
Über vieles, wenn nicht sogar fast alles lässt sich im Fußball vortrefflich streiten und diskutieren. Ein paar Dinge sind dann aber doch fest: Ist Uli Hoeneß eine der größten Legenden in der Geschichte des deutschen Fußballs? Ja. Ist Toni Kroos einer der größten Spieler, die dieses Land je hervorbrachte? Auch ja. Und verblasst manchmal der Schein eines Sterns? Ohja. Damit ist jedoch nicht etwa gemeint, dass Kroos sein Spiel verschlechtert hat, eher finde ich: Die Auffassungsgabe so manches Experten sollte man hinterfragen und ihn nicht nur wegen seines Namens oder der Garantie auf Schlagzeilen zu einem Interview einladen.
Die Hoeneß-Kroos-Sache ist mal wieder so ein klassischer Aufreger, wie ihn in der Bundesrepublik nur eine ganz bestimmte TV-Sendung hervorbringen kann. Wenn Stammtisch-Parolen und gefährliches Halbwissen gepaart mit Emotionen und der Suche nach einem Sündenbock auf Fakten, Tatsachen und Statistiken treffen.
Klar: So wie die DFB-Elf hat auch Kroos keine herausragende EM gespielt. War der 31-Jährige aber der Schwächste mit dem Adler auf der Brust? Meine Meinung: nein, nicht mal ansatzweise. Und das zeigen auch die Zahlen, immerhin war Kroos nach der Gruppenphase der Spieler, der die meisten Pässe ins (wichtig: ins, nicht im!) letzte Drittel des Spielfelds gespielt hat. Mit 66 liegt er sogar weit vor dem Zweiten, Daley Blind (48). Hat diese Statistik Deutschland vor dem Aus gegen England bewahrt? Offensichtlich nicht. Aber Kroos deswegen vorzuwerfen, er passe „mit seinem Querpass-Fußball nicht mehr rein“, ist in meinen Augen unterste Populismus-Schublade. Dass manch ein Fan aus Deutschland, egal ob jung oder alt, nie die Querpass-Rufe los werden will (oder kann), ist eben so, aber ein lange Jahre viel respektierter wie dekorierter Funktionär? „Bei der ganzen EM habe ich keinen Spieler gesehen mit dieser Art des Fußballs“, spuckte Hoeneß und er hatte sogesehen recht: Kein Spieler hat so viel versucht wie Kroos. Die Probleme der DFB-Elf sind im Endeffekt vergleichbar mit denen bei Real Madrid: es fehlt(e) Torgefahr, Vollstrecker-Qualitäten, Effektivität.
Das kann Uli H. nicht gefallen. https://t.co/F2gyjKRfBg
— Toni Kroos (@ToniKroos) July 11, 2021
Auch 2020/21 hat Toni Kroos im weißen Trikot viel versucht. Runter gerechnet auf die Einsätze kriert in LaLiga kein Spieler mehr Chancen als Kroos: 2,4 pro Partie. Auf Platz zwei folgt kein geringerer als Lionel Messi (2,2). Von Kroos‘ langen Bällen kann „la Pulga“ wohl nur träumen: Die neuntmeisten langen Pässe schlug Kroos in der Primera División (8,2 pro Partie). Nur Platz neun? Ja, denn auf den Plätzen davor sind acht Torhüter. Und sollte Herr Hoeneß LaLiga nicht gelten lassen, wagen wir einen Blick in die Champions League, zu einem Zeitpunkt als auch Hoenes‘ geliebte Bayern noch im Wettbewerb vertreten waren. Welcher Spieler kreierte die meisten Chancen nach Ablauf des Viertelfinals? Kein Bayer, Joshua Kimmich schaffte es mit 14 immerhin auf Platz vier, davor liegen drei Madrilenen: Karim Benzema (15), Lucas Vázquez (16) und dann der Mann mit der Nummer 8 beziehungsweise 18 Key-Pässen. Toni Kroos war nicht zufällig 2020/21 der beste Vorlagengeber der Königlichen. Hätten seine Mitspieler etwas mehr vom berühmten Zielwasser gekostet, hätte der ehemalige Greifswalder mehr als die zwölf Assist-Punkte haben können.
Er habe „in diesem Fußball nichts mehr verloren“, spuckte es im Doppelpass. Das drehe ich gerne um, denn ich finde: Uli Hoeneß hat im Fußball nichts mehr verloren, während Toni Kroos weiter mit Real Madrid Geschichte schreiben und zukünftig als einer der besten Fußballer in die Geschichte eingehen wird.
Versteht mich nicht falsch: Kroos‘ Saison war weder bei Real noch im DFB-Dress perfekt, das Spiel könnte immer noch etwas schneller oder riskanter sein, aber trotzdem war „sein“ 2020/21 noch 1. ziemlich gut (Platz vier bei unseren Noten), 2. gewohnt konstant und 3. auf einem defensiv leicht höheren Niveau. Das ist meine Meinung, und die lautet auch: Wer beim Thema Kroos immer noch den Begriff Querpass benutzt, der scheint unbelehrbar zu sein und darf das gerne beim Stammtisch oder am Dorfplatz marktschreiern, aber nicht vor einer Kamera oder Mikrofon.
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