Federico Valverde: Von einer sanften Brise zum wirbelnden Orkan
Federico Valverde mag für viele oberflächliche Beobachter nur ein Ergänzungsspieler im königlichen Ensemble sein, doch ein genauerer Blick auf die Rolle des Uruguayers lohnt sich und es ist sicher nicht grundlos, dass der 22-Jährige binnen weniger Monate zum Publikumsliebling avancierte. REAL TOTAL klärt auf, was die Königlichen an ihrem „Rohdiamanten" haben und warum rasch aus diesem einst so lauen Lüftchen ein brausender Sturm werden kann.
Federico ist eine Naturgewalt, überzeugt mit seinem Tempo, den Tiefenläufen und zuweilen auch mit enormer Schusskraft – Foto: imago images / Cordon Press/Miguelez Sports
Die letzten Jahre in der königlichen Schaltzentrale wurden vom wohl besten Mittelfeld-Trio der jüngeren Fußballgeschichte geprägt: Casemiro als robuster „Staubsauger”, Toni Kroos mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks und als Fadenzieher im Mittelfeld sowie Luka Modrić als der Mann für die unerwartet kreativen Momente, die ein Spiel auf den Kopf stellen können. Jahrelang hatten diese drei unangefochten das Sagen, Ball und Gegner laufen lassen und schienen in der Symbiose ihrer Fähigkeiten so perfekt, als könnte es nicht besser werden – ein unzertrennliches „Trio Infernale” eben. Doch die Zeit, in welcher diese Drei uns mit Fußball-Feinkost beglückten, verging wie im Flug und alle Protagonisten werden nicht jünger – frischer Wind ist allmählich notwendig geworden. Zunächst handelte es sich bei der Lösung um eine sanfte Brise, doch nach den ersten Monaten der Anpassung wurde rasch erkennbar, dass sich ein Orkan zusammenbrauen würde, eine Naturgewalt, die einen ganz neuen Ansatz mit in das Zidane’sche Mittelfeld zu schwemmen vermochte.
Ein Sturm kommt auf
Die Rede ist von Federico Valverde, der nach seiner Ausbildung beim uruguayischen Serienmeister CA Peñarol aus Montevideo an seinem 18. Geburtstag, im Juli 2016, für schlappe fünf Millionen Euro in die spanische Hauptstadt transferierte. Schon 2015 verkündeten die Blancos den Wechsel. Im Gegensatz zu den Verpflichtungen von Vinícius Júnior oder Rodrygo Goes wurde bei Valverde ein behutsamer Weg ausgewählt, sodass sich das laue Lüftchen langsam entfalten konnte. Nach einigen Einsätzen in der Castilla folgte in der Saison 2017/18 ein Leihgeschäft zu Deportivo la Coruña, wo Valverde Spielpraxis in LaLiga sammeln konnte und nach dem Ende der Spielzeit 24 Einsätze in Spaniens Beletage zählte. Ein Klimawechsel, welcher dem jungen Südamerikaner gut tat, denn nach seiner Rückkehr stieß „el Pajarito” – das Vögelchen – zu den Profis und mauserte sich vom Ergänzungsspieler durch stetige Leistungen zum Leistungsträger. „Er ist am Ball sehr gut. Ich liebe diesen Spieler”, sagte Toni Kroos – Valverdes Idol – unlängst über den Uruguayer. „Hierher zu kommen, in seinem Alter so zu spielen, bedeutet, dass er viel Qualität besitzt.“ Es braute sich allmählich etwas zusammen und Zidane baute auf das vielversprechende Talent, was sich bereits durch den im Jahr 2019 langfristig verlängerten Vertrag niederschlug, welcher noch bis 2025 laufen wird und angeblich mit einer hochkarätigen Ausstiegsklausel von 750 Millionen Euro versehen ist.
Im ersten Clásico traf Valverde selbst, im zweiten sorgte er mit einem seiner berüchtigten Tiefenläufe für den wichtigen „Pre-Assist” zum 1:0 von Karim Benzema – Foto: IMAGO / Marca
Der Nimbus des einst unangefochtenen Mittelfeld-Trios wich auch durch die Leistungen des jungen „Urus”. Immer häufiger erhielt Valverde das Vertrauen seines Trainers, ersetzte einen der drei obligatorischen Protagonisten und wusste zu glänzen. „Er ist ein anderer Spieler, jung, er ist hungrig und will die Dinge richtig machen“, sagt Zidane über den Uruguayer. Was er damit meint? Valverde hat nicht die Zweikampfstärke von Casemiro, nicht die Pass-Perfektion von Kross oder die Kreativität von Modric, aber er bringt dafür neue Attribute ins Mittelfeld ein und erlaubt damit seinem Übungsleiter bei taktischen Überlegungen auf ein zusätzliches Stilmittel zurückgreifen zu können: unwahrscheinliches Tempo, mit brandgefährlichen Tiefenläufen, die nahezu jede Abwehrkette vor enorme Schwierigkeiten stellen. Kurzum und mit den Worten Zidanes: „Fede ist ein junger Spieler, der eine große Zukunft vor sich hat.“ Die Böen, die vom Südamerikaner ausgehen, werden immer stärker! Zuletzt demonstriert? Vor dem 1:0 von Benzema im Clásico riss Valverde mit einem raumgreifenden Solo die notwendige Lücke für den Assist von Vázquez. Eine für Valverde typische und auch absolut spielentscheidende Szene, die jedoch in keiner Scorerliste Einkehr finden wird, weshalb der 22-Jährige bei vielen noch immer zu unrecht unter dem Radar agiert.
Valverde, der Inbegriff des modernen Mittelfeldspielers. REAL TOTAL stellt ihn vor. weiterlesen
Wer sich allerdings umfangreicher mit dem Mittelfeldmotor beschäftigt, der weiß bereits jetzt, dass ihm die Zukunft gehören wird. Nicht umsonst, hat er einen aktuellen Marktwert von schlappen 70 Millionen Euro und die Bayern aus München angeblich mehrfach ihre Fühler nach dem Südamerikaner ausgestreckt. Und ebenso gibt es einen Grund dafür, dass Zidane seinen Schützling nicht ziehen lassen wird, fest mit ihm plant und so den Bayern eine kalte Schulter zeigt. Das brodelnde Sturmtief soll schön an der Concha Espina verweilen und bei noch vielen Gegner für schauriges Unwetter sorgen. „Wir wissen, was Fede für ein Spieler ist, was er dem Team für ein Tempo und einen Rhythmus geben kann”, sagte der französische Übungsleiter vergangenen März über seinen Schützling. Angesichts des fortgeschrittenen Alters von Modrić und Kroos, bereitet er sich jetzt schon darauf vor, auch dauerhaft in die enormen Fußstapfen treten zu können. Und: Dass Zidane im Sommer 2019 von Wunschtransfer Paul Pogba absah, lag auch an der Leistung des uruguayischen Box-to-Box-Spielers.
Man of the Match durch Platzverweis
Von den Madridistas hat er dafür unlängst seinen Segen. Inzwischen gilt er als Publikumsliebling in der Fanbasis, was sicherlich auch mit dem Supercopa-Finale 2020 im saudi-arabischen Dschidda gegen den Stadtrivalen Atletico Madrid zu tun haben wird. In jenem Endspiel war bereits die 115. Minute angebrochen und Álvaro Morata mit großen Schritten ganz alleine auf dem Weg zu Courtois, um den entscheidenden Treffer beim Stand von 0:0 zu markieren, doch Valverde schaltete geistesgegenwärtig und legte ebenso den Turbo ein. Morata mit fairen Mitteln den Ball zu stehlen schien unmöglich, deshalb entschloss sich der damals 21-Jährige für die rabiate Variante und senste kurz vor dem Strafraum Morata in die Parade, quasi wie ein Sturm wischte er den spanischen Angreifer von seinen Beinen. Es folgte eine Rudelbildung und logischerweise auch der rote Karton für Valverde. Statt zum Buhmann avancierte „Fede” jedoch zum Helden.
Was nämlich auch folgte, war „nur” ein Freistoß für Atletico (der nichts einbrachte) sowie nach dem Elfmeterschießen der Titel für die Königlichen und die Auszeichnung für Valverde zum Spieler des Spiels. Selbst Diego Simeone gestand nach der Partie, dass er selbst so reagiert hätte und noch während des Gangs von Valverde in die Katakomben aufmunternde Worte für den Rotsünder hatte: „Es war die wichtigste Aktion des Spiels. Ich habe ihm gesagt, dass das jeder getan hätte. Ich hätte es auch getan, er hat das Spiel für Real gewonnen.“ Zwar ein zweifelhafter Ritterschlag und eine Aktion, die mit Gewissheit auch kein Bewerbungsschreiben für den Fair-Play-Preis ist, aber dennoch als Attest für die Spielintelligenz von Valverde zu sehen ist. Der Spieler selbst verstand es zudem rasch, die Situation sachlich einzuordnen: „Das war etwas, was man eigentlich nicht tun sollte. Ich habe mich bei Morata entschuldigt. Aber es war das Einzige, was ich tun konnte.“ Wenn ein Wirbelsturm zu toben beginnt, dann gibt das eben Chaos – und die Madridistas schwärmten für den neuen Tornado im Mittelfeld der Blancos.
Nicht alle Helden tragen ein Cape
Auch von offizieller Seite zeigte man sich etwas weniger nachdenklich als der Spieler und postete ein Bild des Akteurs mit der Auszeichnung zum Man of the Match und betitelte es unmissverständlich mit großem Stolz: „Nicht alle Helden tragen ein Cape.” Spätestens seit diesem Abend in Dschidda ist Valverde nicht mehr nur der Ergänzungsspieler, der einspringt, wenn die Altmeister einmal eine Verschnaufpause benötigen. Er ist eine feste Größe und startete auch in diese Saison als Stammkraft. Doch auch der größte Sturm flaut zuweilen ab bevor er neue Energie schöpft. So war es bedauerlicherweise auch beim 22-maligen Nationalspieler, der diese Spielzeit bereits mit einigen Leiden zu kämpfen hatte: Hier ein Haarriss im Schienbein, da eine Muskelverletzung und aktuell di Corona-bedingte häusliche Quarantäne, welche er zwar voraussichtlich zum Wochenende wieder verlassen darf, jedoch alle Rückschläge in Summe nur wenig Rhythmus zugelassen hatten. Auch deshalb kommt er in dieser Saison auf „erst” 28 Einsätze bei einer 35 prozentigen Startelfquote, worin er drei Treffer erzielte und einen Assist beizusteuern vermochte. Steht er „Zizou” zur Verfügung, kann dieser auf seinen Schützling bauen, zumal er auch bei der momentanen Personalnot die notwendige Flexibilität mitbringt, was er beispielhaft gegen Liverpool im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals (0:0) demonstrierte, wo er seine Fähigkeiten sogar in der ungewohnten Rechtsverteidigerposition auf höchstem Niveau zur Schau stellte.
Valverde hat seine Rolle bei den Merengues schon gefunden und wird zukünftig noch wichtiger für seine Mannschaft werden – Foto: imago images / Cordon Press/Miguelez Sports
Sind tatsächlich alle fit, ist Valverde zumindest im zentralen Mittelfeld noch als ein Backup des großen Trios anzusehen. Dennoch ist er definitiv mehr als nur ein Ergänzungsspieler, denn seine Vielseitigkeit und das Tempo lassen ihn in eine ganz unerwartete Hülle an Rollen schlüpfen, die ihn schon jetzt für Zidane unverzichtbar machen. Die Fans stehen hinter ihm, seine Aufopferungsgabe und die Spielintelligenz hat er schon mehrfach bewiesen, weshalb er schon in jungen Jahren so wertvoll ist, wenn es darauf ankommt. Spätestens, wenn die Platzhirschen im betagten Alter peu à peu das Feld räumen, wird Valverde wieder aufbrausen und ein Vakuum besetzen, bevor es überhaupt entsteht, weshalb die Kaderplaner bei den Blancos zumindest für die Zukunft auf dieser Position im Mittelfeld ruhig schlafen können. Und so prognostiziert mit Casemiro auch der Mann eine große Zukunft, an dessen Seite Valverde noch viele Schlachten schlagen darf: „Er spielt eine unglaubliche Saison und wird jeden Tag besser. In zwei Jahren wird er einer der besten Achter der Welt sein.” Gute Neuigkeiten für die Königlichen, während es für alle gegnerischen Teams stürmisch bleiben dürfte, solange der Orkan namens Federico Valverde weiterhin über den Rasen wirbelt.
Anhänger der Königlichen seit dem bitteren Halbfinalaus in der Champions League-Saison 2001 gegen die Bayern und seitdem Verehrer der Klubphilosophie. Spezifische Kenntnisse des Fußballmarktes in Lateinamerika und bekennender Freund der "Joga-Bonito-Kultur".
Danke für den Artikel, man muss den Burschein einfach lieben.
Bei ihm hat von Beginn an auch alles gestimmt. Die Ablöse war "normal", zuerst Castilla, dann Leihe innerhalb Spaniens und dann behutsam an die Stammelf herangeführt. Das ist beinah der Idealzustand für ausländische Talente in meinen Augen. Natürlich kam auch etwas Glück dazu, braucht man immer, aber da auch seine Einstellung immer gestimmt hat, ist hier von A-Y alles super gelaufen. Jetzt fehlt nur noch der letzte Schritt und der hängt von Z wie Zidane ab. "Trio infernale" hin oder her, die mittelfristige Zukunft im Mittelfeld kann eigentlich, ganz unabhängig von der Spielformation, nur "Födemiro" heißen. Niemand sollte ihnen was schenken aber man muss auch an die Zukunft denken und darf die Talente nicht verscheuchen.
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