
Champions League im Bernabéu: 1:2 folgt auf 1:2
MADRID. Es geht mit einem Blick auf das nackte Ergebnis so weiter, wie es vor der langen Unterbrechung aufgehört hatte. 580 Tage lang ertönte sie im Estadio Santiago Bernabéu nicht, die legendäre Hymne der Champions League – wegen der Coronavirus-Pandemie und Real Madrids zwischenzeitlichem Umzug in das Estadio Alfredo Di Stéfano. Am Dienstag nun die Wiedervereinigung zwischen der Königsklasse und dem königlichen Fußballtempel, die jedoch ein Ereignis der maximal ernüchternden Art werden sollte.
Real verlor 1:2 – wie am 26. Februar 2020 auch. Nur: Damals war mit Manchester City ein klangvoller Name des Weltfußballs zu Gast an der Concha Espina. Und diesmal? Sheriff Tiraspol. Wer? Ein No-Name-Verein mit No-Name-Spielern, die europaweit niemand auf der Straße erkennen wird. Was für ein Versagen, was für eine Peinlichkeit im eigenen Stadion – zumal eigentlich die Mannschaft von Carlo Ancelotti der Herr im Haus, der Sheriff, das Team mit den Waffen und reichlich Munition in der Tasche war.
Sheriff: Zwei Tore bei nur drei Torschüssen
Die verrückte Statistik: 76 Prozent Ballbesitz, 11:3 Torschüsse, 9:1 Schüsse, 11:0 geblockte Schüsse. Insgesamt: 31:4 Schüsse. Und am Ende ein 1:2. Der kleine Klub aus Moldawien, der zum erst zweiten Mal überhaupt zu einem Champions-League-Spiel antrat, zwang den mit 13 Titeln erfolgreichsten Teilnehmer des Wettbewerbs in die Knie. Real erntet dafür wenig überraschend Spott und Häme. Die Sportzeitung MARCA fragt: „Ist das die größte Überraschung in der Geschichte der Champions League?“
Kann sein. Oder eben nicht. Klar ist derweil: Wenn Sheriff nur dreimal auf das Tor schießt, darf Scheriff nicht zweimal einnetzen. Daher muss spätestens die erste Niederlage in dieser Saison dem Team als Weckruf dienen. Nicht etwa, da das Weiterkommen in das Achtelfinale ernsthaft in Gefahr ist. Klubs wie Real werden eine Vorrunde mit sechs Partien letztendlich immer überstehen, das hat nichts so gut gezeigt wie die vergangene Spielzeit, als die Lage am Anfang mit nur einem von sechs möglichen Zählern und später noch einer weiteren Niederlage kritisch war, man sich dann aber sogar als Erster das K.o.-Ticket sicherte.
Reals geplante Abwehr-Steigerung: Nicht nur reden
Vielmehr geht es jetzt darum, nicht mehr nur ständig öffentlich davon zu reden, die Defensivarbeit verbessern zu wollen, sondern dieses Vorhaben vor dem Hintergrund der hohen Ambitionen im Laufe des Spieljahres auch nachhaltig in die Tat umzusetzen.
Zehnmal hat Thibaut Courtois in den bis dato neun Partien hinter sich greifen müssen, etwa bei dem schmeichelhaften 1:0-Sieg auswärts gegen Inter Mailand verhinderte der Keeper mit nicht nur einer starken Tat, dass er es nicht noch öfter tun musste. „Wir haben zu viele Gegentore kassiert“, hatte es Allrounder Nacho Fernández wiederum erst am Montag bei der Pressekonferenz vor dem Sheriff-Schock angesprochen.
0:1 bezeichnend für Defensiv-Probleme
Das 0:1 gegen den krassen Außenseiter, an dem er als rechter Verteidiger dann selbst eine Mitschuld trug, war mehr oder weniger bezeichnend für Reals Wackel-Abwehr: Der eine schlägt die Flanke völlig ungestört und ohne jeglichen Gegnerdruck von der linken Seite in das Zentrum, der andere köpft das runde Leder genauso ungehindert hinein in die Maschen.
Beim zweiten Gegentreffer lief es dann auch nicht sehr viel besser: Nach einem Einwurf leistet David Alaba, einmal mehr zusammen mit Éder Militão in der Abwehrmitte, erst nur Geleitschutz, woraufhin Siegtorschütze Sebastien Thill zentral vor Reals Strafraum schließlich wieder total unbewacht zum Schuss seines Lebens ausholt.
Die Defensive ist im Verbund ein Schwachpunkt, wird auf den Seiten womöglich auch zu oft durcheinandergewirbelt: mal spielt Nacho links, mal rechts, dann kommen Lucas Vázquez, Miguel Gutiérrez oder sogar Federico Valverde dort zum Zug, weil Daniel Carvajal, Ferland Mendy und Marcelo fehlen. Militão und Alaba müssen sich so ständig umgewöhnen.
Starke Abwehr und starker Angriff? „Ist möglich“
Ancelotti hatte zu seiner Rückkehr zum weißen Ballett angekündigt, er wolle einen offensiven und spektakulären Fußball zelebrieren. Die 23 Treffer in den neun Spielen belegen bislang, dass es keine leere Worte waren. Im Madridismo ist man ihm nach, was das Angriffsspiel betrifft, müden Jahren unter Zinédine Zidane dafür auch dankbar. Der Italiener gab zu, den Fokus in den vergangenen Wochen mehr auf die vorderste Front gelegt zu haben.
Es ist aber an der Zeit, an der Hintermannschaft zu arbeiten – was wegen des engen Terminplans und der demnächst schon wieder nahenden Unterbrechung durch die Nationalmannschaft allerdings auch kein leichtes Unterfangen ist. Mit Militão und Alaba werden die beiden Stamm-Innenverteidiger auf Reisen sein, nach ihrer Rückkehr geht es dann Schlag auf Schlag weiter. Schon aktuell werden verbesserungswürdige Situationen nur anhand von Videos besprochen und analysiert. „Richtig auf dem Platz zu trainieren, ist nicht möglich. Intensiv kann man nicht trainieren, wenn man alle drei Tage spielt“, so Ancelotti.
Immerhin stellte „Carletto“ aber auch schon klar, dass es sich nicht beißt, einen attraktiven Angriffsfußball zu spielen und zugleich defensiv sicher zu stehen: „Ja, das ist möglich. Wir arbeiten daran.“ Es heißt ja: Der Sturm gewinnt Spiele und die Abwehr Meisterschaften. Doch wenn selbst 31 Schüsse nicht genügen, dann muss es auch mal die Defensive richten und zumindest verhindern, als Verlierer vom Platz zu gehen.
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