
Die kroos’sche Spielweise ist nicht imitierbar
Wer nach dem Abgang von Toni Kroos erwartet hat, dass diese Lücke eins-zu-eins geschlossen wird, hat sich getäuscht. Über einen Spielertypen, der durchschnittlich 100 Ballaktionen im Spiel sowie sieben lange Bälle generiert und dabei eine Passquote von (weit) über 90 Prozent aufweist, verfügen die Königlichen aktuell nicht. Der deutsche Ausnahmespieler brillierte mit einer auf diese Weise selten dagewesenen Ruhe am Ball, einer außergewöhnlichen Qualität im Passspiel und dem optimalen Gefühl dafür, wann der Rhythmus des Spiels mit nur einem Pass geändert werden musste.
Das Duell mit Atalanta Bergamo hat jedoch gezeigt, dass Reals Mittelfeld in der Spielzeit 2024/25 keine Kopie der vergangenen Jahre darstellen sollte, sondern dass gezielte Modifikationen sinnvoll erscheinen. Mit Aurélien Tchouaméni, Federico Valverde und Jude Bellingham waren am Mittwochabend drei Akteure auf dem Rasen, die mit einer enormen körperlichen Präsenz, hoher Dynamik und – speziell zu Spielbeginn und dann im zweiten Durchgang – einer so nicht zu erwartenden Kombinationsfreude überzeugten. Besonders bemerkenswert war, dass alle drei zentralen Mittelfeldakteure mehr als 50 Prozent ihrer Zweikämpfe für sich entschieden – Valverde behielt sogar in jedem Duell die Oberhand.

Dynamik als Waffe für die Zukunft
Hinzu kommt, dass insbesondere Bellingham und Valverde nach Ballgewinnen über immense Fähigkeiten verfügen. Beide Spieler attackieren die Tiefe sofort mit ihrer enormen Dynamik und sind zudem dazu in der Lage, auch durch gezieltes Passspiel gefährliche Situationen zu kreieren. So steuerte Valverde einen Key-Pass bei – Bellingham spielte sogar drei Key-Pässe. So können die beiden Ballschlepper von der Achterposition nicht nur Angriffe initiieren, was durch das außergewöhnliche Tempo von Kylian Mbappé, Vinícius Júnior und Rodrygo Goes erleichtert wird. Sie sind zudem auch selbst potenzielle Torschützen – ganz egal, ob per Distanzschuss, nach Hereingaben oder aus dem Rückraum.
Dass Valverde nach schöner Vorarbeit von Vinícius eiskalt zur Stelle war und Bellingham beim zweiten Treffer Mbappé nach einem herrlichen Gegenpressingmoment perfekt in Szene setzte, unterstreicht das enorme Potenzial der neuen Schaltzentrale auf eindrucksvolle Weise. Hinzu kommt, dass Ancelotti mit dem verletzten Eduardo Camavinga noch einen Spielertypen in der Hinterhand hat, der die Statik eines Spiels innerhalb weniger Sekunden ändern kann, während die Qualitäten von Altmeister Luka Modrić unbestritten und immer noch wertvoll sind.
Valverde denkt an sein Idol
Nichtsdestotrotz fehlt der Spieler und die Persönlichkeit Kroos im königlichen Starensemble. Valverde, der erstmals mit der Nummer 8 auflief, nahm Bezug auf das unvergessene Wirken des Deutschen: „Das macht mich sehr stolz. Für mich ist es eine riesige Motivation, dass ich die Nummer von jemandem erbe, den ich sehr bewundere. Das Tor widme ich ihm und meiner Frau.“

Nach dem gelungenen Mbappé-Debüt und dem damit verbundene ersten Titel der Saison scheint eines festzustehen: Die Statik im Mittelfeld ist eine andere als in den vergangenen Jahren. Und auch das maschinenartige kroos’sche Passspiel, mal für Ruhe, mal für Tempo sorgend, ist so nicht mehr existent.
Dennoch verfügt Real Madrid über ein immenses Potenzial – vor allem in puncto Dynamik und Physis, das es auszuschöpfen gilt. Das gegen Atalanta teilweise noch fehlende Gleichgewicht, die kroos’sche Balance fehlte logischerweise noch, handelte es sich für die meisten doch nach verpasster Saisonvorbereitung um den ersten Einsatz, auch den ersten ohne Kroos. Mit etwas Praxis und Geduld dürfte auch hier etwas Vielversprechendes zusammenwachsen, wenn auch etwas anderes als noch in den letzten zehn Jahren – vielleicht sogar etwas Vertikaleres, Physischeres. Ohne den Deutschen ist also sehr wohl einiges los – und dennoch stünde der Weltmeister von 2014 auch dem „neuen Real“ ohne Frage gut zu Gesicht. So einer wird logischerweise vermisst werden, auch noch etwas länger!
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