
Real Madrid: Am Bernabéu-Tunnel wird es voll
MADRID. Plötzlich wird es enger auf den Treppen. Wenn Real Madrid im Estadio Santiago Bernabéu im Einsatz ist und sich eine Partie in ihren letzten Zügen befindet, findet unweit des Spielfelds am Tunnel manchmal eine kleine Versammlung statt. Eine Versammlung an Profis, die sich die Begegnung verletzt oder gesperrt von der Tribüne aus ansehen mussten.
Nicht anders war das am Mittwoch, als die Königlichen zum fünften Gruppenspiel in der Champions League Italiens Meister SSC Neapel empfingen und 4:2 bezwangen. Als die Fernsehregie in der Nachspielzeit ein Kamerabild vom Spielfeldrand einblendete, warteten dort auf den Abpfiff: Vinícius Júnior, Luka Modrić, Eduardo Camavinga, Éder Militão, Thibaut Courtois, Aurélien Tchoauméni und Kepa Arrizabalaga. Versteckt dahinter womöglich auch noch Arda Güler, den man zuvor bereits in einem VIP-Bereich erhaschen konnte.
We beat Napoli 4-2 and these players weren’t even on the pitch man ????pic.twitter.com/FE3PgtgmnJ
— Dr Yash (@YashRMFC) November 29, 2023
19 Saisonspiele, 16 Siege: Real Madrid marschiert
Mit ihnen sind es mittlerweile schon acht Akteure, auf die Carlo Ancelotti entweder schon seit geraumer oder eben seit kürzerer Zeit nicht zurückgreifen kann. Acht von 23 Profis im Kader – 20 Feldspieler, drei Keeper. Nachdem die Führung um Präsident Florentino Pérez und Generaldirektor José Ángel Sánchez den Transfersommer gelassen passieren ließ und für den Angriff trotz des Verlusts von Karim Benzema keine Star-Verpflichtung tätigte, schien auf Ancelotti beinahe schon ein Himmelfahrtskommando zuzukommen: Wie soll das auf Strecke mit so einem vermeintlich unausgewogenen Kader – sieben Mittelfeldspieler, von denen sechs Stammspieler-Potential haben, dafür nur vier Stürmer – funktionieren?
Erstaunlich: Es klappt, zumindest in den ersten dreieinhalb Saison-Monaten. Obwohl Benzema ersatzlos abgegeben wurde, obwohl seit etlichen Wochen parallel immer einige Akteure fehlen. Die starke Zwischenbilanz: 19 Spiele, 16 Siege, nur zwei Unentschieden (1:1 beim FC Sevilla, 0:0 gegen Rayo Vallecano) und eine Niederlage (1:3 bei Atlético). Dabei fielen bloß 14 Gegentore. Die stabile Defensive: ein wichtiges Fundament für den Erfolg.
Tabellenführer in LaLiga, Gruppensieger in Champions League
Das weiße Ballett führt die Tabelle in LaLiga nach dem 14. Spieltag wieder an, wenn auch bloß punktgleich mit dem überraschend konkurrenzfähigen FC Girona. In der Königsklasse gelang der Einzug ins Achtelfinale unterdessen bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit dem vierten Sieg im vierten Vorrundenspiel. Jetzt, in der darauffolgenden Partie gegen Neapel, legte Real nach und festigte den ersten Platz in der Gruppe C.
Vor dem Anbruch der K.o.-Phase so gut unterwegs waren die Merengues zuletzt übrigens in der Saison 2014/15 – unter Ancelotti, als mit sechs Erfolgen die volle Ausbeute heraussprang. Das winkt nun auch am 12. Dezember in Berlin gegen Union. International das Wasser reichen kann Real mit derzeit 15 von 15 möglichen Zählern nur Manchester City.
Insofern muss man dem 14-fachen Triumphator auf die Schulter klopfen – nicht aber für die Qualifikation zum Achtelfinale an sich. Natürlich muss ein so anspruchsvoller Verein es erreichen. Das Weiterkommen ist nichts weiter als ein erledigter Job, während den FC Barcelona das in einer völlig machbaren Gruppe mit dem FC Porto, Shakhtar Donetsk und Royal Antwerpen augenscheinlich derart begeistert, als hätte er soeben das Halbfinale erreicht. Richtig los geht es im internationalen Geschäft für Real erst ab Februar.
Real Madrid muss bei Jude Bellingham beten
Man wird darauf hoffen müssen, dass Jude Bellingham auch dann noch so performt wie aktuell, wie in den zurückliegenden Wochen und Monaten. Wenn ja, dürfte eine Menge möglich sein. Er trägt das Team in unwiderstehlicher Art und Weise. Sein Konto nach dem Neapel-Spiel: 16 Einsätze, 15 Tore. Auch abgesehen von seinem zwischenzeitlichen Kopfballtreffer zum 2:1 und der Vorlage zum Joselu-Endstand wusste er das Estadio Santiago Bernabéu einmal mehr zu beeindrucken – sportlich mit seiner kämpferischen Einstellung und feinen Technik, aber auch als Leader.
https://www.youtube.com/watch?v=oH6_tKG35bM
Der 20 Jahre alte Engländer ist vielleicht so jemand, der nicht zu ersetzen wäre, würde er mal länger fehlen als die zuletzt zwei Spiele. Was Real bis dato auszeichnet: Mögen auch noch so bedeutende Stars ausfallen, bekommt man es dennoch aufgefangen. Die Mannschaft macht spielerische Fortschritte, ist nicht zu abhängig von Individuen, profitiert derzeit zudem etwa davon, dass Rodrygo Goes aufblüht. In den vergangenen vier Einsätzen verbuchte er stolze zehn Scorerpunkte (sechs Tore, vier Vorlagen)!
Ancelotti: „Ihr hattet es nicht geglaubt“
Wie könnte es erst laufen, wären nahezu alle Verletzten bald wieder fit? Kein Wunder, dass aktuell die Runde macht, Real wolle noch vor Weihnachten den auslaufenden Vertrag von Ancelotti verlängern. Das ist durchaus denkbar, mutet andererseits aber auch etwas seltsam an. Immerhin hängt die Zukunft eines Trainers in Madrid für gewöhnlich maßgeblich vom Ausgang einer Saison ab. Eine derart große Spielertraube wird sich der Bank um „Carletto“ übrigens auch gegen Ende des Heimspiels am Samstag gegen den FC Granada nähern. Und es würde sicher niemanden überraschen, hätte es auch dann wieder ohne sie geklappt, erfolgreich zu sein. Dieses Real erschüttert so schnell offenbar nichts.
„Wenn wir trotz all dieser Probleme fähig sind, auf diesem Level zu spielen, ist diese Mannschaft sehr gut – auch, wenn ihr es nicht geglaubt hattet“, meinte Ancelotti erst am Dienstag süffisant zu den Journalisten, die zuvor oft Fehler im Kader-Management attestiert hatten. Bestimmt nicht zu unrecht. Ob Real damit am Ende tatsächlich durchkommt?
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