
Starke Zahlen: Neun Treffer und fünf Assists
VALENCIA. Dass Real Madrid zu Beginn der Saison 2021/22 über zwei Scorer verfügen würde, haben sicherlich nicht wenige Experten während des heißen Transfersommers erwartet. Dass diese Scorer jedoch Karim Benzema und Vinícius Júnior und nicht etwa Benzema und Kylian Mbappé heißen würden, schien noch vor wenigen Wochen eine sehr weit hergeholte These.
Nach fünf LaLiga-Spieltagen bewahrheitet sich jedoch genau dieses Szenario: Mit elf Toren – sechs Treffer gehen dabei auf das Konto des Franzosen, fünf Tore erzielte der Brasilianer – ist das königliche Stürmer-Duo derzeit die heißeste Offensivreihe in LaLiga (und vielleicht sogar in Fußball-Europa). Hinzu kommen sieben Assists (fünf davon gehen auf Benzemas Konto). Nur logisch, dass die Kombination Vinícius-Benzema auch am Sonntagabend im Mestalla der Garant für den königlichen Last-Minute-Erfolg war: Dabei bediente der Mittelstürmer den 21-jährigen Flügelflitzer in der 86. Spielminute zunächst in Weltklasse-Manier, ehe sich der Brasilianer nur drei Zeigerumdrehungen später mit einer sehenswerten Flanke von der linken Seite revanchierte.
Benzema lange offensiver Alleinunterhalter
Dreht man die Uhr allerdings fast genau zwölf Monate zurück, stellt sich das Verhältnis der beiden Ausnahmekönner noch deutlich anders dar: So soll Torjäger Benzema im Gespräch mit Landsmann Ferland Mendy über Vinícius, dessen schlechte Entscheidungsfindung und mangelnde Produktivität in Mönchengladbach gelästert haben: „Er macht, was er will. Pass den Ball nicht zu ihm, Bruder. Beim Leben meiner Mutter, er spielt gegen uns“, wurde der 33-Jährige damals zitiert.
Und auch wenn Reals bester Torschütze seit dem CR7-Abgang, über weite Strecken zugleich offensiver Alleinunterhalter bei den Merengues, in den Wochen und Monaten nach dem besagten Eklat bemüht war, die Wogen zu glätten, so schien das Verhältnis unterkühlt und die Chemie zwischen den Teamkollegen defacto etwas angekratzt zu sein.
Ein Jahr später schlägt der Franzose plötzlich ganz andere Töne an. Nach der 5:2-Gala bei der Bernabéu-Rückkehr in der Vorwoche huldigte der Torjäger seinem kongenialen Partner: „Viní ist ein Phänomen, ich spiele sehr gerne mit ihm zusammen. Er hat unter Beweis gestellt, dass er das Zeug dazu hat, immer für Real Madrid zu spielen. Ich freue mich sehr für ihn.“ Doch wie lässt sich dieser Sinneswandel erklären?

Verbesserte Entscheidungsfindung führt zu deutlichem Qualitätsgewinn
Augenscheinlichster Grund ist die außergewöhnliche Verfassung des Vinícius Júnior sowie der offensichtliche Entwicklungsschritt, den der Brasilianer im vergangenen Sommer in puncto Entscheidungsfindung und Torabschluss vollzogen hat. War der Flügelspieler in den abgelaufenen Spielzeiten noch dafür bekannt, einen Großteil seiner klaren Torchancen zu versieben, den besser postierten Nebenmann in vielen Situationen nicht zu sehen oder in den falschen Situationen anzuspielen – oder schlichtweg mit großer Wahrscheinlichkeit eine suboptimale oder gar schlechte Entscheidung zu treffen – präsentiert sich der 21-Jährige dieser Tage wesentlich abgeklärter und selbstbewusster.
So blieb „Viní“ bislang im Prinzip in nahezu jeder klaren Eins-gegen-Eins-Situation mit dem gegnerischen Torhüter Sieger und bewies tendenziell ein ziemlich gutes Näschen, wenn es darum ging, entweder selbst den Torabschluss zu forcieren oder seine Mitspieler einzusetzen. Eben diese Stärke veranlasste „KB9“ vor der Champions-League-Partie in Mailand sogar, in Sachen Lob noch einmal nachzulegen: „Viní ist ein junger Spieler, der jetzt Erfahrung in diesem Klub hat. Er hilft uns viel und trifft momentan. Er hilft uns auch mit seinem Tempo und wird uns die gesamte Saison helfen. Ich rede viel mit ihm und wenn ich ihm dabei helfen kann, dass er noch erfolgreicher in Madrid ist, werde ich das tun, denn ich glaube an ihn. Er ist ein Top-Spieler.“
Entscheidenden Anteil an Vinícius’ Transformation vom Chancentod zum (potenziellen) Unterschiedsspieler hat ohne Zweifel Trainer Carlo Ancelotti. So schenkt der Italiener dem Youngster zurzeit nicht nur das nötige Vertrauen, sondern packte im Training zudem gezielt dessen größte Schwächen an: Aus Vereinskreisen ist immer wieder zu hören, dass „Carletto“ seinem Schützling in verschiedenen Übungs- und Spielformen immer wieder mit Kontaktbegrenzungen konfrontiert und darüber hinaus mental auf ein neues Level gehievt hat.
Vinícius’ Entwicklung beschert Benzema neue Freiheiten
Und dass ein verbesserter Vinícius auch einem Benzema in körperlicher und mentaler Top-Form von Nutzen ist, hat der Franzose längst begriffen. Der Torjäger, dessen hervorragende Form neben dem Vertrauen des Trainers eben auch von der Performance der Mitspieler und der Unterstützung des Madridimso abhängt, scheint es zu begrüßen, dass er offensive Druck des Chancenkreierens und Toreschießens nicht mehr ausschließlich auf seinen Schultern liegt. So ist es völlig logisch, dass – wenn sich ein gegnerischer Abwehrverbund auf zwei potenzielle Top-Scorer konzentrieren muss – die jeweiligen Handlungs- und Aktionsräume für den jeweils anderen größer werden. “Ich versuche, Vinícius so wie alle anderen zu behandeln. Ich pushe ihn im Training, sage ihm, dass er sich auf die Arbeit fokussieren soll. (…) Er bewahrt vor dem Tor jetzt einen kühleren Kopf, das ist der einzige Unterschied, den man bemerkt”, erklärte der Italiener zuletzt selbst.
Dass das Duo Benzema-Vinícius aufgrund des fortegschrittenen Fußballeralters des Franzosen (33) den Weltfußball sicherlich nicht über viele Jahre dominieren wird, steht außer Frage. Gut denkbar jedoch, dass die beiden Offensiv-Waffen den Merengues in den kommenden beiden Spielzeiten bis zum Vertragsende des Mittelstürmers im Juni 2023 viele glückliche Momente – und hoffentlich auch den einen oder anderen Titel bescheren werden.
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