
Kroos’ Geheimnisse: Perfektion und Spaß
„Warum schon wieder? Warum noch mal?“ Diese Fragen hat sich ein jugendlicher Toni Kroos oft stellen müssen. Es ging um Wiederholungen im Training: „Ich weiß noch, wie es mir irgendwann aus den Ohren rauskam, wieder und wieder und wieder und wieder die Ballannahme und Ballmitnahme zu üben. Das musste ich ja nicht einmal, nicht zehnmal, nicht tausendmal, sondern ein paar zehntausend Mal machen, obwohl ich anfangs dachte: ‚Das kann ich doch jetzt.‘ Obwohl mir nachgesagt wurde, großes Talent zu haben, musste ich vor allem sehr, sehr viel Arbeit und sehr, sehr viel Extrastunden investieren.“
Und doch weiß der 31-Jährige, dass all das „elementar notwendig auf dem Weg zur Perfektion“ sei. „Alle diese Extraschichten lassen mich heute in diesem schnellen Fußball bestehen, weil mir die perfekte Ballannahme diese extra Zehntelsekunde Zeit vor meinem Gegner verschafft“, ergänzt Kroos. Dabei wusste der ehemalige Greifswalder auch, dass er durch seine Technik andere mögliche Schwachstellen kaschieren könnte: „Ich wusste, dass ich nur eine normale Schnelligkeit habe, dass es unfassbar viele Spieler gibt, die physisch schneller sind als ich. Daher habe ich es mir zum Ziel gesetzt, vor allem im Kopf schneller zu sein als die anderen. Und dann auch in der Bewegung. Heute sieht das manchmal so simpel aus, ist es aber nicht bei der Geschwindigkeit des Spiels. Ich habe die Ballan- und -mitnahme durch jahrelange, auch nervige, Wiederholungen so automatisiert, dass es mir in vielen Situationen diese kleine Millisekunde Vorsprung gibt, um meine Aktion zu machen.“
Die Perfektion antrainieren und Spaß haben – das sind Kroos‘ zwei „Geheimnisse“, die er im Buch „Kicken wie die Profis“ jungen Fußballern mit auf den Weg gibt: „Das A und O in meinen Augen ist, dass ihr immer in Erinnerung behaltet, warum ihr ursprünglich mit dem Fußball angefangen habt – und das ist der Spaß.“
„Will nie Gefühl haben, Fußball arbeiten zu müssen“
„Wir alle hier haben ja nicht angefangen Fußball zu spielen, weil wir das beruflich machen wollten, sondern weil wir einfach verdammt viel Lust darauf hatten“, so Kroos, und ergänzt: „Mit sechs, sieben, acht Jahren habe ich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, wie sich Fußball anfühlt oder was er für mich bedeutet. Es war einfach nur ein überragendes Spiel und hat mich erfüllt. Und dieses Gefühl darf – ganz gleich in welcher Altersklasse und auf welchem Leistungsniveau – nie verloren gehen. Der Spaß soll immer die entscheidende Grundvoraussetzung sein, warum man Fußball spielt.“
So weiß er auch: „Wenn es bei mir irgendwann los gehen sollte, dass ich mir den Kopf über Fußball zerbreche, ihn als Druck empfinde und mich davon negativ beeinflussen lasse, ab dem Moment ist Fußball nicht mehr das Richtige für mich.“ Schon oft erklärte Kroos, nicht bis ins hohe Fußballalter spielen zu müssen und sagte so auch: „Ich habe für mich festgelegt: Wenn ich keinen Spaß mehr an dem Spiel habe, dann höre ich auf. Auch aus Respekt dem Fußball gegenüber, weil er mir echt viel gegeben hat. Ich will nie das Gefühl haben, Fußball arbeiten zu müssen. Mich dazu zwingen zu müssen, ein Trikot anzuziehen.“

Eine andere Jugend
Dass der „Weg nach oben auch mal wehtut“ und dass die Behauptung, „alles in den vergangenen dreizehn Jahren immer nur Spaß gemacht hat“ ein „Märchen wäre“, stellt Kroos aber auch klar. Das Schwierigste am Fußball sei demnach: „Weil man auf Dinge verzichten muss. Freunde kommen viel zu kurz. Man willigt ein, eine andere Jugend als die Mehrzahl zu erleben. Man muss bereit sein, fleißig zu sein.“
Höllenrespekt vor Kahn
Und fleißig war er: 2006 als 16-Jähriger den Wechsel von Rostock nach München gewagt, ging es da schnell bergauf. So erinnert er sich im Buch, wie sich Mehmet Scholl dafür einsetzte, dass Kroos aus der A-Jugend mal bei den Profis mittrainieren durfte. „Ich bin da wirklich klein mit Hut in die Kabine gegangen, weil ich wusste, da sind Spieler wie Oliver Kahn. Vor dem hatte ich einen Höllenrespekt. Wobei ich dann irgendwann erfahren habe, dass der zu meiner Zeit schon deutlich ruhiger war als früher“, beschreibt der Real-Star seine erste Einheit, damals noch unter Felix Magath.
„Als junger Spieler warst du erst einmal nichts“
Unter Ottmar Hitzfeld durfte der jugendliche Kroos dann häufiger bei den Profis aushelfen. „Miroslav Klose und Mark van Bommel haben ein bisschen auf mich Acht gegeben. Die haben mich immer unterstützt. Damals war es ja noch was anderes, in eine Profi-Kabine zu kommen. Da war die Hierarchie eine ganz andere als heute. Als junger Spieler warst du erst einmal nichts. Da galt es, nicht vorlaut zu sein und sich ganz langsam den Respekt der Älteren zu verdienen. Der Jüngste ging auch dann häufiger mal beim Kreisspiel in die Mitte, wenn er gar nicht unbedingt den Fehler gemacht hatte. Da hieß es: ‚Klappe halten, akzeptieren.‘“
„Jungs erlebt, die sich überschätzen und durchdrehen“
Heutzutage sieht das jedoch anders aus. Da sind „die meisten sehr schnell komplett integriert. Sie haben teilweise ein ganz anderes Selbstbewusstsein und fangen manchmal beim Training auch an zu diskutieren, was ich früher definitiv nicht gewagt hätte. Deshalb sage ich: Heute ist es für junge Spieler viel, viel einfacher, oben aufgenommen zu werden. Das kann vieles einfacher machen und ist auch gut fürs Selbstvertrauen. Die einzige Gefahr, vor der ich warne: Ich habe schon ein paar Jungs erlebt, die durchgedreht sind, weil sie sich vollkommen überschätzt haben. Die dachte, weil die Integration so einfach war, dass sie schon was erreicht hätten. Die dachten, sie könnten jetzt mit gestandenen Profis auf Augenhöhe diskutieren. Dabei haben sie überhaupt nicht verstanden, was es bedeutet, oben zu bleiben.“

Kroos akzeptierte die damaligen „Regeln“ und es ging weiter bergauf, wobei er unter Jürgen Klinsmann nicht die Einsatzzeit bekam, „die ich mir selber gewünscht hätte“. Trotzdem erklärt er: „Heute habe ich ein anderes Verständnis für seine Entscheidung und verstehe es auch total. Aber damals war es völlig neu für mich, nicht gefragt zu sein“ und spricht von einer „extrem wichtigen“ Erfahrung, „weil ich nicht beleidigt war, sondern die richtigen Schlüsse daraus gezogen habe.“
„Vermutlich war ich mit 17, 18 Jahren ein bisschen zu ungeduldig“, gesteht er, und doch war die Entscheidung, im Winter 2009 sich nach Leverkusen verleihen zu lassen keine falsche. Im Sommer 2010 dann die Rückkehr nach München, wo mittlerweile Jupp Heynckes das Sagen hatte. „Es war auch unter ihm nicht immer alles nur lieb und nett, wie es vielleicht manchmal rüberkommen mag“, verrät Kroos und ergänzt: „Er war einer, der mir sehr klar gesagt hat, dass ich mehr arbeiten muss – also vor allem das Drumherum vom Fußball, also was Kraftraum und so weiter betrifft. Und auch mehr arbeiten auf dem Platz: defensiv mehr mithelfen und so weiter. Das waren schon Sachen, die er mir ganz knallhart mit auf den Weg gegeben hat.“
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