Kommentar

Kommentar: Es geht der Größte

Es ist Spieltag - der letzte der Saison und ein ganz besonderer: Mit Carlo Ancelotti verabschiedet sich eine prägende, legendäre Figur von Real Madrid und dem Madridismo. REAL TOTAL-Redakteur Edin Soso blickt mit Wehmut und Dankbarkeit auf eine einmalige Ära unter dem erfolgreichsten Trainer der Vereinshistorie.

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Für REAL TOTAL-Redakteur Edin Soso ist Carlo Ancelotti der größte Real-Trainer aller Zeiten: Alexander Hassenstein/Getty Images

Natürlich ist es an der Zeit, natürlich war und bin auch ich mit der abgelaufenen Saison in jeder Hinsicht enorm unzufrieden und natürlich freue ich mich auf Veränderungen und den frischen Wind, der ab dem Sommer bei und um Real Madrid Einzug halten wird. Und dennoch bin ich heute sehr wehmütig, denn es gilt, Abschied von einem Mann zu nehmen, der wohl die prägende Figur der erfolgreichsten und glorreichsten Ära in der Geschichte des modernen Fußballs ist. Im Jahr 2014 – auf den Tag vor elf Jahren – erfüllte Carlo Ancelotti mit „La Decima“ nicht nur die fast manischen Sehnsüchte von Millionen Madridistas, es war gleichzeitig auch der Beginn einer in der modernen Fußballgeschichte einmaligen Epoche, die dann Zinédine Zidane mit drei Champions-League-Titeln weiter schrieb. Als nach der zweiten Amtszeit des legendären Franzosen Real Madrids Dominanz vorbei zu sein schien, holte Florentino Pérez den beinahe vergessenen Trainer-Vorrentner Ancelotti zurück. Was wie eine Verzweiflungstat wirkte, sollte sich als historisch entpuppen. Denn der Sommer 2021 bedeutete nicht nur die Verlängerung der goldenen Ära – die zweite Amtszeit „Carlettos“ setzte dem Ganzen noch die Krone auf.

Vier Jahre später geht nicht nur der erfolgreichste Trainer in Real Madrids Historie – er brauchte für die 15 Titel übrigens nur sechs Jahre, während der legendäre Miguel Muñoz seine 14 Trophäen beispielsweise innerhalb von 15 Jahren gewann. Nein, Carlo Ancelotti ist nicht nur der erfolgreichste und beste, in meinen Augen ist er auch der größte Trainer der Vereinsgeschichte des größten und erfolgreichsten Klubs der Welt, ja sogar der größte Trainer in der Geschichte des Fußballs. Zahlen und Erfolge sind das eine, und da ist Ancelotti nun mal das Nonplusultra, nicht nur bei den Königlichen. Kein anderer gewann die Champions League ganze fünf Male, kein anderer holte Meisterschaften in Italien, Spanien, England, Frankreich und Deutschland. Größe sind aber nicht nur Titel und Siege, zu wahrer Größe gehört viel, viel mehr. Gerade und insbesondere bei Real Madrid. Kaum ein anderer Trainer, Spieler oder Funktionär hat diesen Verein immer und überall so würdig und ehrenvoll vertreten wie Carlo Ancelotti. Während der 90 Minuten, aber auch und vor allem außerhalb der Stadien und Spieltage. Ob bei Pressekonferenzen, Titelfeiern, nach Siegen oder Niederlagen – immer hatte er das Ansehen des Vereins im Blick, nie fügte er diesem Schaden an. Im Gegenteil! In der abgelaufenen Spielzeit hat sich Real Madrid im Auftreten nach außen nicht immer glücklich und souverän verhalten, sei es bei und um den Ballon d’Or oder vor und nach dem Finale der Copa del Rey, um zwei prominente Beispiele zu nennen. Ganz anders der italienische Trainer: Gerade in der Phase war Carlo der königliche Leuchtturm in der Öffentlichkeit, der mit seinem würdevollem und gentlemanhaften Auftreten das hier und da angekratzte Image des Vereins immer wieder aufpolierte. Der diesen Klub aber auch immer und gegen alle verteidigte, der seit 2013 bis heute nicht müde wird, zu betonen, wie dankbar und glücklich er ist, für Real Madrid arbeiten zu dürfen. Wir alle kennen genügend Trainer, die nicht einmal einen Bruchteil von Ancelottis Erfolgen vorweisen können, denen aber diese Art von Demut und Bescheidenheit völlig fremd ist.

Mir wird er fehlen, vor allem bei Pressekonferenzen in Valdebebas, die zwar nie spektakulär und selten schlagzeilenreif waren, die aber immer einen besonderen Charme hatten. Den Charme von Carlo Ancelotti, dem Madridista, dem Gentleman, der jeden Journalisten immer mit Respekt behandelte, selbst dann, wenn eine Frage zum fünfzehnten Mal innerhalb von zehn Tagen gestellt wurde. Selbst dann, wenn er zum fünften Mal nach Socia-Media-Posts von Atlético Madrid befragt wurde. Solchen Fragen begegnete er immer mit Witz und Humor. Diese entspannten und oft sehr geistreichen Presserunden werden mir fehlen. Genauso wie feine Spitzen, die Carlo regelmäßig verteilte, wenn es darum ging, seinen Verein zu verteidigen. LaLiga-Chef Javier Tebas oder der FC Barcelona können davon ein Lied singen.

Stellvertretend und symbolisch für Carlo Ancelottis Beziehung zu Real Madrid stehen für mich die Szenen nach der CL-Halbfinal-Remontada gegen Bayern in der vorletzten Saison, als der Coach so voller Inbrunst und Liebe und mit dem Blick auf die Tribünen des Bernabéu „Hala Madrid y nada más“ sang. Und überhaupt – Remontadas! Der Mythos Real Madrid wurde an den magischen Nächten gegen Paris Saint-Germain, Manchester City, Bayern oder Chelsea nicht nur bestätigt, sondern beinahe neu begründet. Die langen 90 Minuten im Bernabéu sind inzwischen noch um einiges länger geworden. Diese epochalen Momente und Ereignisse werden für immer und ewig mit dem Namen Carlo Ancelotti verbunden sein, für mich sogar mehr als die ganzen Titel unter ihm.

Mehr Titel als alle anderen, von allen Vereinen und ihren Fans immer geliebt, von keinem Gegner verachtet, überall auf der Welt respektiert, von seinen Spielern regelrecht vergöttert. Das muss einer erst mal nachmachen. In Real Madrids alter Hymne heißt es in einer Strophe „Caballero del honor“. Nichts beschreibt Carlo Ancelotti als Trainer und Vertreter von Real Madrid in meinen Augen besser – ein wahrer Ritter der Ehre.

Gracias, Carlo y hasta siempre.

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Kommentare
Toller Artikel - der die Leistung und den Stellenwert Ancelottis in der Real Klubgeschichte würdig beschreibt !

Aber nicht nur das - es beschreibt vor allem auch den Menschen Carlo - den charmanten und Anständigen Gentleman und Madridista:hi:
 
Zuletzt bearbeitet:
Genau so ist es. Ein Gentleman und ein Sir. Grazie Carlo.
 
mag ja sein das Carlo nur 5 Saisons für die 15 Titel gebraucht hat, gegenüber Miguel Muñoz der für die 14 Titel ja 15 Saisons gebrauchte, aber früher gab es nicht soviele Wettbewerbe wie jetzt.
Es gibt einfach Dinge die man nicht relativieren muss, Carlos Leistung gehört dazu, denke ich.
 
Es gibt einfach Dinge die man nicht relativieren muss, Carlos Leistung gehört dazu, denke ich.

Ich spiele mal Devils Advocate und sage, man kann durchaus relativieren, oder zumindest hinterfragen, wie viel Anteil Carlo wirklich an manchen Erfolgen hat.

Damit es klar gesagt ist, Carlo ist einer der grössten und besten Trainer unserer Geschichte, dagegen zu argumentieren wäre lächerlich. Ebenso ist klar, daß Carlo mit seiner ruhigen und väterlichen Art sehr gut zu Verein gepasst hat und es verstanden hat, was es heisst, Real Madrid zu trainieren. Ich denke auch, dass er 2 Mal die richtige Wahl war, einmal nach der chaotischen letzten Mou Saison und dann nochmal, um die finalen Saisons dieser legendären CL Generationen zu managen. La Decima und die anderen Erfolge kann ihm keiner nehmen.

Trotzdem war für mich, und da bin ich nicht der einzige, zwischen den Zeilen nicht alles nur so rosig, wie es die Erfolge vielleicht aussehen lassen. Titel sind das eine, wie man da hingekommen ist und wie man andere mögliche verspielt hat und allgemeine Dinge wie Taktik, Jugendförderung, Rotation usw. sind das andere.

Wenn ich auf die 4 Jahre von Carlos 2ter Amtszeit schaue, hat er mich nur in einer davon vollends überzeugt. Und zwar 23/24, wo er wirklich mal seine Stärken genutzt und das Team auch taktisch super eingestellt und stets weiterentwickelt hat und dann auch den ganzen noch vorhandenen Kader genutzt hat, dass ohne 3 Defensiv Stammspieler und direkten Benzy Ersatz ist definitiv eine starke Leistung und die rechne ich ihm hoch an.

Um so mehr schade ist es, dass er das nicht in allen 4 Saisons hat bringen können und allzu oft in altbekannte Muster gefallen ist, und manchmal regelrecht zu seinem Glück gezwungen werden musste. Ich habe das voreilige und unwürdige Absägen eines unserer grössten Juwele in Martin nicht vergessen. Ich habe nicht vergessen, wie Fede 2021 nach Weltklasse Leistungen plötzlich wieder auf die Bank musste und das Team regelrecht betteln musste, bis er wieder spielen durfte. Ich habe das KMC Geknortze in der Liga 21/22 nicht vergessen, ich Modric als Stürmer gegen Barca und Atletico nicht vergessen, ich habe die Klatschen gegen Barca 22/23 mit immer derselben Elf und Taktik nicht vergessen, ich habe die Klatsche gegen City nicht vergessen, weil er unbedingt Alaba für Rüdi bringen musste, und ich werde diese Saison nicht vergessen, inklusive 4 Clasico Niederlagen, spielerische Unterlegenheit in praktisch allen Topspielen, die Blamage gegen Arsenal und ein Kader, der teilweise nicht mal 11 Profis stellen konnte wegen all den Verletzungen, was, wenn auch nicht direkt von Carlo verursacht, durch seine Rotationspolitik und Weigerung, auf die Jugend zu setzen, nicht gerade besser gemacht wurde.

Man kann sagen, dass das den Erfolgen nichts abtut, was stimmt und dann halt davon abhängt, ob einem nur Titel wichtig sind, oder dass es jetzt auch egal ist und man mit dem Positiven verbleiben und nach vorne schauen sollte. Dem würde ich sogar zustimmen, aber wollte wie gesagt mal Devils Advocate spielen, ein Geschmäckle bleibt bei mir, bei aller berechtigter Lobhudelei.

Ich sage es zum Abschluss mal so, Carlo, und auch die beiden Lukas, sind absolute Legenden, die uns viele legendäre Momente und unvergessliche Nächte beschert haben und sie verdienen einen würdigen Abschluss und dass man die guten Dinge in Erinnerung ruft und behält. Aber persönlich bin ich nach 13 Jahren Carlo/Zidane Ball und KMC bereit für ein neues Kapitel und frischen Wind.
 

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