht aber wegen des Negreira-Falls!
Wegen Pérez und Sánchez: Viele Fans erzürnt
Das schmeckt vielen Madridistas überhaupt nicht, sodass man mittlerweile auch wieder andere, teilweise längst vergessene Gesänge wieder hört. „Florentino, dimisión“. Damit fordern viele, großenteils die „Ultras Sur“ seit Jahren den Rücktritt des Präsidenten. Denn der hat die „US“ als Gruppe vor rund zehn Jahren aus dem Bernabéu verbannt, da einige Mitglieder durch rechtsradikale Zeichen ein schlechtes Bild für den Verein abgegeben und Pérez so ein eigenes Fan-Projekt, die „Grada Fans RMCF“, initiieren konnte. Und weil die Preise von Trikots, Tickets und Co. jährlich steigen, die Anzahl an Mitbestimmungsmöglichkeiten der „Socios“ (Mitglieder) aber nicht, gibt es immer wieder Kritik an Pérez, der den mitgliedergeführten Klub führt wie einen Gewinn-orientierten Konzern. Und jetzt haben die Gegenstimmen wieder ein Hoch erfahren, denn im Estádio Municipal de Braga konnten sich die „Ultras Sur“ mal wieder als Gruppe vereinen und ihren Unmut während des Spiels äußern.
Ultras Sur están presentes en el estadio de Braga coreando
“¡Florentino dimisión!”
¿Qué os parece? Hay que respetar a Don Florentino Pérez. pic.twitter.com/WfxiHEXHWT
— Madrid Sports (@MadridSports_) October 24, 2023
Dabei gelten die „Florentino, dimisión“-Rufe mittlerweile auch stellvertretend für den Vorstand. Denn unter der Woche hat mit José Ángel Sánchez der Geschäftsführer für einen regelrechten Shitstorm gesorgt. Bei einer LaLiga-Versammlung – auf der angeblich 40 Erst- und Zweitligisten für eine Gehaltserhöhung für Javier Tebas stimmten, Real Madrid als einer von zwei Klubs aber nicht – kam es zu einem besonderen Aufeinandertreffen von Sánchez und dem mittlerweile angeklagten Joan Laporta. Und wie der 56-jährige Spanier den Barça-Präsidenten begrüßte und lächelnd umarmte (im LaLiga-Video ab 0:41) – all das nur kurz nach dessen Täter-Opfer-Umkehr („Kampagne gegen Barça durch einen soziologischen Madridismo“) –, machte für viele Fans nicht den Anschein, als seien die diplomatischen Beziehungen aufgrund des Korruptionsvorwurfs (und auch einem möglichen Schaden für Real Madrid über 18 Jahre hinweg) irgendwie abgekühlt.
LALIGA holds the Ordinary and Extraordinary General Assemblies with #LALIGAEASPORTS and #LALIGAHYPERMOTION clubs.
Acting @rfef president Pedro Rocha was in attendance. pic.twitter.com/CoqdaR5d2X
— LALIGA Corporativo (@LaLigaCorp) October 23, 2023
Zweiterfolgreichster Präsident in Reals Historie
Der Vorwurf: Pérez, Sánchez und Co. geht es nur noch um Zahlen und Gewinne, moralische Werte geschweigedenn Rücksichtnahme auf Forderungen der Fans, oder zumindest der „Socios“ scheinen eher sekundär zu sein.
Die Stimmung gegen Pérez und Co. ist mehr als eine Momentaufnahme und doch vor dem Spitzenspiel am Samstag besonders bezeichnend. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Florentino Pérez mit mittlerweile 32 gewonnenen Trophäen, darunter jeweils sechs Liga- und Champions-League-Titel, der erfolgreichste Präsident nach dem legendären Santiago Bernabéu Yeste ist. Der kam von 1943 bis 1978 zwar auf 33 Titel, darunter 16 Meisterschaften und ebenfalls sechs Europapokale, aber es gab damals auch noch nicht so viele „kleinere“ Titel wie Superpokale. So oder so gibt es keine Zweifel: Bernabéu und Pérez sind die größten Präsidenten in Real Madrids nicht gerade kleiner Historie. Doch während Bernabéu – zurecht – wie ein Heiliger behandelt wird, werden die Gegenstimmen gegen Pérez sogar trotz des sportlichen Erfolgs der letzten zehn Jahre immer lauter. Und dafür ist er scheinbar auch mit verantwortlich.
Community-Beiträge