
So wird die kommende Saison aussehen
Misst man die Saisonvorbereitung in den USA an den Ergebnissen, fällt das Fazit recht unbefriedigend aus. Doch liegt der Fokus auf der stetigen Leistungssteigerung und den Erkenntnissen, wendet sich das Blatt schon. Denn aus der vergangenen Woche lässt sich viel Positives ziehen, auch wenn gewisse Baustellen noch immer nicht geschlossen sind. Bei all den Arda Gülers und Endricks steht Carlo Ancelotti nun vor einigen Entscheidungen, in Bezug auf die kommende Saison. Für den UEFA Super Cup kündigte der 65-Jährige wie schon letztes Jahr an, dass dieselbe Elf wie beim Champions-League-Finale gegen Dortmund auflaufen werde – bis auf Toni Kroos und Nacho Fernández natürlich. Doch was macht der Italiener danach? Wem wird er ab dem 18. August vorrangig den Vorzug in der Startelf geben und welche Konsequenzen könnten sich daraus ergeben?
1. Courtois bleibt Nummer eins – macht Lunin Platz für Kepa?
Eines stand schon am Tag fest, als Thibaut Courtois seine Kreuzband-Diagnose bekam: Ist der Belgier wieder fit, wird er weiterhin die Nummer eins im Tor sein. Das hat Carlo Ancelotti schon demonstriert, indem er den 32-Jährigen im Champions-League-Finale gegen Dortmund (2:0) einem noch im Halbfinale gegen Manchester City überragenden Andriy Lunin vorzog. Für die kommende Spielzeit heißt das auch: Wieder wird der Ukrainer sich hinten anstellen. Eine Rolle, mit der er sich schon vor einem Jahr nicht mehr vollständig identifizieren konnte und wollte. Selbst seine Ehefrau sprach ein Machtwort, nachdem als Courtois-Ersatz sogar Kepa Arrizabalaga vom FC Chelsea ausgeliehen wurde. Obwohl er sich am Spanier bemerkenswert vorbeikämpfte, könnte der „Blues“-Keeper der sein, der am Ende weiter das Trikot der Madrilenen trägt. Denn der kann sich mit der Rolle als zweiter Torhüter mehr als abfinden. Trotz seiner Rückkehr an die Stamford Bridge nimmt Kepa nicht am Mannschaftstraining teil und soll Angebote anderer Klubs konsequent ablehnen.
Sollte Lunin den Platz nicht freimachen, ist Ancelotti zufrieden, will ihm aber auch keine Steine in den Weg legen: „Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was er für richtig hält. Ich verstehe, dass er weiterhin spielen will […]. Er muss seinen Weg bestimmen, um das Beste aus seiner Karriere herauszuholen.“, so der Coach kürzlich in einem Interview. Lunins Vertrag läuft noch bis zum 30. Juni 2025, ein Angebot zur Verlängerung soll ihm und Berater Jorge Mendes bereits vorliegen. Während der ehemalige Agent von CR7 seinen Spieler zu einem anderen Verein lotsen will, hofft dieser noch auf ein Umdenken in Madrid. „Das Einzige, was ich sagen kann, ist […], dass es jetzt in den Händen von Madrid liegt. Ich weiß auch nicht, was passiert“, verriet der 25-Jährige Mitte Juli. Doch dieses Umdenken wird wohl nicht kommen. Oder doch?
2. Keine Neuzugänge: Es fehlt weiter ein Abwehrchef
Éder Militão und Antonio Rüdiger haben während der Vorbereitung gezeigt: Zusammen funktioniert es noch nicht optimal. Zu viele Abstimmungsprobleme und Missverständnisse werfen die Frage auf: Wer ist in dieser Innenverteidigung der klare Abwehrchef? Die Antwort: es gibt ihn nicht. Dennoch wird und muss Carlo Ancelotti auf das Duo setzen. Da er bereits vor Wochen versicherte, keinen weiteren Innenverteidiger zu verpflichten – Europameister Aymeric Laporte hätte eine gute Lösung sein können –, werden die beiden es richten müssen. Rückkehrer Jesús Vallejo wird wohl nur im Notfall kommen. Notfall heißt: Selbst der ungelernte Aurélien Tchouaméni wird vorgezogen.
Und David Alaba? Der Österreicher verfügt über die Leader-Qualitäten, doch ist nach seinem Kreuzbandriss im Dezember 2023 nach wie vor verletzt. Seine Rückkehr dürfte sich noch um mehrere Wochen verzögern und selbst dann ist die Frage offen, in welcher Form der 32-Jährige zurückfindet. 90-minütige Einsätze von Beginn sind unwahrscheinlich und das Rückfall-Risiko ist ebenfalls gegeben. Es braucht jemanden, der konstant den Ton angeben kann. Die Abwehr ist und bleibt somit die größte Baustelle. Ein hausgemachtes Problem durch fehlende Handlungen oder eine bewusste Entscheidung des Trainers, der genau weiß, wo er ansetzen muss? Schließlich hat er letzte Saison schon bewiesen, dass Verletzungssorgen Real nicht an Titeln hindern. Funktioniert diese auf Kante genähte Herangehensweise noch ein weiteres Mal?
3. Endrick bekommt „Güler-Rolle“ der vergangenen Saison
Arda Güler kam letzte Saison lange nicht über die Joker-Rolle hinaus. Das lag natürlich auch an drei Verletzungen, die ihn die gesamte Hinrunde lahm legten. Doch auch danach war ersichtlich: Ancelotti zählt oft auf dieselben Spieler, vor allem wenn es um wichtige Partien geht. Neuzugang Endrick wird deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit dasselbe blühen. Mit Kylian Mbappé, Vinícius Júnior, Brahim Díaz und Rodrygo Goes muss sich der erst 18-Jährige mit vier absoluten Granaten im Sturm messen. Selbst ohne Verletzungspech sollte es kompliziert werden, dauerhaft an einem der vier vorbeizuziehen. Hinzu kommt, dass „El Mister“ wohl sehr oft in einem 4-3-3 spielen wird. Zwar könnte sich der Neuzugang von Palmeiras dort im Zentrum einfinden (wie gegen AC Mailand und den FC Barcelona), doch reicht die Durchschlagskraft noch nicht, um konstant für den Unterschied zu sorgen.
Hinzu kommt, dass für den Brasilianer gerade zu Beginn ein 4-4-2 mit Sturmpartner optimaler sein könnte, um griffiger zu werden. Zwar kündigte Carlo Ancelotti an, dass beide Systeme eine Option seien, doch gibt die starke Besetzung eher eine Dreierspitze her. Für Endrick gilt also: Sobald er den Platz betritt, muss er sich zeigen, um im Verlauf der Saison nicht unterzugehen. Zum Vorteil dürfte hier tatsächlich das hohe Spielpensum werden, da öfter Kurzeinsätze von 15 bis 20 Minuten winken könnten. Die Voraussetzung dafür wird aber wie so oft eine klare Führung sein, um kein Risiko einzugehen. Fazit: Endrick bekommt die „Güler-Rolle“, aber auch mit einem ähnlich überzeugenden Ergebnis am Ende der Saison?
4. Rotation im Mittelfeld: Fällt Ceballos wieder hinten runter?
Wie schon letztes Jahr neben dem Sturm Reals große Stärke: das Mittelfeld. Alle Positionen sind mindestens doppelt besetzt und das auf höchstem Niveau. Jude Bellingham, Luka Modrić, Federico Valverde, Eduardo Camavinga, Aurélien Tchouaméni, Arda Güler und Dani Ceballos dürfen sich abwechseln. Muss hier jemand das fünfte Rad am Wagen spielen und wenn ja, wird es wieder Ceballos sein? In der vergangenen Spielzeit kam der zentrale Mittelfeldspieler auf lediglich 864 Minuten in allen Wettbewerben, was auch an einer Oberschenkelverletzung direkt zu Beginn lag. Die meisten Einsatzminuten sammelte er erst am Ende der Saison und ließ dort auch immer mal wieder seine Genialität aufblitzen, die ihn 2022/23 in den erweiterten Stamm beförderte. „Letzte Saison konnte ich diese Kontinuität nicht kriegen, sie hatte für mich wegen einer fast dreimonatigen Verletzungspause ziemlich schlecht begonnen. Jetzt fühle ich mich gut, diese Spielminuten haben mir für mein Selbstvertrauen geholfen. Ich will es dem Trainer jetzt bei der Entscheidung schwer machen“, so Ceballos nach dem Sieg gegen Chelsea.
Auch in er USA-Vorbereitung konnte er teils überzeugen, was angesichts einer bevorstehenden rotationsreichen Saison Spuren hinterlassen könnte. Ancelotti freut sich auf den Konkurrenzkampf: „Die Mannschaft ist sehr konkurrenzfähig. Und der Konkurrenzkampf im Team ist für uns sehr positiv, er hilft uns dabei, konzentrierter, professioneller und ernsthafter zu sein.“ Aber wiederholt sei betont: Der Trainer hat stets seine Favoriten und wenn es darauf ankommt, werden diese spielen. Ceballos gehört bisher nicht dazu. Ändert sich das nach dem Abgang von Kroos und den bald 39 Jahren, die Luka Modrić schon mit sich herumträgt?
5. Castilla kein Thema, aber auf dem Zettel: Endlich Nachwuchs, der bleibt?
Da die Bank vor lauter Top-Stars kurz schon fast aus den Nähten platzt, scheint klar: Die Castilla-Spieler der Vorbereitung werden weiterhin im Hintergrund bleiben. Spielzeit gibt es vielleicht maximal, wenn die Verletzungsausfälle überhandnehmen. Doch was auch fest steht: Mit den Einsätzen in der „Soccer Champions Tour“ bot der Coach den Youngsters aufgrund des Fehlens der Stammspieler eine gute Bühne, auf der einige von ihnen Eindruck hinterließen. Allen voran: Mittelfeldspieler Mario Martín. Der 20-Jährige hat seine Qualitäten mit vielen guten Vorstößen durchaus gezeigt. Eine Einsatzzeit von vollen 270 Minuten gibt ihm recht. Nico Paz zeigte sich ebenfalls mutig und bewies mit einem Treffer gegen Barça seinen Torriecher. Im Moment reicht das im offensiven Mittelfeld jedoch kaum aus, um Größen wie Bellingham zu verdrängen. Joan Martínez überraschte mit seiner Durchsetzungskraft in der Innenverteidigung und wäre rein aus diesem Aspekt zum Aushelfen geeignet. Das Problem: Mit seinen erst 16 Jahren sollte der U19-Spieler erst noch weitere Erfahrung sammeln und wird maximal an Trainingseinheiten mit den Profis teilnehmen. Jacobo Ramón bietet sich mit 19 Jahren schon eher an. Doch auch er ist erst in diesem Sommer von der U19 hoch zur Castilla gewechselt.
Für eine ernsthafte Chance in der ersten Mannschaft ist in dieser Saison keiner der Jugendspieler ein Thema. Doch viel wichtiger ist: Die USA-Reise hat aufgezeigt, wie viel Talent in Reals Jugend steckt. Es benötigt nur eine faire Chance und ein wenig Geduld, um wieder mehr Eigengewächse im Trikot der Blancos sehen zu können. Wird das der Fall sein?
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