
Seit vielen Jahren ist es ein viel diskutiertes Thema, nicht nur unter Fans, sondern auch in der Fußballwelt allgemein – die Verabschiedungskultur bei Real Madrid. Beim größten und erfolgreichsten Klub der Fußballgeschichte blieb in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gefühlt fast immer ein Schatten auf dem Umgang mit verdienten Spielern und Trainern, zumindest wurde das immer wieder medial suggeriert. Oft wurde dabei ein ambivalentes Bild zwischen großer sportlicher Anerkennung und menschlicher Kälte gezeichnet. Fälle von Vereinsikonen wie Sergio Ramos, Iker Casillas, Raúl Gonzáles oder Karim Benzema waren wurden häufig als Sinnbild für den distanzierten Stil bemüht, den Real Madrid angeblich pflege.
Gewiss, man kann den Königlichen in einigen Fällen fehlendes Fingerspitzengefühl und Timing in solchen Zusammenhängen vorwerfen. Hätte man Luka Modrić nicht auch vor einigen Wochen mitteilen können, dass er kein Angebot für eine erneute Vertragsverlängerung bekommen wird? Und musste man wirklich so lange warten, bis der Abgang von Carlo Ancelotti auch von Vereinsseite offiziell bestätigt wurde? Beides hätte man besser und eleganter lösen können. Doch gerade die Verabschiedung dieser beiden Ikonen im Rahmen des letzten Saisonspiels gegen Real Sociedad am Samstagnachmittag ist ein beinahe unschlagbares Argument dafür, dass Real Madrid weder kalt noch distanziert ist. Sicher, mit mehr Vorlaufzeit hätte man eine spektakuläre Choreografie über alle Tribünen hinweg auf die Beine stellen können, so war es sogar erstaunlich, dass die beiden Dankesbanner für Ancelotti und Modrić überhaupt noch rechtzeitig fertig wurden.

Doch in meinen Augen haben weder Choreografien noch Banner wirklich etwas mit Verabschiedungskultur im eigentlichen Sinne zu tun. Für mich ist dabei die Emotion der entscheidende Faktor. Und an diesem lauen Samstagnachmittag konnte man Emotionen im Estadio Santiago Bernabéu riechen, schmecken, beinahe anfassen. Beim Abschied vom erfolgreichsten Trainer und dem erfolgreichsten Spieler der 123 Jahre langen und glorreichen Geschichte der Königlichen strotze die Madrider Luft nur so vor Respekt, Liebe, Wehmut, Trauer, Glück und Dankbarkeit, dass es beinahe surreal wirkte. Kurzum: Der Madridismo erlebte ein emotionales Erdbeben in seiner intensivsten, aber auch schönsten Form. Tränen von Luka, Carlo, Florentino Pérez und zehntausenden Madridistas im Bernabéu, die Explosion an Gefühlen bei der Umarmung zwischen Modrić und Toni Kroos und die Intensität der verschiedensten emotionalen Zustände, die jeder im Stadion vor, während und vor allem nach dem Spiel erlebte, schlagen jede Choreo und jeden Banner.
Vor genau einem Jahr erlebten die spanische Hauptstadt und ihr Fußballtempel beim Abschied von Toni Kroos die gleiche Eruption an Emotionen, die den Banner, der Kroos zu Ehren vor dem Anpfiff auf der Südtribüne erschien, beinahe belanglos wirken ließen. Und am 7. Mai 2006 gab es gar keinen großen Banner im Bernabéu, geschweige denn irgendeine Choreografie, und dennoch zerplatzte das Stadion auch damals vor Intensität der Emotionen zu Ehren des großen Zinédine Zidane. All diese Beispiele belegen, dass bei Real Madrid durchaus großer Wert auf Verabschiedungskultur gelegt wird, dass diese regelrecht gelebt wird, und das seit Jahrzehnten. Dass nicht jede Legende so würdevoll wie Zidane, Kroos, Modrić und oder zumindest ähnlich verabschiedet wurde, hat verschiedene und von Einzelfall zu Einzelfall relativ komplexe Hintergründe. In manchen Fällen waren es die Spieler selbst, die kein großes Aufsehen bei der Verabschiedung wollten, so beispielsweise Nacho Fernández vor einem Jahr oder Raúl González vor seinem Wechsel zu Schalke 2010. Manchen stand schlicht und ergreifend ihr Ego im Wege wie im Fall von Sergio Ramos. Torwartikone Iker Casillas, der 2015 den Klub durch die Hintertür und in einer einsamen Pressekonferenz verließ, bezeichnete fünf Jahre später die Art seines Abgangs von der Concha Espina nach Porto als großen Fehler. Und Karim Benzema ließ dem Verein mit seinem urplötzlichen Entschluss, nach Saudi-Arabien wechseln zu wollen, überhaupt keine Chance, ihm einen würdigen Abschiedsrahmen zu geben.
Real Madrid ist nicht fehlerfrei, alles andere als perfekt, doch wer den emotionalen Erdrutsch am 24. Mai 2025 im Bernabéu oder vor dem Fernsehgerät erlebt hat, kann den Verein niemals als kalt oder stillos bezeichnen. So unvollkommen er manchmal auch wirken mag – dieser Verein strotzt nur so vor Emotionen.
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