Historie

„Ein Mann des Klubs“ – Del Bosques leiser Abschied und lautes Vermächtnis

Er war Spieler, Jugendtrainer, Koordinator, Chefcoach – und Symbolfigur einer Ära. Vicente del Bosque verbrachte über drei Jahrzehnte bei Real Madrid und feierte mit den Königlichen nationale wie internationale Erfolge. Doch trotz sieben Titeln als Cheftrainer wurde der stille Architekt der „Galaktischen“ im Sommer 2003 überraschend entlassen – ein Bruch, der bis heute nachwirkt. REAL TOTAL blickt zurück auf das bewegte Leben eines Mannes, der nie laut sein musste, um Großes zu leisten – und dessen Abschied bei Real Madrid mehr Fragen als Antworten hinterließ.

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Spain's coach Vicente del Bosque looks on prior to the FIFA World Cup 2014 qualifying football match Spain vs Georgia at the Carlos del Monte stadium in Albacete on October 15, 2013. AFP PHOTO/ JOSE JORDAN (Photo credit should read JOSE JORDAN/AFP/Getty Images)
Del Bosques Image passte nicht zu den Galácticos – Foto: JOSE JORDAN/AFP/Getty Images

Vicente del Bosque ist eine Legende, wie sie im modernen Fußball selten geworden ist: unaufgeregt, loyal, uneitel. Seine Karriere begann und endete fast vollständig bei Real Madrid. In Salamanca geboren, schloss sich der ruhige Mittelfeldspieler aus bürgerlichen Verhältnissen bereits früh der Jugendabteilung der Königlichen an. Nach Leihen zu Castellón und Córdoba etablierte sich Del Bosque Anfang der 1970er-Jahre als Stammkraft. El Palillo – den Zahnstocher – nannten seine Kollegen den großen, schmalen Mittelfeldspieler mit dem Schnurrbart, der in über 300 Pflichtspielen für die Blancos nie der Star war, sondern der unermüdliche Arbeiter hinter großen Namen wie Günter Netzer oder Santillana. Fünf spanische Meisterschaften und vier Pokalsiege stehen in der Bilanz des 18-fachen spanischen Nationalspielers – solide, aber unauffällig. Doch seine wahre Größe offenbarte sich später.

Vom Lückenfüller zum König der Königsklasse

Nach dem aktiven Karriereende 1984 stieg Del Bosque bei Real in der Nachwuchsarbeit ein – erst als Koordinator und Trainer der Castilla, später als Interimscoach der Profis, wenn mal wieder Not am Mann war. 1999 wurde aus der Übergangslösung plötzlich ein Erfolgstrainer: In nicht einmal vier Jahren gewann er mit den „Galaktischen“ zwei Champions-League-Titel, zwei Meisterschaften sowie mehrere Supercups. Roberto Carlos nannte ihn später „eher einen Freund als einen Trainer“ – Del Bosque verstand, was Stars wirklich brauchen: Vertrauen, Menschlichkeit und Augenmaß. „Mein Beitrag war es, eine gewisse Einfachheit beizubehalten, diese ganze Welt des Marketings zu entdramatisieren“, sagte er rückblickend, doch trotz seiner Erfolge wurde er 2003 trotz Meisterschaft und des CL-Halbfinals entlassen. Präsident Florentino Pérez suchte Glamour, man brauche einen Trainer, dessen Profil besser zum neuen Image passe. Was man allerdings erntete war eine unruhige und titellose Epoche.

Bitterer Abschied: „Es war sehr schmerzhaft für mich“

In den Medien wurde das Image vom altmodischen Großvatertypen immer wieder bekräftigt und so zog sich ein Faden durch Del Bosques Karriere, in der ihm seine Bodenständigkeit zum Nachteil ausgelegt wurde und man ihn gern unterschätzte. Die Art seiner Entlassung nach 36 Jahren im Klub empfand der Spanier als „unsinnig“ und „würdelos“. Noch in der Meisternacht 2003 wurde er vor die Tür gesetzt, angeblich wegen veralteter Methoden. In Wahrheit störte wohl seine Bescheidenheit das neue Marketingkonzept mit großen Namen wie Zinédine Zidane, Luís Figo, Ronaldo und Co. „Der Bruch hat sich angefühlt, als wäre er mit einem Bruder passiert. Es war sehr schmerzhaft für mich. Ich wollte nie eine Ehrung, aber wie ein Mann behandelt werden, der dem Klub immer treu war und es heute noch ist“, sagte er später. Dass er jene Ehrungen des Vereins bis heute ablehnt, zeigt, wie tief die Wunden sitzen. Auch andere Schlüsselspieler wie Fernando Hierro und Claude Makélélé verließen Real im selben Sommer, mit David Beckham kam dagegen der glamouröseste Galaktische – der Anfang einer sportlichen Dürrezeit.

Nationalheld mit Haltung – und Titeln

Nach einem kurzen Intermezzo an der Seitenlinie von Beşiktaş İstanbul standen dem heute 74-Jährigen die glorreichen Jahre allerdings noch bevor, denn was Real Madrid nicht mehr wollte, führte Spanien zur größten Stunde: Als Nachfolger von Europameister Luis Aragonés übernahm Del Bosque 2008 die Selección – und machte sie 2010 zum Weltmeister, 2012 zum (erneuten) Europameister. Sein Stil blieb der gleiche: leise Autorität, taktisches Feingefühl, Menschlichkeit. „Nach jedem Sieg denke ich an jene, die nicht spielten“, sagte er einmal – ein Trainer, der nicht nur aufstellt, sondern auch auffängt. Für seine Verdienste wurde er 2011 von König Juan Carlos sogar zum Marqués ernannt – ein Adelstitel, den er kaum nutzt, weil es nicht seinem Naturell entspricht. Dass der Nationalheld in einer schlichten Etagenwohnung eines Madrider Neubaugebietes lebt, ist dabei mehr als symbolisch.

„Ein Anführer wird bewundert, ein Chef wird gefürchtet“

Heute ist Vicente del Bosque nicht mehr an der Seitenlinie aktiv, aber sein Einfluss bleibt. Als Leiter der staatlichen Überwachungskommission zur Reform des spanischen Fußballverbandes RFEF soll er helfen, den durch Skandale beschädigten Ruf des nationalen Fußballs zu retten. Auch als Redner wird er geschätzt, nicht zuletzt wegen seiner Werte: Respekt, Moral, Verantwortung. „Ein Anführer wird bewundert, ein Chef wird gefürchtet. Es gibt Wichtigeres als zu siegen“, betont er stets. Seine Karriere ist der Beweis dafür – dass Haltung und Erfolg einander nicht ausschließen. Und dass wahre Größe manchmal im Schweigen liegt.

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Kommentare
Ein Held und wahrer Madridissimo. Seine Entlassung damals war für alle Madridistas ein Schlag ins Gesicht und die größte Fehlentscheidung, die Perez jemals gemacht hat und eine der größten in der Geschichte Real Madrids.
 
Einer der besten Trainer EVER!

Schaut Euch mal an was der als Trainer alles gewonnen hat!

Ein legendärer Spruch von ihm lautet: "Als ich Trainer von Real Madrid war, feierte der FC Barcelona nur den jährlichen Geburtstag des Clubs"! :D:D:D:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Er war wirklich ein GANZ Großer! Hat sich NIE beschwert, obwohl ihm ständig neue, sinnlose Spieler vor die Nase gesetzt wurden (*hust* Beckham *hust*).
Hat einfach pragmatisch gesagt: "Wir werden schon einen Platz für ihn finden"

Einer der BESTEN und UNTERSCHÄTZTESTEN Trainer die es je gab!
 
Ein Held und wahrer Madridissimo. Seine Entlassung damals war für alle Madridistas ein Schlag ins Gesicht und die größte Fehlentscheidung, die Perez jemals gemacht hat und eine der größten in der Geschichte Real Madrids.
...das hat ihn Del Bosque auch bis heute nicht verziehen!
 
Ein Held und wahrer Madridissimo. Seine Entlassung damals war für alle Madridistas ein Schlag ins Gesicht und die größte Fehlentscheidung, die Perez jemals gemacht hat und eine der größten in der Geschichte Real Madrids.
Ich weiß nicht, aber ich glaube eine noch größere Fehlentscheidung war es Makelele im Jahr davor keinen neuen Vertrag zu geben, sondern ihn an Chelsea zu verkaufen. Das war der eigentlich Anfang von Ende.

Del Bosque wurde ein Jahr später entlassen… also eine unnötig bzw. schlecht / gar nicht durchdachte Aktion die eine Kettenreaktion ausgelöst hat.
 
Del Bosque Werde ich immer im Herzen tragen er war Trainer wo mein Herz Anfing für Real Madrid zu schlagen 2000/2001. Für mich gibt's 3 größte Fehler wo ich bis jetzt als Fan miterlebt habe Del Bosque zu entlassen. Makelele zu verkaufen. Di Maria zu verkaufen. Ich habe mir trotzdem irgendwie eine zweite Amtszeit von Del Bosque bei uns gewünscht. Mit seinen 2 Champions League Titeln 2000. 2002. Meisterschaften 2001. 2003. Unser erstes internationale Triple In Form von Champions League 2002. UEFA Supercup 2002. Weltpokal 2002. War er lange erstmal Unser erster Mourinho wegen den erfolgen was die Erfolge angeht. Ich bleibe dabei in meinen augen sind Del Bosque. Mourinho. Zidane. Ancelotti. Miguel Muñoz. Unsere 5 besten Trainer aller Zeiten. Ok manche werden Fragen warum Mourinho? Er holte nur Copa del Rey 2011. Meisterschaft 2012. Supercopa de Espana 2012. Die Sache ist mit ihm holten wir unsere erste Copa del Rey nach 18 Jahren. Und unser erster Titel überhaupt noch 3 Jahren Titellosigkeit und 2012 haben wir endlich Barça durchbrochen und endlich endlich unsere erste Meisterschaft nach 4 brutale Jahre ohne Meisterschaft. Und unsere 100 Punkte Saison.
 
Früher war mal das tripple: Meister Landespokal und CL Leaguer.alles andere ,sei es national oder was auch immer ,klingt zwar gut ,ist für mich aber kein tripple.genauso wenig wie Barsa dieses jahr ihr selbstgestricktes ,und in den Medien verbreitetes ,National trippel erspielt hat. Ist aber nur meine meinung
 
Bei der Überschrift dachte ich er wäre von uns gegangen, erschreckt einen doch nicht so...

Kann allen nur zustimmen, eine der größten Persönlichkeiten unseres Vereins, sowohl als Spieler, wie auch als Trainer hat er immenses geleistet. Dabei immer ein Gentleman und stets nur das Beste für den Verein im Sinn.
 
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