
„Di Stéfano war nicht zu stoppen“
MADRID. Fünf Europapokal-Siege in Folge. Ein Rekord, der wohl für die Ewigkeit bestehen wird. Aufgestellt von Real Madrid. Natürlich. Angeführt vom legendären Alfredo Di Stéfano sorgte das weiße Ballett – wie das Team aufgrund seiner virtuosen und eleganten Spielweise getauft wurde – Ende der Fünfziger für Furore. Einer der Hauptprotagonisten dieser Zeit war Raymond Kopa, der beim ersten Titel 1956 allerdings noch für Reals Finalgegner Stade Reims auflief. Bei der 3:4-Niederlage gegen die Blancos blieb dem Franzosen vor allem der Auftritt eines zukünftigen Teamkollegen im Gedächtnis: „Wir führten 2:0. Doch Alfredo Di Stéfano war nicht zu stoppen, er bog das Resultat fast allein zu seinen Gunsten um, ein wahrer Herkulesakt. Am Ende hieß es 4:3 für Madrid. Es war die Geburtsstunde der größten Mannschaft in der Geschichte des Fußballs.“
Und tatsächlich sollten vier weitere Titel auf europäischer Bühne folgen. In der darauf folgenden Saison zog es den Rechtsaußen für die damalige Ablösesumme von 52 Millionen Francs (auf heute umgerechnet ca. acht Millionen Euro) selbst in die spanische Hauptstadt. Schon damals verfügte der Klub über eine enorme Anziehungskraft, die im Fußball ihresgleichen sucht: „Ich wusste einfach, dass ich zu Real Madrid wechseln musste, eine unwiderstehliche Kraft zog mich dorthin. Ich wollte an der Spitze stehen, und Real Madrid gehörte die Zukunft.“
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Di Stéfano, Puskás, Gento – Mitspieler der Extraklasse
Dass er diesen Schritt zum dann amtierenden Europapokal-Sieger überhaupt erst vollziehen konnte, war auch ein Verdienst Di Stéfanos: „Er hatte ein starkes Zeichen gesetzt. Damals durften die Klubs in Spanien nur drei Ausländer im Kader haben. Drei waren schon da: Roque Olsen, Hector Rial und er selbst, allesamt gebürtige Argentinier. Don Alfredo hat sich dann einbürgern lassen, um Platz für mich zu machen.“ Derartige Handlungen könnte man als stellvertretend für das Verhalten des „blonden Pfeils“ heranziehen. Star-Allüren seien für Di Stéfano ein Fremdwort gewesen. „Don Alfredo wusste, dass er uns brauchte. Er war ein freundlicher, warmherziger und hingebungsvoller Mann. Er hat sich niemals eingebildet, dass er alles allein richten könnte – obwohl er das mitunter durchaus tat, um ehrlich zu sein“, zeigt sich Kopa noch heute von seinem damaligen Kapitän höchst angetan.
Das Real Madrid Ende der 1950er bestand allerdings nicht nur aus „la saeta rubia“. Mit Ferenc Puskás habe man „vielleicht den Besten aller Zeiten“ in seinen Reihen gehabt. Auf fußballerischer Ebene sei der Ungar wahrscheinlich noch ein Stück über Don Alfredo anzusiedeln: „Di Stéfano war der Chef, der Anführer dieser großen Mannschaft. Als Individualist war Ferenc Puskás aber sogar noch eine Spur stärker. Welch ein großartiger Spieler! Ich sah ihn erstmals 1953 in London. Wir waren mit der gesamten Mannschaft von Stade Reims dorthin gereist, um uns das Länderspiel zwischen England und Ungarn im Wembleystadion anzusehen. Es endete 6:3 für Ferenc und seine Jungs. Es war eine Zaubervorstellung, reine Magie.“
Und dann war da noch Francisco „Paco“ Gento, der „kantabrische Sturmwind“, der mit seiner enormen Schnelligkeit und seinem Tempo den perfekten Gegenpart zum technisch beschlagenen Kopa bildete: „Don Alfredo war der Feldherr in der Mitte des Geschehens, Ferenc sein Adjutant auf halblinks, ich war Rechtsaußen. Aber Sie haben einen äußerst wichtigen Mann in diesem Gefüge vergessen: Francisco Gento! Ich habe keinen Spieler gesehen, der mit dem Ball am Fuß schneller war als er. Ich konnte dribbeln, er konnte rennen. Wenn Sie so wollen, waren unsere Außenbahnen verschiedene Klimazonen.“
Aber auch „Kopita“ hinterließ in den königlichen Geschichtsbüchern seine Spuren und hatte an den zwei Meistertiteln und drei Landesmeister-Erfolgen in seiner Zeit bis 1959 entscheidenden Anteil. Von den Lesern der französischen Zeitung FRANCE FOOTBALL wurde er zum „Besten Spieler der Nachkriegszeit“ gewählt, 1958 erhielt er den Ballon d’Or als bester Spieler Europas. Eine Auszeichnung die ihn besonders stolz macht: „Das bedeutet mir sehr viel! Vor und nach mir hat ihn Don Alfredo bekommen. Ich bin also eingerahmt von einem der Größten.“
„Dieser Klub war in allem die Nummer eins“
Doch nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich und strukturell bewegte man sich zu diesen Zeiten in anderen Sphären. In erster Linie natürlich ein Verdienst von Präsident Santiago Bernabéu, dessen Erfolgsformel so einfach wie simpel anmutet: „Dieser Klub war in allem die Nummer eins. Zum Beispiel auch medizinisch. Wenn ein Spieler auch nur ein kleines Zipperlein hatte, kam sofort der Mannschaftsarzt zu ihm nach Hause und kümmerte sich um ihn. Und weil er ja schon mal da war, hat er den Rest der Familie auch gleich untersucht. Das war die Handschrift von Präsident Bernabéu: Er hatte einfach alles im Blick. Und: er liebte die Menschen. Das war sein Erfolgsgeheimnis – und somit auch des ganzen Klubs“, so der mittlerweile 84-Jährige schwärmerisch.
Das höchste der Gefühle sei jedoch ein Spiel im Estadio Santiago Bernabéu gewesen, das damals noch 125.000 Zuschauern Platz bot: „Im Stade August-Delaune (bei seinem alten Verein Stade Reims; d. Red.) spielten wir vor höchstens 10.000 Zuschauern, im Bernabéu waren es zehn Mal so viele. Ich habe es über alles geliebt! Die Anhänger riefen mich während der Spiele mit meinem spanischen Namen, um mich anzufeuern: ‚Los, Kopita, lauf! Mach sie fertig, Kopita!‘ Ich habe mich sogar gefreut, als das Stadion erweitert wurde.“
„Franco? Vielleicht war der Fußball ein Ventil für die Leute“
Beeindruckend liest sich auch die Heimbilanz des Franzosen in seinen drei Jahren in der spanischen Hauptstadt. Lediglich ein Heimspiel ging verloren. Allerdings hieß der Gegner Atlético – eine Schmach sondergleichen. Am folgenden Tag musste das gesamte Team bei Klubchef Bernabéu vorstellig werden: „Es war eine Niederlage, die so bitter war wie tausend: zu Hause gegen Atlético! Am Tag danach musste die ganze Mannschaft bei Bernabéu zum Rapport antreten. ‚Meine Herren! Wenn das noch einmal passiert‘, brüllte er, ‚werfe ich Sie alle raus!‘ Wir saßen da wie Schullümmel. Aber hinterher, als wir wieder unter uns waren, mussten wir schon ein bisschen lachen. Wir wussten ja: Bessere Spieler als uns würde er auf der ganzen Welt nicht finden.“
Sich zwischen Real Madrid und Atlético zu entscheiden, ist wie, als würde man zwischen reich und arm wählen Santiago Bernabéu
So glanzvoll es sportlich lief, politisch durchlief Spanien mit der Diktatur Francisco Francos keine einfache Zeit. Dass es der Bevölkerung allerdings jedoch besonders schlecht ging, sei ihm nicht aufgefallen. Das Bernabéu sei auch ein besonderer Ort der Freude gewesen: „Mir ist nichts Negatives in Erinnerung geblieben. Mag sein, dass meine Sicht verzerrt ist. Ich hatte ja vor allem im Stadion Kontakt zu den Leuten. Dort waren sie ausgelassen und fröhlich. Vielleicht war der Fußball ein Ventil für sie.“ Hartnäckig halten sich in diesem Zusammenhang auch die Gerüchte, dass der Diktator den größten spanischen Verein besonders unterstützt hätte. Ein Märchen, das auch Kopa entschieden zurückweist: „Wollen Sie damit sagen, dass wir deswegen Vorteile hatten? Unsere Tore haben wir schon selbst herausgespielt.“
Alles in allem kann der „Napoleon des Fußballs“ auf eine traumhafte Karriere zurückblicken und zählt wohl zu den besten Spielern, die je das weiße Trikot getragen haben. Dass er dabei ausgerechnet mit Lionel Messi, dem Superstar des Erzrivalen aus Barcelona, verglichen wird, nimmt er schmunzelnd hin: „Ausgerechnet ein Spieler des FC Barcelona, unserem Erzrivalen! Aber ich nehme es als Kompliment. Wobei es ihm natürlich mehr schmeichelt als mir (lacht).“ Dem ist wohl ist nichts hinzuzufügen.
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