
PRO – Edin Soso: Alle Beteiligten können nur gewinnen
Die Meldung über den vermeintlich bevorstehenden fixen Wechsel Achraf Hakimis von Real zu Inter Mailand hat auch mich zunächst sehr überrascht, denn sowohl meine als auch die allgemeine Erwartung war, dass der 21-jährige Marokkaner nach seinen zwei guten bis sehr guten Spielzeiten bei Borussia Dortmund nach Madrid zurückkehrt und eine Chance im Team von Zinédine Zidane bekommt. Nach einigen Stunden Abstand und nüchterner Überlegung glaube ich jedoch, dass der mögliche Transfer sowohl für Real Madrid als auch für Hakimi durchaus Sinn ergibt.
Dani Carvajal ist als Rechtsverteidiger bei Real immer noch unangefochten. Mit 28 Jahren ist er im besten Fußballer-Alter und wird noch mindestens zwei bis drei Jahre auf dem bisherigen, höchsten Level spielen können. Sollte er sich nicht verletzen oder aufgrund englischer Wochen punktuell geschont werden, wird Carvajal bei Zidane spielen. Hakimi andererseits möchte regelmäßig spielen und würde sich mit einer Backup-Rolle sicherlich nicht zufrieden geben. Real kann ihm regelmäßige Einsätze aber nicht garantieren. So liefe man Gefahr, einen unzufriedenen Spieler im Kader zu haben, der mehr als nur Ersatz sein möchte, was aus seiner Perspektive betrachtet auch vollkommen verständlich wäre. Es ist außerdem nicht auszumachen, wie Zidane Hakimi grundsätzlich bewertet und was er ihm kurz- bis mittelfristig zutraut. Ist der Spieler defensiv stabil genug, um eine echte Chance im teaminternen Duell gegen Dauerbrenner Carvajal zu haben? Viele offene Fragen. Die Tatsache, dass Hakimi sich offenbar ernsthaft mit einem Weggang beschäftigt, bestätigt nur meine Vermutung, dass er sich unbedingt als Stammspieler sieht. Man könnte das Ganze auch so interpretieren, dass er den Konkurrenzkampf mit Carvajal scheut. Sollte das der Fall sein, wäre es noch ein Argument mehr für den Transfer.

Zidane hätte auch ohne Hakimi genügend Alternativen auf der Position, die Carvajal temporär entlasten könnten. Nacho Fernandéz hat dies in der Vergangenheit immer wieder zufriedenstellend getan. Álvaro Odriozola steht bald auch wieder in Valdebebas auf der Matte. Und sollte die Not ganz groß sein, gibt es noch einen gewissen Sergio Ramos, immerhin gelernter Rechtsverteidiger, der aushelfen könnte. Das wären alles natürlich keine idealen Lösungen, aber mit Carvajal hat man diese.
Nicht zuletzt muss man den möglichen Transfer auch unter finanziellen Gesichtspunkten betrachten. Real Madrid hat zwar keine gravierenden finanziellen Nöte wie viele andere europäische Vereine, muss aber auch die durch die Corona-Krise entstandenen Einnahmeausfälle zumindest teilweise kompensieren. Mit Gareth Bale und James Rodríguez hat man bereits zwei teure Spieler im Kader, die man abgeben möchte, für die es aber schwer sein wird, potenzielle Abnehmer zu finden. Die Ablösesumme von mindestens 40 Millionen Euro, die im Raum steht, wäre aus meiner Sicht ein gutes Geschäft für den Verein. Sollte in den Vertrag noch eine aus Real-Sicht günstige Rückkauf-Option eingebaut werden, wie es 2014 bei Álvaro Morata und seinem Wechsel zu Juventus Turin der Fall war, würde ich den Transfer erst recht befürworten. Doch auch ohne eine entsprechende Option würde ich diesen Wechsel unter den gegebenen Umständen begrüßen.
CONTRA – Filip Knopp: Schlechter Deal, mäßige Alternativen
72 Einsätze, zwölf Tore, 17 Vorlagen: Während das eine oder andere Leih-Experiment von Real Madrid in der jungen Vergangenheit teilweise mächtig schiefgegangen ist, war der Aufenthalt von Achraf Hakimi bei Borussia Dortmund ein voller Erfolg. Wer die Königlichen in jungem Alter temporär verlässt, für den zählt in erster Linie nur Spielpraxis. Hakimi hat sie beim BVB bekommen. Und noch besser: Er hat sich prächtig weiterentwickelt. So sehr sogar, dass man ja schon nach seiner ersten Saison dort spekuliert hatte, ob er denn nicht vorzeitig zurück nach Madrid zurückkehren würde.
Für mich wäre Hakimi jetzt, nach den zwei Jahren Dortmund, ohne Zweifel bereit für Real. Umso mehr verwundert mich die Meldung des hinter den Kulissen scheinbar schon so gut wie sicheren Wechsels zu Inter Mailand. Erstens das Abgeben an sich, und zweitens die Art des Deals: keine weitere Leihe, die meiner Meinung nach ebenfalls unnötig gewesen wäre, sondern ein Verkauf! Heißt: Tschüss, Achraf! Er wäre weg! Während Details über Gehalt (fünf Millionen Euro netto pro Jahr) und Vertragslaufzeit bei Inter (bis 2025) zeitgleich mit der Erstmeldung preisgegeben wurden, ist bislang von einer möglichen Rückkaufoption für Real keinerlei Rede. Das kann niemandem, der es mit den Madrilenen hält, gefallen. Selbst wenn es eine gäbe: Real müsste dann viel mehr ausgeben als man jetzt einnimmt – zumal sich der Fußballmarkt nach der Coronavirus-Pandemie früher oder später wohl wieder normalisiert und die Ablösen wieder in die Höhe schießen würden. Es gibt einige Experten, die das bereits prophezeien. Wozu also das Ganze?
Stichwort einnehmen. 40 oder 45 Millionen Euro sollen es an Ablöse fix sein – und das für einen der verheißungsvollsten Außenbahnspieler des europäischen Spitzenfußballs, laut seinem Berater mit Trent Alexander-Arnold vom FC Liverpool schon jetzt „der beste Rechtsverteidiger der Welt“. Für mich definitiv zu wenig. Ja, wir leben in einer Zeit, in der die Corona-Krise auch die Fußball-Wirtschaft beeinträchtigt. Aber wenn man mehr als diese 45 Millionen nicht bekommt, würde ich mich an Reals Stelle ohne zu zögern entschieden, ihn lieber in den eigenen Reihen zu behalten, um seine Qualität für sich selbst zu nutzen anstatt sie an einen potentiellen Rivalen im Verlauf einer Champions-League-Saison zu geben.
Mit seinen in dieser Saison 19 Scorerpunkten würde ich Hakimi eigentlich gerne jubelnd in Madrid zurückempfangen. Defensiv mag er noch seine Unzulänglichkeiten haben – aber welcher Spieler ist mit 21 denn schon perfekt? So müsste man nun hinten rechts als Alternative zu Daniel Carvajal weiter auf Nacho Fernández bauen, eigentlich Innenverteidiger. B-Lösung. Oder auf Éder Militão, ebenfalls Innenverteidiger. C-Lösung. Oder auf Ferland Mendy, Linksfuß. Nicht die D-Lösung, denn er kann dort gar keine vernünftige Lösung sein. Oder aber Álvaro Odriozola kommt nach seiner Mega-Flop-Leihe beim FC Bayern München (seit Januar lächerliche drei Einsätze gegen klare Underdogs) zurück, um zu bleiben – was aber bezweifelt werden darf, da er wohl allmählich mal bei einem namhaften Klub Stammspieler sein will. In Madrid für ihn unmöglich.
[advert]
Auch Hakimi wäre nicht gesetzt, die Wahrscheinlichkeit bei ihm aber größer, dass er sich die Position mit Carvajal mehr oder weniger teilt. Auch, damit der 28 Jahre alte Dauerbrenner mal entlastet werden kann. Wer viele Titel gewinnen will, braucht in der Breite den bestmöglichen Kader. Und Hakimi ist auf dieser Position besser als all die genannten Backups. Ein Klub, der am längeren Hebel sitzt, muss seine Interessen dann auch mal konsequent verfolgen, seine Machtstellung ausnutzen. Dass der Spieler nun vielleicht vorschnell abwandert und den Konkurrenzkampf in Madrid scheut, wäre übrigens schade.
Hakimi und Real: Droht sich das, was so vielversprechend schien, jetzt in Luft aufzulösen?
Community-Beiträge