
1. Systemvariabilität
Die ganze Saison über griff Ancelotti stur auf sein 4-3-3-System zurück, im Liga-Spiel gegen Real Valladolid änderte er das System auf ein 4-4-2. Auch wenn der Coach das System im Spiel wieder auf die ursprüngliche Formation änderte, könnte das 4-4-2 oder 4-2-3-1 im Saisonendspurt wichtig werden. Vor allem gegen Gegner, die tief stehen oder sich auf Reals Offensive eingestellt haben, wie zum Beispiel der FC Barcelona. Die Offensivreihe – bestehend aus Vinícius Júnior, Rodrygo Goes, Marco Asensio und Hattrick-Schütze Karim Benzema – brillierte gegen die überforderte Defensive von Real Valladolid. Vor allem der Mallorquiner glänzte in seiner freien Rolle: Er begann zuerst auf der rechten Seite und nach etwa 20 Minuten spielte er zentraler und besetzte mit seinen tiefen Läufen immer wieder die frei gewordenen Räume, die Benzema schaffte. So leitete er das 4:0 ein und auch beim Führungstreffer war es Marco Asensio, der mit einem Lauf durchs Zentrum Platz für die anderen Offensivkräfte schaffte.

Neben Reals Nummer 11 hatte auch Rodrygo richtig Spaß an der Begegnung und bewegte sich frei auf dem Feld, anfangs mehr noch neben Benzema, im Anschluss mehr auf der rechten Seite und konnte seine Leistung mit einem Tor und zwei Vorlagen krönen. Jedoch war es vor allem der Weltfußballer Karim Benzema, der von der offensiveren Ausrichtung profitierte und am Ende des Tages seine LaLiga-Saisontore zwölf bis 14 erzielen konnte. Der Mittelstürmer der Königlichen hielt seine Rolle als Mittelstürmer in diesem Spiel auch deutlich öfter als es in der bisherigen Saison der Fall war – er ließ sich gerne nach links fallen, um dort Überzahl zu generieren – und stand dreimal richtig und holte sich für die wichtigen Partien Selbstvertrauen.
2. Camavinga als Übergangslösung für das Linksverteidiger-Problem
Der aktuell vermutlich beste Außenverteidiger Real Madrids heißt Eduardo Camavinga und ist eigentlich ein gelernter defensiver Mittelfeldspieler, der aus der Not heraus auf dieser Position aushelfen muss. Der 20-jährige Franzose überzeugt auf dieser Position so sehr, dass er aktuell die wahrscheinlich beste Wahl ist. Aufgrund seiner gelernten Position und durch seine Spielintelligenz lässt sich Camavinga gerne beim Spielaufbau ins Zentrum fallen, um dort eine weitere Anspielstation zu schaffen. Wenn er in diesem Raum angespielt wird, agiert er als Ballschlepper – läuft einige Meter mit dem Ball und gewinnt somit Raum für seine Mannschaft – oder als verkappter Spielmacher. Somit erinnert er an Marcelo, der in seiner Primetime bei Real einen wichtigen Faktor für die Offensive der Blancos darstellte. Auch wenn sich der siebenmalige französische Nationalspieler auf der für ihn unbekannten Position immer mal wieder Stellungsfehler erlaubt, weiß er diese mit starken Tacklings auszubessern. Aufgrund dessen und wegen des verletzungsbedingten Ausfalls Ferland Mendys, könnte Camavinga auf der Position des Linksverteidigers im Endspurt eine essenzielle Rolle spielen. Da auch das Zusammenspiel zwischen Vinícius und ihm stimmt, ist der Linksfuß neben David Alaba eine Option als Linksverteidiger für die entscheidenden Monate.
3. Prunkstück Innenverteidigung
Mit der Rückkehr David Alabas hat Ancelotti in der Innenverteidigung die Qual der Wahl: Aktuell stehen ihm neben dem Österreicher auch Antonio Rüdiger, Nacho Fernández und Éder Militão zur Verfügung. Der Brasilianer ist in der bisherigen Saison in bestechender Form und zählt für Coach Ancelotti zu den besten Innenverteidigern der Welt, um den zweiten freien Platz streiten sich wohl Rüdiger und Alaba, denn obwohl Nacho zuletzt sehr stark aufspielte, steht er in der Hierarchie hinter den ehemaligen Bundesliga-Akteuren. Jedoch wird es für Alaba in den kommenden Wochen wichtig sein, erstmal wieder seinen Rhythmus zu finden und Spielpraxis zu sammeln, auch wenn Weltklassespieler wie er sehr schnell wieder an ihre Form anknüpfen können. Die fehlende Spielpraxis war dem in Wien geborenen Verteidiger im Spiel gegen Real Valladolid anzumerken, so hatte er nur eine Passquote von 85 Prozent und war auch ansonsten etwas zurückhaltender als seine Mitspieler in der Viererkette. Aufgrund der Verletzung von Mendy wird der 30-jährige Alaba aber aushilfsweise als Linksverteidiger benötigt. Deshalb wird das Innenverteidiger-Duo in den nächsten Wochen wahrscheinlich Militão und Rüdiger heißen.
4. Die Probleme gegen tiefstehende Gegner
In dieser Saison war es häufig zu sehen, dass die Blancos Probleme mit Gegner hatten, die mit einem tiefen Block verteidigen, wie zum Beispiel Real Sociedad, Osasuna oder Girona, die jeweils mit dieser Taktik einen Punkt aus dem Bernabéu entführten. Aber was ist das Problem und warum findet Real Madrid trotz der höheren individuellen Klasse kein Mittel gegen diese Gegner? Ein Grund hierfür ist das statische Mittelfeld: Die drei Positionen im Mittelfeld sind sehr statisch, zwar finden Toni Kroos und Luka Modrić immer Lücken, um ihre Mitspieler einzusetzen. In der Begegnung gegen Real Valladolid war zu sehen, wie ein Spieler wie Asensio mit seinen Tiefenläufen Lücken in die gegnerische Abwehr reißen kann. Ein weitererer Akteur im Kader, der diese Läufe ebenfalls oft zeigt, ist Federico Valverde, aber sowohl der Uruguayer als auch der Spanier werden öfter als Rechtsaußen eingesetzt. Somit muss die gegnerische Defensive – die oft mit fünf Spielern agiert – nur drei offensive Akteure der Königlichen verteidigen und Ancelotti und sein Team verlassen sich in solchen Situationen zumeist auf die individuelle Klasse der Offensive. Die 6:0-Gala gegen die „Pucelas“ hat deutlich gezeigt, dass eine Systemumstellung in Spielen gegen kleinere Teams, die auf das Verteidigen des eigenen Tores bedacht sind, eine gute Option darstellt, um weniger berechenbar zu sein und mehr Offensivaktionen zu kreieren.
5. Das Pressingproblem der Königlichen in LaLiga
Auch das Pressing von Real Madrid in der Liga ist nicht das Beste, um es milde auszudrücken, aber warum gelingt es den Königlichen nicht den Ball sofort nach Ballverlust wieder zurückzugewinnen? Erstens ist es die Taktik vom Coaching-Team sich nach Ballverlust zunächst wieder zu sortieren und vor allem in der Defensive kompakt zu stehen. Ein weiterer Grund, warum das Pressing in LaLiga nicht wirklich funktioniert, ist die Positionierung der Offensivspieler: Karim Benzema hat alle Freiheiten auf dem Platz, der Spieler auf der rechten Außenbahn bewegt sich ebenfalls sehr frei, nur Vinícius besetzt die linke Außenbahn konstant. Und hier liegt das Problem: Durch diese Positionierung ist es oft nicht möglich bei Ballverlust innerhalb weniger Sekunden Überzahl auf den gegnerischen ballführenden Spieler zu erzeugen und damit den Ball zurückzuerobern. Dieses zurückhaltende System funktioniert(e) in Europa zwar sehr gut, jedoch agieren die Blancos dort oft zurückhaltender und sind vor allem in der K.o.-Phase mehr auf Konter bedacht, bei denen sie ihre Stärken über den pfeilschnellen Brasilianer ausspielen können. Ebenfalls kommt das statische Mittelfeld Real Madrid in der Champions League entgegen, denn die Abgeklärtheit von Kroos und Modrić an diesen Abenden ist unbezahlbar und gibt dem Team Sicherheit. Letzte Saison war es zusätzlich die Dynamik der jungen Spieler wie Valverde oder Camavinga, die in der Schlussphase ein Spiel gedreht hat. Daher könnten Ancelotti und Co. je nach Partie an eine Systemanpassung denken, um für die Gegner unberechenbarer zu werden. Dies wird am Ende jedoch wahrscheinlich leider nur ein Wunschgedanke bleiben.
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