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Ballon d’Or: Es kann nur einen (Blanco) geben

Die (Vereins-)Saison ist vorbei, doch das Rennen um den Ballon d’Or noch in vollem Gange. Für mich ist jetzt schon klar: Die Auszeichnung für den besten Fußballer 2023/24 muss an einen Spieler von Real Madrid gehen. Vinícius Júnior und Jude Bellingham scheinen die aussichtsreichsten Kandidaten zu sein, doch am ehesten hätte es ein anderer verdient, der selbst darauf vermutlich am wenigsten Wert legt: Toni Kroos wäre ein Ballon-d'Or-Gewinner, der diesem Preis einiges an der in den letzten Jahren verlorenen Würde zurückgeben würde.

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Macht dieses Trio den Ballon d’Or für die Saison 2023/24 unter sich aus? Fotos: getty images, imago

Ein Verein, drei Favoriten

Wenn im kommenden Oktober die französische Fußball-Fachzeitschrift France Football den Preis für den weltbesten Fußballer 2023/24 vergibt, kann und darf es nur einen Gewinner geben – einen von Drei. Real Madrid hat eine historisch dominante Saison gespielt, gewann bis auf die Copa del Rey alle möglichen Trophäen, dominierte die heimische Liga nach Belieben und krönte sich standesgemäß mit dem 15. Champions-League-Titel der Vereinsgeschichte. In einer glänzenden Teamleistung über die gesamte Spielzeit ragten drei Akteure besonders heraus und einer von ihnen muss der kommende Weltfußballer werden.

Jude Bellingham war in der Hinrunde der beste Fußballer der Welt und hat sich in seiner neuen Umgebung bei Real Madrid so gut und schnell eingelebt wie kein anderer Spieler seit Cristiano Ronaldo. Der 20-jährige Engländer hat nicht nur häufig getroffen, sondern auch enorm wichtige Tore erzielt, wie zum Beispiel seinen Doppelpack beim Sieg im Clásico im November 2023 und seinen Doppelpack gegen Girona Anfang Februar 2024. Auch im Clásico-Rückspiel traf er dann wieder in letzter Minute zum Sieg. Nicht zu vergessen seine Last-Minute-Winner gegen Getafe, Union Berlin, Celta. Eigentlich auch in Valencia… In der Rückrunde wurden die Tore zwar weniger aufgrund einer etwas zurückgezogeneren Position, seine Leistungen aber nicht wesentlich schlechter und weniger wichtig. Manchmal vergisst man, dass Bellingham kein Stürmer, sondern ein Mittelfeldspieler ist, und als solcher kann er auch auf eine glänzende Rückrunde zurückblicken. Wie er trotz einer seit Monaten lädierten Schulter die Zähne zusammenbiss und in der wichtigsten Phase der Saison vor allem mit seiner Lauf- und Kampfbereitschaft eine der tragenden Säulen im Team von Carlo Ancelotti darstellte, war beeindruckend. Sein natürliches Charisma, der mittlerweile ikonische Torjubel und ein absolut tadelloses, ja vorbildliches Verhalten auf und außerhalb des Platzes machten ihn außerdem bereits in seiner ersten Saison an der Concha Espina zu einem der Idole des Madridismo. Bei der kommenden Europameisterschaft in Deutschland kann der Engländer, der in seiner ersten Saison gleich zum Spieler der LaLiga-Saison sowie zum besten jungen Spieler der CL-Saison ausgezeichnet wurde, seine Chancen auf den Ballon d’Or noch weiter erhöhen.

Aufgrund einer Verletzung konnte Vinícius Júnior den abgewanderten Karim Benzema zu Beginn der Saison nicht so schnell und gut ersetzen wie Neuzugang Bellingham, doch der Brasilianer steigerte sich immer mehr und immer schneller, um vor allem in den letzten Monaten, in der wichtigsten Phase der Saison dank seiner Schnelligkeit, seinen Dribblings und Toren überragende Leistungen zu zeigen. Der 23-Jährige erzielte beispielsweise einen Hattrick im Finale der España gegen den Erzrivalen aus Barcelona, war beim Meisterschafts mit entscheidenden 4:0 gegen Girona an allen vier Toren beteiligt. Auch im erfolgreichen CL-Viertelfinale gegen Manchester City und im Halbfinale gegen den FC Bayern war der Brasilianer besonders stark, um seine Saison im großen Finale gegen Borussia Dortmund mit dem alles entscheidenden Treffer zu krönen. Einmal mehr bestätigte sich die These von „Big Game Vini“. Bei der Copa América 2024 kann Vinícius mit Brasilien zudem seinen ersten Titel im gelben Trikot holen, die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Danach könnte er tatsächlich seinen ersten Ballon d’Or einheimsen.

Über Toni Kroos und seine einmalige Karriere ist in den letzten Wochen und Tagen fast alles gesagt und geschrieben worden. Was in den Tagen nach der Verkündung seines Rücktritts allerdings fast ein wenig zu kurz kommt, ist der Fakt, dass der 34-Jährige eine überragende Saison gespielt hat, vielleicht sogar die beste seiner ganzen Karriere. Seine Ball- und Passsicherheit hat Kroos – was unmöglich schien – auf ein noch höheres Niveau gehoben, keiner spielte mehr Pässe ins letzte Spielfelddrittel in dieser CL-Saison, kein Feldspieler brachte in LaLiga mehr lange Bälle an den Mann. Zudem hat sich Kroos in den letzten drei Jahren immer mehr auch körperlich gesteigert, sein Spiel ist tatsächlich physischer geworden und so dirigierte er in dieser Saison in herausragender Manier das königliche Ensemble zu drei Titeln und sich selbst zu einem wahrlich perfekten Karriereende bei seinem Verein. Auch er glänzte speziell in den größten und wichtigsten Spielen der Saison – sein Pass auf Vinícius zum 1:0 in München war allein eine Trophäe wert. Auch die Ecke im Finale: alles andre als Zufall! Wie Bellingham und Vinícius hat auch Kroos im Sommer die Möglichkeit, einen weiteren Titel mit seinem Nationalteam zu holen – in seinem Fall die einzige Trophäe, die er im Fußball noch nicht gewonnen hat. Doch auch ohne die EM wäre der Mecklenburger oder der „deutsche Madrilene“, wie ihn der Madrider Bürgermeister am Sonntag bei den Feierlichkeiten anlässlich des 15. CL-Titels nannte, mehr als ein würdiger Ballon d’Or-Gewinner.

Kroos würde dem Ballon d’Or die Würde zurückgeben

Der Ballon d’Or, der seit 1956 vergeben wird, gilt als die prestigeträchtigste und wichtigste individuelle Auszeichnung für einen Fußballspieler. Seit 2008 für mehr als ein Jahrzehnt ohnehin zu einem teilweise sinnlosen Duell zwischen Cristiano Ronaldo und Lionel Messi verkommen, verlor der Preis vor allem in den letzten Jahren einiges an Würde. So wurde die Auszeichnung im Corona-Jahr 2020 einfach gar nicht vergeben, obwohl alle wichtigen Vereinswettbewerbe trotz der Pandemie zu Ende gespielt wurden – Robert Lewandowski wurde trotz sechs gewonnener Titel mit dem FC Bayern und historischer Tor-Bestmarken in der Bundesliga nicht einmal virtuell ausgezeichnet. Die Ernennung Lionel Messis zum Weltfußballer 2023 war ebenfalls umstritten, denn der Argentinier gewann mit seiner Nationalmannschaft zwar die WM 2022 in Katar, auf Vereinsebene spielten aber weder er noch sein Verein (Paris Saint-Germain) irgendeine bedeutende Rolle. Der ein Jahr alte WM-Titel schien bei der Wahl das einzige Kriterium gewesen zu sein, ganz anders als im Jahr 2010, als Messi ebenfalls den Preis gewann, obwohl er im WM-Viertelfinale mit Argentinien krachend an Deutschland scheiterte und mit dem FC Barcelona in der Champions League vorzeitig ausschied, während sein Teamkollege Andres Iniesta mit Spanien Weltmeister wurde und das Finale mit seinem Tor entschied. Selbst in diesem Jahr scheint der achtmalige Preisträger bei manchen Journalisten im Gespräch für eine erneute Auszeichnung zu sein, obwohl er seine großartige Karriere in der völlig bedeutungslosen MLS in den USA ausklingen lässt. Es ist in solchen Fällen immer von der „Krönung des Lebenswerks“ die Rede, siehe auch Messis Auszeichnung 2021, als er mit Barça lediglich die Copa del Rey gewann und trotzdem Weltfußballer wurde. Die Gesamtkarriere der Spieler soll allerdings seit 2022 bei der Wahl nicht mehr berücksichtigt werden, relevant sind die individuellen Leistungen der Nominierten, das Abschneiden ihrer Mannschaften sowie ihr Talent und Sportsgeist. Der maßgebliche Zeitraum ist seitdem nicht mehr das Kalenderjahr, sondern eine übliche europäische Fußballsaison, sodass der Gewinner im Oktober gekürt werden soll. Wahlberechtigt ist seither je ein Journalist pro Land der Top-100 der FIFA-Weltrangliste.

Die Wahl von Toni Kroos zum Weltfußballer 2023/24 würde dieser Auszeichnung ein Stück weit diese verlorene Würde zurückgeben. Man würde nicht nur die Karriere und das Lebenswerk eines der besten Mittelfeldspieler der Fußballgeschichte krönen, sondern in erster Linie und vor allem den besten Mittelfeldspieler der Welt 2023/24. Und den Anführer der besten Mannschaft der Welt 2023/24. Die Leistung des Deutschen und die gewonnenen Titel mit den Blancos, die in 55 Spielen nur zwei Niederlagen hinnehmen mussten, sind an und für sich Grund genug, um ihm zum Weltfußballer zu küren, doch sollte er mit Deutschland bei der kommenden Heim-EM tatsächlich auch noch ins Finale kommen, kann und darf an ihm bei der Ballon-d’Or-Wahl überhaupt kein Weg führen. Seine Teamkollegen Vinícius und Bellingham wären mit Sicherheit die Letzten, die etwas dagegen hätten, denn sie können und werden in den kommenden Jahren noch oft genug um den Preis wetteifern. Toni Kroos selbst wird dieses Thema allerdings am wenigsten kümmern, ihm war der Teamerfolg immer am wichtigsten. Auch und gerade deshalb wäre er ein würdiger Weltfußballer.

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Kommentare
Also nach dem Cl-Sieg sehe ich sowohl Vini als auch Jude als die Favoriten an.

Die EM wird auch noch eine entscheidende Rolle spielen - gerade sollten England (Jude) oder Deutschland (Toni) gewinnen, könnte das entscheidend sein.

Ich würde es allen dreien gönnen - aber wahrscheinlich wird es wieder Messi :D
 
Kroos ist einfach nicht bei der UCL Topelf dabei. Dafür aber Vitinha und Sabitzer. Unglaublich, was sie alles tun, um Real nicht gut dastehen zu lassen. Lunin hätte auch safe in die Elf gemusst. Kobel war nicht besser, sondern hatte mehr Glück mit dem Aluminium.
 
Messi im Jahr 2024: 15 Spiele, 14 Tore und 11 Assists.
Also bitte... :D
 
Viele vergessen die EM und den Copa America. Deshalb ist die Sache noch nicht so klar wie viele meinen. Gewinnt England bzw. Deutschland die EM mit starken Leistungen von Foden bzw Bellingham und Kroos, könnten auch sie Weltfussballer werden statt Vini. Und gewinnt Messi die Copa America, wird vermutlich er nochmal Weltfussballer. Die Copa America interessiert keinen, ausser wenn Messi sie halt gewinnt. Ist nicht meine Sicht, sondern so wird das gewertet.
 
Viele vergessen die EM und den Copa America. Deshalb ist die Sache noch nicht so klar wie viele meinen. Gewinnt England bzw. Deutschland die EM mit starken Leistungen von Foden bzw Bellingham und Kroos, könnten auch sie Weltfussballer werden statt Vini. Und gewinnt Messi die Copa America, wird vermutlich er nochmal Weltfussballer. Die Copa America interessiert keinen, ausser wenn Messi sie halt gewinnt. Ist nicht meine Sicht, sondern so wird das gewertet.

Brasilien vs Argentinien wäre ein schönes Finale. Mit einem Siegtor von Vinicius natürlich.
 
Nach dem Artikel wird einem auch erstmal wieder klar, wie viele Balon D‘Ors von Messi gerigged waren.. krass
 

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