Reportage

Marcelo und Carvajal im Fokus: „Zizous“ verkappte Spielmacher

Zinédine Zidane setzt weiterhin auf die mittlerweile bewährte Mischung aus einem offensiven 4-3-3 und einem defensiven 4-4-2, erste Anzeichen seiner eigenen Handschrift sind nach gut einem Monat jedoch schon deutlich erkennbar. Eine besonders exponierte Stellung im System Zidane nehmen dabei die Außenverteidiger an. Marcelo und Daniel Carvajal agieren bisweilen als verkappte Spielmacher.

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Marcelo ist für seine Offensivstärke gefürchtet

Neue Rolle unter Zidane

MADRID. Neu erfunden hat Zinédine Zidane das Rad in seiner bislang einmonatigen Amtszeit nicht. Auch der Franzose setzt auf das mittlerweile in Madrid bewährte 4-3-3 in der Offensive, wobei er seinen Offensivstars enorm viele Freiheiten gewährt, während defensiv auf ein kompaktes 4-4-2 zurückgegriffen wird, mit Cristiano Ronaldo und Karim Benzema in vorderster Front und einem einrückenden rechten Flügel, in der Regel besetzt durch Gareth Bale oder James Rodríguez. Eine eigene Handschrift lässt der bisherige Spielstil unter dem einstigen Spielmacher dennoch deutlich erkennen: Ballbesitz als höchste Maxime, direktes und variables Offensivspiel und aggressives Pressing bei Ballverlust sind die wohl wichtigsten Merkmale der Zidane’schen Philosophie. Eine besonders exponierte Stellung im neuen System nehmen dabei die beiden Außenverteidiger ein.

Marcelo spielte zwar schon unter Rafael Benítez eine starke Saison, nimmt jedoch unter dem neuen Übungsleiter eine noch prägendere Rolle im Angriffsspiel ein. Daniel Carvajal, unter Benítez lange verletzt und oftmals nur die zweite Wahl, bewies bei seinen letzten Auftritten, dass er mittlerweile definitiv zu den die Top drei der rechten Außenverteidiger gehört, und demonstrierte außerdem eindrucksvoll, dass auch ein defensiver Außenbahnspieler ein potentielles Weltklasse-Team auf ein anderes Level heben kann. Agierte man auch unter Vorgänger Benítez relativ offensiv, was die Positionierung der Außenverteidiger anging, fällt diese unter Zidane nochmals ein Stück extremer aus. Und bringt auch eine Menge Verantwortung mit sich.

Zentrumforciertes Spiel eröffnet viele Möglichkeiten

Schon in der Castilla ließ die französische Ikone mit permanent hoch stehenden Außenverteidigern agieren, bei den Profis gestaltet sich die Situation nicht anders. Einmal in Ballbesitz, lassen sich Toni Kroos oder ab und an auch Luka Modrić zwischen die Innenverteidiger fallen, was es Marcelo und Carvajal ermöglicht, in die Tiefe zu gehen und eine exzellente Staffelung zu erzeugen. Da Ronaldo mittlerweile eher als zweite Sturmspitze aufläuft und folglich auch näher am Strafraum zu finden ist und dessen Pendant Bale sich auf der rechten Seite zu Beginn extrem Richtung Zentrum orientiert, finden beide Außenverteidiger eine Menge Platz auf den Flügeln vor. Unter Zidane spielt sich zwar eine Menge in der Zentrale ab, die Bedeutung der defensiven Außen ist jedoch enorm. Ist der Gegnerdruck gering, stoßen beide in die sich bietenden Räume und sorgen für Raumgewinn, um das Aufbauspiel in unmittelbarer Nähe zum gegnerischen Tor fortzusetzen. Im Regelfall werden beide Akteure, bedingt durch die hohe Positionierung, allerdings angelaufen. In diesem Fall stößt ein Mitspieler aus dem Zentrum mit einer kreuzenden Bewegung auf den Flügel und kann mit Tempo in Richtung Tor ziehen. So geschehen bei Benzemas Treffer zum 3:0 gegen Gijón, als Bale, von Carvajal hervorragend in Szene gesetzt, wunderbar auf die Außen zog und im vollen Tempo Richtung Sechzehner gehen konnte (VIDEO).

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Befindet man sich bereits tiefer in der gegnerischen Hälfte, forcieren die Madrilenen ihr Spiel durch das Zentrum und lassen den Ball durch das Mittelfeld zirkulieren. Besonders Benzema lässt sich dabei oft tief fallen, um als Wandspieler zu agieren und die Verteidiger zu locken. Oder Toni Kroos sorgt mit einem seiner berüchtigten Diagonalbälle für öffnenden Verlagerungen. Das Ziel ist klar: Den Gegner ins Zentrum locken, um Lücken zu kreiieren, in die Marcelo und Carvajal dann hineinpreschen können. Gegen Deportivo La Coruña (5:0) bei Bales Treffer zum 2:0 (VIDEO) oder Ronaldos Tor zum 4:0 gegen Gijón (VIDEO) gelang dies in lehrbuchmäßiger Manier.

Am wichtigsten sind die beiden Flügelflitzer jedoch, wenn das Zentrum einmal dicht ist. Und in diesen Situationen kommt die enorme individuelle Klasse des Brasilianers und des Spaniers zum Tragen. Während Ersterer besonders aufgrund seiner Dribbelstärke und teils brillianten Ideen im Spielaufbau für reichlich Verwirrung in den gegnerischen Abwehrreihen sorgt, ist Zweitgenannter vor allem durch seine enorme Dynamik in der Lage, Löcher in des Gegners System zu reißen. Marcelo nimmt dabei gerne Zug in Richtung Zentrum auf und macht es dem Gegner durch seine Diagonalläufe schwer, defensiven Zugriff zu finden. Entweder versucht sich der Linksfuß in der Folge dann selbst an einem Pass in die Schnittstelle bzw. einer Flanke aus dem Halbfeld, oder spielt einen öffnenden Ball auf die linke Außenbahn, welche zumeist vom hinterlaufenden Isco besetzt wird. Auf der Gegenseite verfügt Carvajal hingegen zwar nicht über selbige Qualitäten im Eins-gegen-Eins, weiß mit Bale aber einen kongenialen Partner auf seiner Seite. Wählt der Rechtsverteidiger den direkten Weg zur Grundlinie, lässt sich der Waliser geschickt ins Zentrum fallen und fungiert als Anspielstation zum Doppelpass. Wählt Carvajal in hohem Tempo den Weg in die Mitte, nutzt Bale die kurzzeitigen Zuordnungsprobleme und besetzt gedankenschnell den verwaisten Flügel.

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Besonders gegen tiefstehende Gegner ein probates Mittel, da das von Zidane favorisierte Spiel durch die Mitte gegen gut organisierte Teams wahlweise an seine Grenzen stoßen wird. Während Carvajal vor allem aufgrund des hervorragenden Timings seiner Vorstöße und seinem exzellenten taktischen Verständnis einen Eckpfeiler im neuen System unter „Zizou“ darstellt, ist Marcelo als der etwas spielstärkere Verteidiger von beiden durch seine Fähigkeiten zum Rhythmuswechsel und im Kombinationsspiel einer der wichtigsten Initiatoren im Madrider Angriffsspiel. Besonders gut zur Geltung kommen deren Stärken vor allem auch dadurch, dass sich Reals 4-3-3 eher asymmetrisch gestaltet und Marcelo durch Ronaldos zentralere und offensivere Positionierung auf der linken Seite spielerisch mehr Verantwortung trägt, wohingegen Carvajals Dynamik und Tempoläufe durch das hervorragende Wechselspiel mit Bale begünstigt werden.

Risikofaktor Spielaufbau

Durch die permanent hohe Positionierung agiert man natürlich auch immer mit einem gewissen Maß an Risiko. Verlieren die Außenverteidiger im Vorwärtsgang den Ball, ist die Wahrscheinlichkeit, aller Absicherung zum Trotz auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, extrem hoch. Presst der Gegner zudem weit in des Gegners Hälfte, besteht die Möglichkeit, dass beide Verteidiger vom Spiel isoliert werden, da Pässe in die Tiefe nicht ohne Weiteres möglich sind. Hierbei handelt es sich dann allerdings um eine Aufgabe, die das Team als Ganzes zu lösen hat, beispielsweise durch noch intensiveres Fallenlassen der Offensivakteure, um den Aufbauspielern weitere Stationen zu bieten. Interessant wird ohnehin in erster Linie sein, ob die zuletzt gezeigten Ansätze und Leistungen auch gegen große Kaliber auf den Platz gebracht werden können – auch von Marcelo und Carvajal.

Real Madrids Trikots 2015/16: weiß-kurzgraublau und weiß-lang

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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