Die Qualitäten von Vinícius sind für mich ehrlich gesagt unbestreitbar. Er mag kein herausragender Kombinationsspieler sein, dafür zählen seine Dribblingfähigkeiten zu den besten der Welt.
Vini ist für mich ein Spieler, der Spiele gegen jede Mannschaft der Welt – selbst dann, wenn man mannschaftstaktisch und fußballerisch klar unterlegen ist – im Alleingang durch geniale Einzelaktionen entscheiden kann. Das sehe ich derzeit bei keinem anderen Spieler auf diesem Planeten in dieser Konsequenz.
Ich glaube nicht, dass er in der Vergangenheit überperformt, also über seinen eigentlichen Möglichkeiten gespielt hat. Vielmehr fehlt es ihm meiner Meinung nach aktuell vor allem im Kopf.
Interessant an seiner Entwicklung finde ich, dass er sich, je besser er wurde, mit immer mehr Dingen beschäftigt hat, die nicht primär das Fußballspielen selbst betreffen. Am Anfang war er ein bodenständiger und demütiger Fußballer, der es bei Real Madrid unbedingt schaffen wollte und dafür auf dem Platz wie ein Irrer gearbeitet hat. Nach und nach hat er sich dann jedoch immer mehr mit Gegenspielern, Schiedsrichtern, dem Publikum und sogar gegnerischen Trainern beschäftigt – und zunehmend weniger mit seinem eigenen Spiel und seiner Leistung auf dem Platz. Auch seine Arbeitsrate hat spürbar nachgelassen.
Für mich ist das ein klassischer Fall von „dem ist der Ruhm zu Kopf gestiegen“, und darauf ruht er sich aktuell aus. So funktioniert der Profifußball aber nicht. Dort muss man sich Woche für Woche, Tag für Tag neu beweisen und konstant Gas geben.
Toni Kroos hat in einem Interview einmal gesagt, dass er sich sportlich jeden einzelnen Tag verbessern wollte – was übrigens auch für Luka Modrić galt – und stets nach Perfektion strebte. Dieses Mindset vermisse ich derzeit (!) bei Vinícius. Ich vermute, dass er aus seinem Umfeld zu sehr gebauchpinselt und gleichzeitig schlecht beraten wird. Exemplarisch dafür war für mich die Szene in seiner Dokumentation, in der aus seinem Umfeld die Forderung geäußert wurde, dass er als bester Spieler doch Kapitän sein müsse. Da stellt sich für mich unweigerlich die Frage, was man mit der Veröffentlichung dieser Szene erreichen wollte bzw. welche Botschaft damit gesendet werden sollte. Diese Szene blieb ja nicht ohne Grund in der Doku – man hätte sie problemlos herausschneiden können. Klar ist außerdem, dass man mit einer solchen Forderung schnell egoistisch und eigensüchtig wirkt, zumal die Kapitänsregel bei Real Madrid klar, traditionsreich und eindeutig geregelt ist. Sympathisch wirkte diese Szene auf mich jedenfalls nicht.
Bei den aktuellen Gehaltsverhandlungen ist es im Grunde genau dasselbe. Florentino Pérez ist in dieser Hinsicht alles andere als unfair. Hervorragende Leistungen werden von ihm in der Regel auch hervorragend vergütet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er Vinícius’ Vertrag in der Vergangenheit aufgrund seiner enormen Leistungssteigerung angepasst hat, obwohl noch ein gültiger Vertrag bestand und eine Gehaltserhöhung keineswegs verpflichtend gewesen wäre. Ich denke daher, dass seine Entourage auf überzogenen Forderungen beharrt, nicht zuletzt aus Eigeninteresse. Je mehr Vini verdient, desto mehr profitiert auch sein Umfeld finanziell – und davon können wiederum seine „Kumpels“ leben.
Ob er die Kurve noch einmal bekommt, liegt letztlich allein an ihm selbst. Da muss es im Kopf wieder „Klick“ machen. Und dabei kann ihm weder ein Trainer noch Mitspieler oder das Publikum helfen.
Ich hoffe einfach, dass er wieder der „Alte“ wird. So wie es derzeit läuft, kann und wird es für ihn auf diesem Niveau leider nicht dauerhaft weitergehen, was für beide Seiten eine absolute Lose-Lose-Situation wäre.