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Kommentar zu emotionalen Abschieden: Real Madrid ist alles andere als kalt

Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Real Madrid eine mangelnde Verabschiedungskultur im Zusammenhang mit Abgängen von Vereinslegenden vorgeworfen, sei es bei Iker Casillas, Raúl González oder Sergio Ramos. REAL TOTAL-Redakteur Edin Soso findet: Zu Unrecht. Zumindest in den meisten Fällen.

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Die Abschiede von Carlo Ancelotti, Luka Modrić und Toni Kroos waren an Würde, Respekt und Emotion kaum zu überbieten – Fotos: Getty Images

Seit vielen Jahren ist es ein viel diskutiertes Thema, nicht nur unter Fans, sondern auch in der Fußballwelt allgemein – die Verabschiedungskultur bei Real Madrid. Beim größten und erfolgreichsten Klub der Fußballgeschichte blieb in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gefühlt fast immer ein Schatten auf dem Umgang mit verdienten Spielern und Trainern, zumindest wurde das immer wieder medial suggeriert. Oft wurde dabei ein ambivalentes Bild zwischen großer sportlicher Anerkennung und menschlicher Kälte gezeichnet. Fälle von Vereinsikonen wie Sergio Ramos, Iker Casillas, Raúl Gonzáles oder Karim Benzema waren wurden häufig als Sinnbild für den distanzierten Stil bemüht, den Real Madrid angeblich pflege.

Gewiss, man kann den Königlichen in einigen Fällen fehlendes Fingerspitzengefühl und Timing in solchen Zusammenhängen vorwerfen. Hätte man Luka Modrić nicht auch vor einigen Wochen mitteilen können, dass er kein Angebot für eine erneute Vertragsverlängerung bekommen wird? Und musste man wirklich so lange warten, bis der Abgang von Carlo Ancelotti auch von Vereinsseite offiziell bestätigt wurde? Beides hätte man besser und eleganter lösen können. Doch gerade die Verabschiedung dieser beiden Ikonen im Rahmen des letzten Saisonspiels gegen Real Sociedad am Samstagnachmittag ist ein beinahe unschlagbares Argument dafür, dass Real Madrid weder kalt noch distanziert ist. Sicher, mit mehr Vorlaufzeit hätte man eine spektakuläre Choreografie über alle Tribünen hinweg auf die Beine stellen können, so war es sogar erstaunlich, dass die beiden Dankesbanner für Ancelotti und Modrić überhaupt noch rechtzeitig fertig wurden.

Beim Abschied von Carlo Ancelotti und Luka Modrić bebte das Bernabéu vor Emotionen – Foto: REAL TOTAL

Doch in meinen Augen haben weder Choreografien noch Banner wirklich etwas mit Verabschiedungskultur im eigentlichen Sinne zu tun. Für mich ist dabei die Emotion der entscheidende Faktor. Und an diesem lauen Samstagnachmittag konnte man Emotionen im Estadio Santiago Bernabéu riechen, schmecken, beinahe anfassen. Beim Abschied vom erfolgreichsten Trainer und dem erfolgreichsten Spieler der 123 Jahre langen und glorreichen Geschichte der Königlichen strotze die Madrider Luft nur so vor Respekt, Liebe, Wehmut, Trauer, Glück und Dankbarkeit, dass es beinahe surreal wirkte. Kurzum: Der Madridismo erlebte ein emotionales Erdbeben in seiner intensivsten, aber auch schönsten Form. Tränen von Luka, Carlo, Florentino Pérez und zehntausenden Madridistas im Bernabéu, die Explosion an Gefühlen bei der Umarmung zwischen Modrić und Toni Kroos und die Intensität der verschiedensten emotionalen Zustände, die jeder im Stadion vor, während und vor allem nach dem Spiel erlebte, schlagen jede Choreo und jeden Banner.

Vor genau einem Jahr erlebten die spanische Hauptstadt und ihr Fußballtempel beim Abschied von Toni Kroos die gleiche Eruption an Emotionen, die den Banner, der Kroos zu Ehren vor dem Anpfiff auf der Südtribüne erschien, beinahe belanglos wirken ließen. Und am 7. Mai 2006 gab es gar keinen großen Banner im Bernabéu, geschweige denn irgendeine Choreografie, und dennoch zerplatzte das Stadion auch damals vor Intensität der Emotionen zu Ehren des großen Zinédine Zidane. All diese Beispiele belegen, dass bei Real Madrid durchaus großer Wert auf Verabschiedungskultur gelegt wird, dass diese regelrecht gelebt wird, und das seit Jahrzehnten. Dass nicht jede Legende so würdevoll wie Zidane, Kroos, Modrić und oder zumindest ähnlich verabschiedet wurde, hat verschiedene und von Einzelfall zu Einzelfall relativ komplexe Hintergründe. In manchen Fällen waren es die Spieler selbst, die kein großes Aufsehen bei der Verabschiedung wollten, so beispielsweise Nacho Fernández vor einem Jahr oder Raúl González vor seinem Wechsel zu Schalke 2010. Manchen stand schlicht und ergreifend ihr Ego im Wege wie im Fall von Sergio Ramos. Torwartikone Iker Casillas, der 2015 den Klub durch die Hintertür und in einer einsamen Pressekonferenz verließ, bezeichnete fünf Jahre später die Art seines Abgangs von der Concha Espina nach Porto als großen Fehler. Und Karim Benzema ließ dem Verein mit seinem urplötzlichen Entschluss, nach Saudi-Arabien wechseln zu wollen, überhaupt keine Chance, ihm einen würdigen Abschiedsrahmen zu geben.

Real Madrid ist nicht fehlerfrei, alles andere als perfekt, doch wer den emotionalen Erdrutsch am 24. Mai 2025 im Bernabéu oder vor dem Fernsehgerät erlebt hat, kann den Verein niemals als kalt oder stillos bezeichnen. So unvollkommen er manchmal auch wirken mag – dieser Verein strotzt nur so vor Emotionen.

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REAL TOTAL

Hier schreibt die Redaktion von REAL TOTAL, dem führenden Magazin über Real Madrid im deutschsprachigen Raum.

Kommentare
Ich finde verkackt hat man es nur bei Iker und Vazquez. Ramos und Ronaldo werden ihre Abschiedsspiele sicherlich bekommen, so wie Raul damals gegen Schalke.
 
Vazquez hätte man genau gleich wie Modrić und Ancelotti verabschieden müssen! Auch wenn er nicht dieses gleiche Standing hat, aber er war auch sehr lange bei uns und hat 5 CL-Titel geholt.
 
Vazquez hätte man genau gleich wie Modrić und Ancelotti verabschieden müssen! Auch wenn er nicht dieses gleiche Standing hat, aber er war auch sehr lange bei uns und hat 5 CL-Titel geholt.
Und da ist jetzt der Verein dran Schuld, dass Vazquez sich gegen eine Verabschiedung ausgesprochen hat?
 
Bei Nacho gab es keine Verabschiedung, weil er dies nicht wünschte und genauso wird es bei Vazquez gewesen sein. Der Verein wird jetzt nicht anfangen zu entscheiden, wer wichtig ist und wer weniger.
 
Man muss nur mal zu unseren Freunden nach Katalonien schauen, wie die das letztes Jahr mit Xavi gemanaged haben.

Nachdem dem Xavi zunächst seinen Rücktritt verkündet hat, hat man ihn angefleht weiter zu machen, nur um ihn dann vier Wochen später wieder rauszuschmeißen. Und das bei einer der größten Legenden des Vereins.
 
Ich finde verkackt hat man es nur bei Iker und Vazquez. Ramos und Ronaldo werden ihre Abschiedsspiele sicherlich bekommen, so wie Raul damals gegen Schalke.
Ehrlich gesagt glaube ich das nicht mehr. Mittlerweile müssten so viele ihre Abschiedsspiele bekommen, das wird nicht mehr nachgeholt fürchte ich.
 
Ich sehe das zwiegespalten. Real Madrid kann es natürlich - wenn alles Seiten es wollen. Man hätte es aber gefühlt in jedem Fall früher und besser kommunizieren können. Auch verstehe ich den Verein im Fall Modríc nicht wirklich, er wird ziemlich sicher nach der WM 26 seine Karriere beenden. Da hätte man ihm doch noch die Möglichkeit geben können, das (auf Vereinsebene) bei Real Madrid zu tun und ein Jahr dranzuhängen. Was sein Wunsch war. Zumal er bereitwillig auf Geld verzichtet und keinerlei Probleme macht. Im Gegenteil wäre als Leader noch wichtig in der Mannschaft.
 
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