Reportage

LaLiga-Saison 2022/23: Viel Negatives, wenig Positives, etwas Hoffnung

Die LaLiga-Saison 2022/23 endet – manch einer kann es kaum erwarten. Nach einer aus vielerlei Hinsicht schwierigen bis teilweise katastrophalen Saison für den spanischen Fußball gibt es einiges zurückzublicken, aber nur eine echte Sache, die sich ändern wird: der Name von LaLiga…

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laliga collage 2022 2023
An die LaLiga-Saison 2022/23 gibt es viele Erinnerungen, aber nicht nur positive – Fotos: getty images, Collage: REAL TOTAL

Die längste Saison aller Zeiten?

Wenn am Sonntag um 23 Uhr und ein paar Nachspielminütchen der berühmte Pfiff ertönt, dann war es das endlich. Dann war es das mit der LaLiga-Saison 2022/23 – einer, die wenig bietet für ein Highlights-Video, aber umso mehr für einen negativen Rückblick, was rund um den spanischen Fußball alles schief lief und läuft.

Und die 92. Spielzeit in der Primera División kam einem nicht nur aufgrund der überschaubaren sportlichen Leistungen wie ewig vor: Mit 296 Tagen gab es vermutlich noch nie eine, die länger dauerte. Am 12. August 2022 gestartet, ist erst jetzt am 4. Juni Schluss – sofern sich LaLiga nicht wieder mit Rekord-Nachspielzeiten oder sonstigen Unterbrechungen überbietet und es der Folgetag wie bei so manchen Pokalpartien wird.

Nein, über die Saison 2022/23 in LaLiga Santander gibt es wenig Positives zu berichten. Was sich 2023/24 ändern könnte beziehungsweise wird? Vermutlich nur der Name: Denn weil die Santander-Bank ihre Kooperation beendet, heißt Spaniens höchste Spielklasse ab Sommer: LaLiga EA SPORTS FC. Die neue Zusammenarbeit mit dem Videospielentwickler EA soll für etwas mehr Unterhaltung stehen, die es sportlich in den letzten fast elf Monaten nicht immer gab.

Meiste Karten, wenigste Tore, älteste Spieler…

Denn in LaLiga fallen im Vergleich zu den anderen vier europäischen Top-Ligen nicht nur die wenigsten Tore (2,51), dafür aber die meisten Platzverweise (137), es herrscht auch die geringste Nettospielzeit. Gründe für all das gibt es viele: Von Jahr für Jahr abwandernden Weltstarts mal abgesehen (mit knapp 42 Prozent finden sich in LaLiga die wenigsten Legionäre), spielen in LaLiga mittlerweile die durchschnittlich ältesten Spieler (27,9). Auch die Nationalmannschaft ist weit weg von etwas, das auch nur in die Nähe des Goldenen Jahrgangs von 2008 bis 2012 kommt, hat den benötigten Umbruch eher jahrelang vor sich hergeschoben, nicht immer auf Jugend gesetzt. Und gibt es mal einen verheißungsvollen Jugendspieler, wird dieser schnell Richtung England verkauft. Manche halten sich dort, wie Rodri, Rodrigo Moreno oder Marc Cucurella, andere kehren schnell zurück wie Bryan Gil, Ferran Torres oder Sergio Reguilón – Beispiele gibt es etliche und viele weitere werden folgen.

Nicht nur Nachwuchsarbeit: Spaniens Fußball hat viele Probleme. So scheint es in LaLiga mittlerweile mehr Treter als Techniker zu geben – das zeigten auch die brutalen Grätschen von Amath Ndiaye Diedhiou gegen Álex Balde oder von Marcos Acuña gegen Dani Ceballos am vergangenen Spieltag. Beide (zurecht) mit Rot geahndet, und doch sinnbildlich für eine Liga, die Probleme hat, Künstler an Land zu ziehen und sie zu schützen. Denn Vinícius Júnior ist als wertvollster Spieler der Liga nicht nur der meistgefoulte Spieler in allen Top-5-Ligen, er wird von manchen Medien, „Experten“ und Fanlagern auch nach acht von LaLiga dokumentierten Rassismus-Vorfällen teilweise immer noch eher als Täter denn als Opfer dargestellt. Da sind wir schon beim nächsten großen Problem, quasi dem Mammut im Raum – denn so veraltet scheinen Verhalten, Erziehung und auch Diskussionsrhetorik so mancher zu sein. Dabei ist Vinícius beileibe nicht der einzige, der in 2022/23 rassistisch beleidigt wurde – so haben beispielsweise auch Nico Williams, Samuel Chukwueze und vermutlich auch Antonio Rüdiger den immer noch bei manchen unter der Oberfläche köchelnden Fremdenhass zu spüren bekommen.

Rassismus, Negreira, Tebas vs. Rubiales

Kommt man dann auf die Verbände und Verantwortlichen wird das Problemloch immer tiefer. Nun kann man zwar nicht behaupten, Liga-Verband LFP würde „nichts“ tun gegen Rassismus, aber scheinbar nicht genug, zumindest in Zusammenarbeit mit Nationalverband RFEF. Und das auch, weil die beiden Präsidenten dieser beiden Organisationen sich lieber gegenseitig beschießen oder das, was der andere tut oder versucht, blockiert und öffentlich kommentiert. Dass Javier Tebas und Luis Rubiales keine Freunde mehr werden, dürfte mittlerweile ein jeder Fan eingesehen haben – und doch sind die beiden Köpfe sinnbildlich für die teilweise schwache Organisation im Hintergrund.

Dabei ist und war der Rassismus-Eklat beileibe nicht der einzige Skandal in dieser Saison. Über allem schwebt noch der Caso Negreira, bei dem der FC Barcelona von 2001 bis 2018 – bis Rubiales‘ Amtsübernahme – dem Vizepräsidenten des spanischen Schiedsrichterkomitees fast sieben Millionen Euro überwiesen hat. Dazu kommen Audio-Leaks von Rubiales, als der unter anderem die Supercopa in Zusammenarbeit mit Gerard Piqué nach Saudi-Arabien verscherbelte. Der in etliche dubiose Geschäfte verwickelte Piqué selbst verabschiedete sich im November dagegen überraschend schnell von der Bühne als Profisportler.

LaLiga könnte so farbenfroh sein, aber verkümmert mehr und mehr zu einer „Fifty Shades of Grey“-Ausgabe – zu viele Grauzonen, in denen sich Verantwortliche durch kombinieren. Und wenn dann noch Staatsanwaltschaften Untersuchungen wie bei dem Rassismus-Eklat vor dem Liga-Derby einstellen und die Beleidigungen mit „maximaler sportlicher Rivalität“ und „dauerten nur wenige Sekunden“ rechtfertigen, kann man Monate später zu einem Schluss kommen, wie es so weit kommen konnte.

LaLiga ist natürlich trotzdem mehr als Rassismus und möglicherweise jahrelange Beeinflussung von Schiedsrichter. Denn die Schiedsrichter gaben auch 2022/23 nicht immer ein souveränes Bild ab – perfekt ist niemand, auch kein Referee, aber dass es die meisten Karten in LaLiga hagelt und manche Referees an der Atmosphäre mancher Stadien scheitern, ließ sich zuletzt auch im Mestalla sehen, als Real Madrids Gastspiel einerseits nicht unterbrochen wurde und andererseits noch möglicherweise bewusst verkürzte VAR-Bilder gezeigt wurden. Dazu passt dann, dass nicht nur die Spieler in LaLiga kaum eine Möglichkeit auslassen, um sich zu beschweren oder anderweitig theatralisch aufzufallen, auch bei Vereinen ist der Gang an die Öffentlichkeit mittlerweile nicht mehr fern. So forderte beispielsweise der FC Cádiz im März, die letzten Minuten gegen Elche nicht nur wiederholen, sondern sogar den Liga-Betrieb bis dahin ruhen zu lassen. Andere Beschwerden, ob direkt während der 90 Minuten oder direkt im Anschluss oder auch am Folgetag, wie nach zwei Derbys gezeigt von Atlético-Präsident Miguel Gil Marín, gab es en masse. Und das teilweise auch berechtigt, so könnte RCD Espanyol nicht bloß aufgrund einer weiteren Fehlentscheidung abgestiegen sein, sondern aufgrund fehlender Technik. So sorgte beim 3:3 gegen Atlético das zweite Tor von Atlético für helle Aufregung: Der Ball wurde mehr oder weniger auf der Linie noch geklärt, der Schiedsrichter gab das Tor erst nicht, aber durch VAR-Einsatz kam es dann doch zum Treffer – dabei geben die Videobilder keine klare Entscheidung. Und woran liegt es? Weil Liga-Verband LFP die drei Millionen Euro für die „Goal Line Tegnology“ offensichtlich zu teuer sind – die spanischen Schiedsrichter fahren teilweise blind im Nebel. Von anderen dubiosen Entscheidungen wie Robert Lewandowskis am Tag vor einem Spiel aufgeschobener Sperre oder dem Scharmützel um Gavis Registrierung als Jugendspieler oder Profi oder gar Valencias halbierter Rassismus-Strafe mal abgesehen – in LaLiga ist der Haufen mit negativen Schlagzeilen deutlich größer als der mit positiven.

Es muss sich was ändern

Dabei gab es auch positive: Nicht nur der FC Sevilla hat bei seinem siebten Europa-League-Triumph anderen Klubs aus anderen Ligen die Stirn geboten, wobei speziell das Estadio Ramón Sánchez-Pizjuán gegen Manchester United und Juventus Turin eine Sternstunde erlebte, auch Real Madrid hat Klubs mit teilweise endlosen Mitteln wie Liverpool und Chelsea aus der Champions League geworfen. Trotzdem: Das europäische Abschneiden der Spanier hätte ohne Real und Sevilla wohl eine sechs verdient – denn erstmals seit 1999 überstand nur ein Team die CL-Gruppenphase und erstmals seit 2009 standen in allen europäischen Wettbewerben nur zwei Spanier im Viertelfinale. Und trotzdem: Seit 2001 gab es 22 europäische Finals mit spanischer Beteiligung – immer ging der jeweilige Pokal auf die iberische Halbinsel. Wenn sie wollen, können sie noch, die Spanier…

Und national betrachtet: Offensiv denkende Teams wie Girona und Rayo haben für Furore und einige Überraschungen gesorgt. Und auch konstant arbeitende beziehungsweise langfristig denkdende Klubs werden belohnt: Der Verein mit dem Trainer mit der drittlängsten Amtszeit – Imanol Alguacil – hat es endlich in die Champions League geschafft (verdient), der Trainer mit der zweitlängsten Amtszeit – Jagoba Arrasate – stand plötzlich im Pokalfinale. Und vielleicht noch in der Conference League? Nur der dienstälteste LaLiga-Coach hat sich wohl über das Ausscheiden in diversen anderen Wettbewerben gefreut, denn scheinbar erst durch Platz vier in der CL-Gruppenphase konnte Diego Simeone seine Mannen in der Rückrunde mal „richtig“ Fußball zelebrieren lassen (Antoine Griezmann spielt wirklich eine fantastische Liga-Saison). Es gibt diese positiven Beispiele, da ist der unbedingte Wille beim FC Barcelona, die Hingabe in der katalanischen Defensive – so dubios diese im Sommer 2022 dank diverser Hebel auch finanziert wurde – noch gar nicht erwähnt. Aber über allen stehen immer mehr Klubs mit Investoren im Hintergrund (Espanyol, Almería, Valencia) oder als Teil des ManCity-Spielertausch-Netzwerks (Girona) oder mit sonstigen, teils zwielichten Verantwortlichen (Rayo, Elche). Stichwort Elche: Sieben unterschiedliche Trainer standen an der Seitenlinie, darunter vier offizielle Cheftrainer. Das dürfte ein trauriger Rekord sein, einen „echten“ Rekord stellen jedoch die ersten 19 Spieltage dar, von denen der Tabellenletzte keinen einzigen gewinnen konnte. Apropos besonderer Rekord: ein anderer ging 2022/23 zu Ende. Musste er auch irgendwann: Iñaki Williams‘ Serie brach am 19. Spieltag. Das war der erste Spieltag seit April 2016, den er verpasst hatte. 251 Liga-Spiele in Folge hatte der Athletic-Angreifer seitdem auf dem Buckel! Ein anderer besonderer Rekord kann dagegen eingestellt werden: Kommt der 41-jährige Joaquín an Betis‘ letztem Spieltag gegen Valencia zum Einsatz, stünde er bei 622 LaLiga-Partien – so viele wie der langjährige LaLiga-Rekordspieler Andoni Zubizarreta. Dazu kommt: Frauenfußball wird in Spanien immer populärer und scheint auf dem richtigen Weg zu sein. Der Ansatz mit dem Salary Cap ist ein guter – wird offensichtlich nur (noch?) nicht konsequent umgesetzt. Und auch das Thema Infrastruktur wird endlich angegangen (wenn auch aufgrund des umstrittenen CVC-Deals, in der Bundesliga platzte dagegen ein ähnlicher Vorschlag) – viele Vereine haben schon oder sind dabei, ihre Stadien zu modernisieren.

Es gibt sie also, die positiven Geschichten aus einer eigentlich guten Liga aus einem definitiv fantastischen Land mit genauso liebenswerten Menschen. LaLiga mag den „Peak“ längst hinter sich haben, die Messi-CR7-Ära mag so auch nicht wiederholbar sein, aber dass man derart auf einen in vielerlei Hinsicht falschen Weg gekommen ist – sportlich, finanziell, institutionell, gesellschaftlich – muss zu Änderungen führen. Umdenken und umlenken. Denn das einst so großartige Produkt LaLiga bekommt immer mehr Schäden und weniger Interesse, speziell bei jüngeren Zielgruppen, auch wenn Tebas weiter darum bemüht ist, Gegenteiliges zu behaupten und eine andere Realität zu malen. Aber weitere Pressemitteilungen und Aktionen werden da nicht helfen. Schon gar nicht ein Rebranding mit neuem Namen. Die 93. Saison in der Primera División kann also nicht nur, sie muss auch besser werden als die 92., die am Sonntag zu einem lange herbeigesehnten Abpfiff kommen wird.

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von
Nils Kern

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Kommentare
Super Artikel, gut zusammengefasst! Der Spanische Fussballverband ist zum Handeln gezwungen! Klar ist: So kann es nicht mehr länger weitergehen. Die La Liga braucht endlich eine klare Linie in allen Belangen. Es scheint so, als könnten alle Entscheidungen immer wieder im Nachhinein angefochten werden. Das wirkt dann halt sehr unseriös und unprofessionell. Würden Fachexperten entscheiden, käme es doch gar nicht so oft dazu, dass die Aktionen hinterfragt werden müssen. Doch die Unparteiischen auf dem Rasen und an den Bildschirmen, sowie die Mitglieder des FFP und des „Ant-Rassismus“-Komitees machen überhaupt keine gute Figuren. Dann wieder einen traurigen Höhepunkt ist die Ablehnung der Goal Line Tegnology, weil sie zu teuer sei… Wenn dem Verband die Verbesserung des Fussballs nicht „mal“ 3 Millionen wert ist, zeigt das halt seine Absichten. Einfach nur traurig. Ich wäre zudem sehr dafür, dass pro Team eine Einführung einer höheren Mindestanzahl an Spanier und Spieler der eigenen Jugend eingeführt wird. Das würde vor allem auch Real gut tun.
 

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