
Er war lange der teuerste Neuzugang in der königlichen Transfergeschichte, mit 101 Millionen Euro Ablöse avancierte Gareth Bale zum ersten Akteur, welcher diese sagenhafte Schallmauer durchbrechen konnte. Der Waliser, ein Versprechen für den Weg in eine neue Ära, ein Gelöbnis welches (zunächst) auch eingehalten wurde. Vier Champions-League-Titel hat der Spieler seit seiner Ankunft in der spanischen Hauptstadt bereits gewonnen und stets Aktien am Erfolg seiner Mannschaft besessen. Spektakuläre Finaltore wie der Fallrückzieher gegen Liverpool 2018, sein unwiderstehlicher Sololauf im Finale der Copa del Rey 2014 gegen den damals in Diensten des FC Barcelona befindlichen Marc Bartra, der neben dem Flügelstürmer daherkam wie eine Schnecke im Energiesparmodus, oder auch das wichtige 2:1-Führungstor im Finale zum Gewinn von “La Décima”. Nur drei Beispiele für eine Erfolgsstory zwischen dem Mann von der Insel und den Königlichen. Glorreiche Zeiten hat Bale nicht nur erlebt, sondern entscheidend geprägt! Doch hinter den Kulissen war nicht alles so golden, wie es glänzte.
Zidane, der “casus knacksus”
Das erste Jahr in Madrid stellte womöglich auch direkt seine stärkste Spielzeit dar, anschließend laborierte er immer wieder an kleineren Verletzungen und innerhalb des Teams wirkte Bale gelegentlich isoliert. Allerdings war er – wenn fit – ein wichtiger Teil des gefürchteten “BBC”-Trios bestehend aus seiner Persönlichkeit, Ronaldo und Benzema. Eine absteigende Formkurve hatte sich dennoch unlängst manifestiert und die Einsätze wurden unregelmäßiger. Bereits direkt nach seiner Sternstunde beim Champions League-Finale in Kiew kokettierte Bale noch auf dem Rasen mit einem Wechsel: “Ich muss jedes Wochenende spielen, was in dieser Saison nicht der Fall war. Ich muss mich mit meinem Berater zusammensetzen und sprechen. Vielleicht bleibe ich, vielleicht nicht.”
Zidane, als damals schon verantwortlicher Übungsleiter, kam ihm allerdings zuvor und verabschiedete sich aus Madrid. Bale blieb. Das Problem? Elf Monate später kehrte der Franzose zurück an die Concha Espina und spätestens mit seiner zweiten Amtszeit machte er überdeutlich, dass Bale in seinen Planungen keine Hauptrolle besitzt und er sich hinten einreihen müsse.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt kommt man unweigerlich nicht umhin, der Wahrheit in die Augen zu blicken: So hart wie es auch ist, jede Erfolgsgeschichte muss irgendwann dem Ende entgegen gehen und Wege sich trennen – zum Wohle des Vereins und des Spielers. Doch nicht in dieser Story: Die letzten Kapitel einer Geschichte, welche so beeindruckend begonnen hatte, verursachen im vermeintlich letzten Akt ein unschönes Gefühl und wandeln sich in eine Tragikomödie. Schon seit mehreren Monaten geraten die erfolgreichen Zeiten zunehmend in den Hintergrund, Impressionen des lustlosen Spielers oder Erinnerungen an Pfeifkonzerte für den Waliser prägten sich verstärkt ein. Der Stern des in Cardiff geborenen Offensivmannes ist erschreckend rasch gesunken – trotz 251 Auftritten im Dress der Blancos, wobei ihm 105 Tore und 68 weitere Vorlagen gelungen sind. Alles verpufft!

Eine “Never-Ending-Story”
Egal wer diese Spielzeit zur Verfügung stand, oder auch nicht: Trainer Zidane zeigte wenig bis keine Begeisterung für den früher so dynamischen Rechtsaußen und verzichtete weitestgehend auf dessen Dienste. Waren anfangs noch kleinere Verletzungen der Grund für die Nicht-Berücksichtigungen, erhielten zunehmend andere Spieler regelmäßig den Vorzug. Und Bale? Der macht es sich auf der Bank bequem, vorausgesetzt er erhält überhaupt noch eine Nominierung für den Kader. Wettbewerbsübergreifend kommt der bei Southampton zum Profi gewordene Waliser gerade einmal auf 20 Einsätze, in denen ihm drei Treffer gelangen. Nach dem Corona Re-Start waren es nur noch zwei Auftritte in LaLiga, insgesamt 99 Minuten auf dem Rasen. Zum Rückspiel im CL-Achtelfinale gegen Manchester City hat er sich sogar geweigert, überhaupt mitzureisen. Der Weltstar von vor ein paar Jahren schmort – und schmollt.
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Das Trauerspiel geht nun seit über einem Jahr, denn bereits im Sommer 2019 wollte Trainer Zidane den Briten loshaben: “Wenn er morgen geht, wäre es umso besser”, hatte der Übungsleiter während der USA-Tournee die Nicht-Berücksichtigung des Spielers erläutert. Die Offensivkraft selbst und vor allem auch deren Berater erachteten bereits damals ein Angebot aus China für nicht uninteressant, doch weil der Deal platzte, betonen sie seit über einem Jahr beharrlich die Unwilligkeit zu einem Vereinswechsel: „Es ist ein großer Verlust, dass er nicht im Aufgebot von Real Madrid steht. Aber er wird nicht gehen“, sagte der Berater Jonathan Barnett vor dem City-Rückspiel der BBC.
Und so entwickelt sich das Spektakel zu einer Hängepartie. Bale scheint ernst zu machen und will seinen bis 2022 datierten Vertrag erfüllen – um jeden Preis. Und beim Stichwort “Preis” liegt für die Blancos wohl das größte Manko: Mit einem Jahreseinkommen von circa 30 Millionen Euro (netto 15 Millionen) ist Bale der Top-Verdiener des Kaders und bezieht somit ein Bruttogehalt, das inzwischen seinen Marktwert von 28 Millionen Euro (Stand 23. Juli 2020) übersteigt – ein Kunststück, welches nur wenigen vor ihm gelungen sein dürfte.
Ohne Ansprüche an sich selbst
Und was unternimmt der Spieler gegen seine karriere-technische Sackgasse? Der sieht die Situation – zumindest gibt er es so vor – mit übermäßigem Pragmatismus. Madrid will er ohnehin nicht verlassen und wenn er keinen Fußball spielen darf, nutzt er die unfreiwillig gewonnene Freizeit dafür, sein Handicap zu verbessern. So demonstriert er auffällig häufig eine provokant-sorglose Gelassenheit angesichts seiner sportlichen Talfahrt und macht keine Anzeichen, aktiv etwas daran ändern zu wollen. “Ich kann nur sagen, dass er bevorzugt nicht zu spielen”, reagierte “Zizou” hin und wieder genervt von den wiederkehrenden Fragen zur “Causa Bale”, zu welchem er “eine respektvolle Beziehung” haben will, aber offensichtlich eine unüberbrückbare Kluft zwischen den beiden nicht von der Hand zu weisen ist, die auch nach der Sommerpause nicht wieder umschifft werden kann.

Aus wirtschaftlicher Sicht mag das Verhalten des Spielers gewiss verständlich sein, denn das Gehalt in Madrid für die blanke Anwesenheit wird er mit 31 Jahren anderswo kaum mehr erhalten. Abgesehen vom monetären Anreiz, scheint es ihm und seiner Familie in Spanien sehr gut zu gehen und der Spieler sich wohlzufühlen. “Ich liebe meine Familie und Golf. Das ist, was mich glücklich macht”, führte Bale im Mai angesprochen auf seine Reservistenrolle aus. “Ich habe ein schlichtes Leben und bin sehr glücklich, dass es schlicht ist.”
Ordentliche Argumente, aber aus sportlicher Sicht ist sein Verhalten dennoch nicht nachvollziehbar und das scheinbar derartig offensichtlich, dass kein geringerer als Jürgen Klinsmann erst kürzlich sein Unverständnis für den eingeschlagenen Karriereweg des Walisers äußerte und einen Wunschtransfer zum Ex-Klub von Bale, Tottenham, zu Protokoll führte. Dafür muss man zähneknirschend sogar “Klinsi” recht geben, denn eine neue Herausforderung ist sportlich sinnvoller, als ein trotziger Weltklasse-Fußballer, der sich mit einem zur Schlafmaske umfunktionierten Mundschutz auf die Tribüne legt.
Bale sitzt am längeren Hebel
Doch, und man muss schon sagen leider, rückt der Spieler bis dato keinen Zentimeter von seiner Linie ab – der vielbeschworene Durchzug ist eingeschaltet. Mit dem Golfschläger in der Hand sieht man ihn häufiger als mit dem Ball am Fuß. Und damit sitzen die Königlichen in der Zwickmühle, wenn sich nicht zeitnah in den Gedankengängen des Spielers etwas ändert – denn: Vertrag ist Vertrag! Solange Bale nicht zum Umdenken kommt oder gegen Vertragsinhalte verstößt, werden ihn die Merengues kaum los. Sogar für den Fall, dass der Waliser doch gehen möchte, gibt es kaum Klubs, die in Krisenzeiten nur annähernd Gehalt plus Ablöse stemmen könnten. Nur eine Leihe, wobei Real voraussichtlich Teile des Gehaltes weiterzahlen müsste, scheint theoretisch möglich, soll jedoch laut dem redseligen Berater des Walisers auch keine Option sein.
Man muss konstatieren: Bale will und muss keinem mehr etwas beweisen. Nicht sich, nicht den Fans – egal ob den vielen pfeifenden oder den wenigen applaudierenden. Nicht mal für die Nationalmannschaft muss er sich beweisen – das Fithalten in Madrids Training reicht für einen Platz in Ryan Giggs Kader. Wozu also etwas verändern, wenn es dem Spieler zu gut geht?
So der Status Quo. Der Sommer ist zwar noch lange und es kann viel passieren, aber Stand jetzt haben die Blancos einen altverdienten Star an der Backe und können nichts mit ihm anfangen. Ob Bale es nochmal der Welt zeigen will, ist seine Entscheidung, natürlich auch eine Frage der Ehre. Trotzdem bleibt es vorerst ein Trauerspiel mit ungeklärter Gretchenfrage: Will Bale seine Karriere im Wohlstand versenken oder nochmal beweisen, dass er es noch kann?
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