
Rüdiger vs. Füllkrug: Kampf der Giganten, um jeden Zentimeter
Mit Antonio Rüdiger und Niclas Füllkrug treffen sich zwei Spieler, die beide 31 Jahre alt sind und sich mehr oder weniger am Zenit ihrer Schaffenskraft befinden. Rüdiger misst 1,90 Meter, Füllkrug ist lediglich einen Zentimeter kleiner, wirkt aber dabei etwas bulliger als der eher drahtige Defensivmann. Es handelt sich aber auch um zwei Akteure, die dieses Jahr ihr ganz persönliches Märchen geschrieben haben. Füllkrug wechselte nach weniger schillernden Stationen bei Hannover, Fürth, Nürnberg oder Bremen erst letzten Sommer zur Borussia, nachdem er ein Jahr zuvor als Spätberufener sein Debüt im Nationaldress gab. Rüdiger hingegen sammelte beim FC Chelsea bereits internationale Erfahrung und schloss sich 2022 ablösefrei als dritter Innenverteidiger den Merengues an. Die elementare Rolle und Bedeutung für Ancelotti waren zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht in dieser Form absehbar, doch der Verteidiger nutzte das Verletzungspech seiner Kollegen (Kreuzbandrisse bei Militão und Alaba) und mutierte zu einer unumstrittenen Größe der königlichen Defensive – gilt 2023/24 als einer der fünf besten Blancos!

Das Duell der beiden deutschen Nationalspieler wird gewissermaßen ein Abnutzungskampf. Filigran eher weniger, aber mit Sicherheit ein energisch umkämpftes Tête-à-Tête. Als körperlich starker und schneller Verteidiger, zeichnet sich Antonio Rüdiger durch seine Robustheit und sein exzellentes Stellungsspiel aus, das belegen unter anderem die durchschnittlichen 2,7 Klärungsaktionen pro Spiel, was den Bestwert innerhalb seiner Mannschaft darstellt. Sein stets aggressives Abwehrverhalten und der Drang in direkte Duelle sind seine absoluten Kernkompetenzen, womit er seine Gegner früh unter Druck setzt. Genau da wartet auf der Gegenseite mit Füllkrug der perfekte Gegenpart: Ein ebenfalls physischer Stürmer mit einer beeindruckenden Kopfballstärke und guter Ballbehauptung, bekannt für seine Fähigkeit, sich im Strafraum durchzusetzen und aus fast jeder Lage abzuschließen – im Halbfinal-Hinspiel gegen Paris demonstrierte er diese Qualität bei seinem Siegtreffer. Mit insgesamt drei Toren in dieser Champions-League-Saison ist „Lücke“ zudem Dortmunds erfolgreichster Schütze, in der Bundesliga belegen zwölf weitere Treffer seinen Instinkt. Wenngleich das keine absoluten Top-Werte sind, ist Füllkrug ein schwer zu bespielender Angreifer, der selbst nicht lange fackelt und im Zweifel die Bälle in der Gefahrenzone zu verteilen versteht.
Prognose: Rüdiger sollte versuchen, seinen Kontrahenten durch enge Deckung und aggressive Zweikampfführung aus dem Spiel zu nehmen, dessen Ballaktionen bereits im Keim zu ersticken. Sein Vorteil dabei: Auf höchstem Niveau hat er bereits die Erfahrung aus zahlreichen Spielen – zum Beispiel gegen Erling Haaland – oder aus seiner Zeit in der Premier League, wie man mit bulligen Stürmern umgeht. Füllkrug ist da eher als „Greenhorn” einzustufen und wird keine leichte Zeit gegen den galligen Abwehrchef erleben. Viele Chancen wird der Angreifer nicht bekommen, wenn er aber den Ball auf dem Fuß liegen hat, sollte Rüdiger nah dran sein, denn sonst ist der wuchtige Abschluss des Stürmers tödlich. In diesem Duell kann der Bruchteil einer Sekunde entscheiden.
Bellingham vs. Can: Kontrastprogramm für die Kontrolle im Mittelfeld
Der Engländer im Diensten der Königlichen avancierte diese Saison zu einem absoluten Shooting-Star und trifft nun im größtmöglichen Spiel auf seine ehemaligen Weggefährten. „Es wird schön, ein paar alte Freunde zu sehen”, gab der Mittelfeldspieler im Vorfeld zu verstehen. Mit einem davon wird er sicherlich auch während der 90 Minuten auf dem Rasen die eine oder andere Konfrontation durchleben: Emre Can. Der Routinier bei der Borussia gilt als vielseitiger Mittelfeldspieler, der sowohl defensiv stark ist, als auch das Spiel nach vorne antreiben kann. Er verfügt über eine gute Physis, Zweikampfstärke und ist taktisch meist diszipliniert, wenn auch nicht immer. Eigentlich genau das Gegenmittel, für das „Gift“, welches Jude Bellingham in den gegnerischen Defensivreihen verstreut. Der deutsche Nationalspieler ist für den BVB das, was man als „Agressive Leader“ bezeichnet, seine durchschnittlichen 2,5 Tacklings pro Spiel in dieser Saison sind Bestwert innerhalb seiner Farben. Dieser Robustheit sollte sich der 20-jährige Bellingham möglichst entziehen, um als dynamischer Mittelfeldspieler mit hervorragender Technik, Spielintelligenz und Torgefahr auch seinen Fähigkeiten vollends nachkommen zu können.

Vollumfänglich wird das gemäß Statistik nicht klappen, wenn der Spieler mit den meisten Tacklings auf den meistgefoulten Akteur (2,6 pro Spiel in La Liga) des jeweiligen Teams trifft. Für sein junges Alter ist der Sommerneuzugang der Königlichen allerdings schon ziemlich komplett, weiß sowohl offensiv als auch defensiv zu glänzen und ist deshalb rein auf dem Papier seinem Widersacher in nahezu allen Belangen voraus. Einen Streich spielt ihm jedoch neben den anhaltenden Schulter- und Knöchelproblemen vielleicht auch seine emotionale Reife, gerade gegen die alten Kollegen, die wissen, wie man ihn reizen kann, und dann auch noch der Druck mit der englischen Heimat. Der Kopf kann zum entscheidenden Faktor für diese private Fehde als auch für den Ausgang des ganzen Spiels sein, in den Beinen hat Bellingham alles, was sich ein Fußballer wünscht. Diesem vermeintlichen Nachteil ist sich Can durchaus bewusst und beschwört derweil, angesprochen auf das Finale, den Teamgeist: „Wir haben gegen große Gegner bestanden, wir haben top Fußball gespielt und sind wie eine Mannschaft aufgetreten. Das macht mir Mut.”
Prognose: Ohne Zweifel hat der Brite spielerisch ganz klar die Nase vorne. Die je vier Treffer und Assists in dieser Champions League-Saison sind bereits beeindruckende Werte. Für Can spricht hingegen die Erfahrung, der Ehrgeiz und das Wissen um die Stärken seines Gegenübers. Er wird versuchen, Bellinghams kreative Fähigkeiten zu neutralisieren und seine Läufe in den Strafraum zu verhindern – das im Zweifel sicher auch mit forschen Mitteln, versteckten Fouls. Darauf muss sich Bellingham einstellen und die physische Präsenz seines ehemaligen Kollegen kreativ umgehen, um seine technische Überlegenheit nutzen zu können und Räume zu schaffen. Wir dürfen uns auf ein Duell der Gegensätze freuen, wo Finesse auf Kampf, Technik auf Taktik oder auch Jung auf Alt trifft.
Vinícius vs. Ryerson: Ungleiches Duell mit X-Faktor
Vinícius Júnior ist in der aktuellen Form der wohl gefährlichste Angreifer der Welt und hat bereits reihenweise bewiesen, dass er Spiele alleine entscheiden kann, speziell die großen. Einzig sein Temperament steht ihm manchmal noch im Wege. Liegt der Fokus jedoch rein auf das Spiel, stoppt ihn in dieser Verfassung kein Verteidiger, wie im Supercopa-Finale oder dem 4:0 gegen Girona. Seine 3,2 Dribblings pro CL-Spiel sind absoluter Bestwert und zeitgleich die größte Waffe des Brasilianers. Ihm gegenüber steht in Julian Ryerson ein solider Verteidiger, der für seine Defensivarbeit und seine Ausdauer bekannt ist – zumindest in der Bundesliga kommt er zudem auf vier eigene Treffer bei einem Assist. Er ist taktisch diszipliniert und gut darin, gegnerische Flügelspieler zu neutralisieren. Theoretisch wird der Norweger in Diensten der Borussia trotz diverser Qualitäten in nahezu allen Belangen unterlegen sein, aber Ryerson zählt eben auch zu jenen Spielertypen, die bei solchen Partien auf einmal über sich hinauswachsen. Denn auch ein Kylian Mbappé hatte im Halbfinale seine Mühe und Not mit dem Rechtsverteidiger und der Ballsportverein wird sicher auch versuchen, möglichst selten klare Eins-gegen-eins-Situationen zwischen Vinícius und Ryerson aufkommen zu lassen. Als Underdog ist der BVB historisch besser gefahren, als mit der Favoritenrolle – dieses Duell kann ein Sinnbild für diese Außenseiterrolle sein.

Prognose: Ob im 4-3-3 oder zentraler im 4-4-2: Eigentlich ist Vinícius nicht zu stoppen, das soll auch die Fähigkeiten von Ryerson nicht schmälern. Der Norweger wird ein Verbund mit seinen Nebenmännern, eine überragende Tagesform und einen großen Haufen Zweikampfglück brauchen, will er dem Final-Torschützen von 2022 Paroli bieten. Aber ein Endspiel ist der Moment für besondere Dinge. Von Vinícius ist man Besonderes gewohnt (fünf Tore, vier Assists in der Königsklasse), aber auch eine Überraschung von Ryerson kann nicht ausgeschlossen werden. Einer von beiden könnte zum absoluten X-Faktor für das Spiel werden.
Sancho vs. Mendy: Schmaler Grat auf dem Weg zur richtigen Balance
Die Inkarnation individueller Klasse bei der Borussia ist unbestritten Jadon Sancho, der „verlorene Sohn“, welcher im Winter per Leihe von Manchester United zurück in den Ruhrpott geholt wurde – und jetzt auf englischem Boden sein erstes CL-Finale bestreiten darf. Sancho ist ein kreativer und trickreicher Flügelspieler, der sowohl durch seine Dribblings als auch durch seine präzisen Pässe und Abschlüsse besticht. Der Brite ist bekannt für seine Fähigkeit, Verteidigungen zu durchbrechen und Torchancen zu kreieren. Kurzum: Er ist der Mann in Schwarz und Gelb, der den Unterschied ausmachen kann und seine Gegenspieler permanent zur Obacht zwingt – wenngleich seine Brillanz schwer in Zahlen zu fassen ist: Bei seinen sechs Auftritten in der Königsklasse kommt er auf einen eigenen Treffer gegen Eindhoven im Achtelfinale und keinem einzigen Assist. In der Bundesliga sind es immerhin zwei Tore und drei Assists bei 14 Spielen. Keine Weltklasse-Werte, aber omnipräsent ist die von ihm ausgehende Gefahr dennoch.

Besonders einer wird die Dunstkreise des Flügestürmers am 1. Juni eindämmen wollen, sein Gegenpart Ferland Mendy. Der defensivstarke Linksverteidiger kann ebenfalls in der Offensive Akzente setzen – sofern man ihn lässt. Er ist schnell, speziell in der Konterabsicherung, zweikampfstark und gut darin, Flügelspieler abzudrängen und deren Einfluss auf das Spiel zu minimieren. Im Spektakel, welches der Kontrahent zu bieten versteht, liegt aber auch eine Gelegenheit für Mendy: Mit einem gekonnten Spagat, den der Franzose zwischen Angriff und Defensive erbringen muss, kann die Leistung von Ferland Mendy ein Schlüssel für das Spiel sein, da Sancho in seiner Rückzugsbewegung gerne etwas zurückhaltender auftritt.
Prognose: Es wird ein Highspeed-Duell mit dennoch recht unterschiedlichen Spielertypen. Der nicht immer filigrane Mendy wäre gut beraten, seinen primären Fokus auf die Defensive zu richten, um dem flinke(re)n Sancho keine ungewollten Einladungen auszusprechen. Ist der Brite einmal im Griff, kann Mendy mit Flügelläufen ein zusätzlicher Faktor für die Offensive werden und Überzahl schaffen. Dieses Duell birgt einen schmalen Grat, denn Sancho wird versuchen, Mendy durch seine Dribblings und die schnellen Richtungswechsel immer wieder vor Schwierigkeiten zu stellen. Auf dieser Position könnten sich beide Akteure neutralisieren, aber auch die spielentscheidenden Zweikämpfe sind genau an dieser Stelle absolut denkbar.
Gesamtfazit
Auf dem Papier spricht in den Schlüsselduellen der Vorteil ganz klar für Real Madrid. Aber ein Finale ist eben ein Finale und da zählen mehr Faktoren als das Talent und das, was bis dahin alles geschehen ist. Die Dortmunder haben sicher die Fähigkeit, im richtigen Momentum über sich hinaus zu wachsen, die Außenseiterrolle liegt ihnen auch deutlich besser, als der Zwang, Spiele selbst zu gestalten (siehe Paris). Deshalb wird jeder Spieler im weißen Dress bestens beraten sein, einerseits seinen Gegenüber nicht zu unterschätzen und andererseits ebenfalls eine Top-Leistung abzurufen. Kommt jeder Spieler an sein maximales Leistungsniveau, wird es kaum einen anderen Sieger geben können als Real Madrid.
Es wäre aber auch nicht das erste Endspiel, in dem es eine gehörige Überraschung gibt, ein Rückstand würde der Borussia vollkommen in die Karten spielen, zu offen sollte Real Madrid also auch nicht agieren. Deshalb sind wir gespannt und freuen uns besonders auf diese vier Schlüsselduelle, die am kommenden Samstag über Sieg oder Niederlage entscheiden werden.
Community-Beiträge