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Stars von morgen: Deutsche und spanische Jugendarbeit im Vergleich

Zweiter Part des Interviews mit Marc Meister. Der Cheftrainer des Karlsruher U17-Teams absolvierte als erster Deutscher das Masterstudium „Dirección de fútbol“ an der „Escuela Universitaria de Real Madrid“. Nach seinen Antworten über das Studium und Real Madrid handelt Teil zwei von den Nachwuchsschmieden in Spanien und der Trainingsarbeit auf der iberischen Halbinsel.

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Filipe Farinha/Bongarts/Getty Images
Ein U16-Duell zwischen Spanien und Deutschland – Foto: Filipe Farinha/Bongarts/Getty Images

REAL TOTAL: Wo liegen für Sie, als Besitzer der Fußballlehrer-Lizenz des DFB, die Unterschiede beider Ausbildungswege?

Marc Meister: Die Ausbildung in Spanien beschäftigt sich zu 70 Prozent mit der Ausbildung von Fußballern und zu 30 Prozent mit dem Bereich, wenn die Jungs dann Lizenzspieler sind oder im Profibereich ankommen, während das beim deutschen Fußballlehrer genau umgekehrt ist. Dort beschäftigt man sich zu zwei Dritteln mit dem Elf-gegen-elf, mit dem großen Profifußball und Themen wie beispielsweise der Mannschaftsführung oder sportpsychologischen Ansätzen, die in diesem Bereich natürlich viel mehr ins Gewicht fallen als bei der Ausbildung.

Marc Meister
Marc Meister ist der erste deutsche Absolvent an Real Madrids Universität

Und wie ist es bei den spanischen Canteras? Welche Nachwuchsschmiede beziehungsweise welches Konzept beeindruckte am meisten?

Was mich total beeindruckte, war Athletic Bilbao, wo sie uns bei der U11 und U13 wirklich mit zum Kabinengespräch vor dem Training genommen haben, wobei sich die Kinder sozusagen selbst die Übungsformen gegenseitig erklären. Dort hängt vorne ein Whiteboard mit zwei Tafeln mit einem Fußballfeld hochkant, die Übung ist mit Magneten und Strichen schon skizziert und die Mannschaft sitzt ganz entspannt im Kreis um die Tafel herum. Dann sagt der Trainer: „Schaut euch das mal an. Wenn einer meint, er kann den Sinn dieser Übung erklären, kommt er einfach kurz nach vorne.“ Und dann kommen diese 11- oder 12-Jährigen nach vorne, richten sich zur Gruppe und sprechen mit einer Selbstverständlichkeit ohne Nervosität und ohne Scheu. Wenn dann später das Training losgeht, ist das dann quasi das Training der Jungs und nicht mehr das Training des Trainers. Sie haben es sich erklärt, sie haben es verstanden, wissen jetzt, wieso gewisse Dinge so und so gemacht werden, und das ist dann irgendwo ihr eigenes. Manchmal ist es ja wirklich so, dass man als Trainer irgendetwas aus dem Hut zaubert und sich fragt: Bin ich jetzt wirklich noch am Schwerpunt oder will ich jetzt einfach nur etwas Besonderes machen? Durch diese Klarheit und Einfachheit erreicht man, dass es die Jungs dann auch wirklich verstehen, und es geht auch in Richtung Persönlichkeitsentwicklung. Man will die Jungs auch aufrichten, dass sie den Mut haben, vor der Gruppe zu sprechen. Bei mir tun sich da teilweise die 16- oder 17-Jährigen wirklich schwer und sind sehr scheu. Das fand ich sehr beeindruckend. Diese Trainingsmethode hat eine Sportpsychologin, die dort seit über 20 Jahren am Werk ist, mit aufgebaut.

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Da scheinen die Kicker ja sehr frei zu sein…

Es ist außerdem so, dass die Trainer dort ausschließlich über Fragen coachen. Es gibt keine Instruktionen, es gibt keine Ansprache nach dem Motto: „Wenn du auf den Spieler zuläufst und dann das Tempo verschärfst, den Rhythmus wechselst, noch mal explosiv agierst, dann kommst du vielleicht vorbei“, sondern in der Spielunterbrechung wird der Spieler herangeholt und gefragt: „Was meinst du? Wieso bist du jetzt dreimal hängen geblieben?“ Dann antwortet der Spieler: „Aus diesen und jenen Gründen.“ Dann fragt der Trainer: „Und wie könntest du es probieren, dass du vorbeikommst?“ Dann sagt der Spieler: „Ich könnte es auf diese oder jene Weise probieren.“ Und dann sagt der Trainer einfach: „Gehe rein und versuche es einfach.“ Dann geht der Spieler rein und versucht es und wenn das eine klappt und das andere nicht, hat er diesen Lerneffekt. Sie wollen also niemals die Lösung vorgeben, sondern die Spieler auf dem Weg zur Lösung begleiten. Nach dem gleichen Schema läuft auch das Kabinengespräch ab, also lediglich über Fragen.

Klingt, als wäre ein derartiges Konzept auch für deutsche Nachwuchsakademien denkbar oder vielleicht sogar wünschenswert?

Für den Moment ist es unvorstellbar, in Deutschland so zu arbeiten. Das liegt vor allem auch an der Haltung der Spieler. Bei den Älteren sowieso, da herrscht die Devise: Der Trainer sagt an und wir versuchen, das umzusetzen. Mich persönlich hat der Ansatz voll überzeugt, die Frage ist nur, wie man dahin kommt. Wenn ich von heute auf morgen die Übung in die Kabine hänge und ich sage dann zu meinem Spieler, erkläre mir und den Jungs mal die Übung, dann funktioniert das nicht. Die Jungs kennen das auch einfach nicht und auch in der Schule wird nur teilweise so gearbeitet.

Da die Unterschiede zwischen deutschen und spanischen Nachwuchsspielern schon angesprochen sind: Worin unterscheidet sich der typisch spanische Fußballer vom deutschen?

Grundsätzlich sind die Jungs dort sehr reif, sehr erwachsen, was ich auf zwei Dinge zurückführen würde: Zum einen ist das ein bisschen die Mentalität der Menschen vor Ort, weil, wenn ich in Spanien, denen es ökonomisch aktuell auch nicht so gut geht, etwas erreichen will, dann muss ich es in die Hand nehmen, dann muss ich machen, dann muss ich die Initiative ergreifen. Dadurch sind die Jungs vielleicht auch ein wenig belastbarer als hier in Deutschland und das sieht man auch auf dem Platz. Diese Spieler mit Initiative, die „Macher“, die du auch gezielt suchst und auch gerne in allen Mannschaftsteilen hast, die muss man hier in Deutschland schon suchen, in Spanien hingegen begegnen dir diese in Hülle und Fülle. Das hat für mich auch damit zu tun, dass, wenn sie abends das Top-Training in einer der Akademien genießen wollen, sie sich überlegen müssen, wie sie überhaupt dorthin kommen und nebenbei muss die Schule trotzdem laufen. Wir hier in Deutschland nehmen den Jungs sehr, sehr viel ab. Jetzt bin ich hier beim KSC zwar an einer Adresse gelandet, wo dies nicht so extrem der Fall ist, aber vorher bei Borussia Dortmund oder in Hamburg gab es ganz andere Rahmenbedingungen. Was ich damit sagen will, ist, dass in Spanien vieles einfacher und bescheidener gehalten ist, man sich auf das beschränkt, was man letztendlich zum Fußball spielen braucht. Ohne Schuhvertrag, ohne Fahrdienst, und so weiter.

Okay, das ist neben dem Platz – und auf dem Feld?

Zum anderen lieben die Spanier das schöne Spiel und interessieren sich total dafür, was sich zwischen den beiden Strafräumen abspielt und sie lieben es, den Ball über Passstaffetten in den anderen Strafraum zu tragen. Hier in Deutschland gibt es eher den schnellen Weg, den direkten Fußball, wobei eher auch mal überspielt wird. Das gibt es in Spanien auch, in der Ausbildung aber eher weniger. Die Jungs zocken einfach viel lieber als wir hier in Deutschland, da beziehe ich uns Trainer auch mit ein.

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Und wo liegen die großen Unterschiede in der täglichen Trainingsarbeit?

In allen Akademien in Spanien steht in der Trainingsarbeit das Spiel selbst einfach im Vordergrund. Wir hier in Deutschland sind doch sehr fokussiert auf die Athletik zum einen, machen zum anderen aber auch sehr viele Passschleifen und Passfolgen von Hütchen zu Hütchen. Wenn es um den Technikerwerb geht, dann kann man das schon isolieren und von Hütchen zu Hütchen spielen, Pässe in die Bewegung, ohne Gegenspieler und so weiter. Aber sobald ich Spieler auf dem Niveau habe, wie ich sie in einem Nachwuchsleistungszentrum haben sollte, dann geht es für mich nur noch ums Anwenden. Dann geht es darum,  Entscheidungen zu treffen, Laufwege zu treffen, Räume so zu bespielen, dass der Sprint in den Raum so erfolgt, dass Ball und Spieler zusammenkommen oder auch um Dinge wie Passtiming oder Passschärfe, die ich nur beurteilen kann, wenn die Jungs spielen. Es wird eben erst wirklich taktisch, wenn der Gegner auf dem Platz steht und das haben die Spanier in fast jeder Übung verinnerlicht.

Also?

Für die Trainingsarbeit in Spanien kann man insgesamt sagen, dass sie sich weniger im athletischen und sportpsychologischen Bereich aufhalten, sondern schlichtweg mehr mit dem Ball am Fuß spielen. Die Trainingseinheiten gehen oft auch bei den 14- oder 15-Jährigen mal über zwei Stunden und sie spielen dabei ausschließlich Fußball.

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Das ist überall so?

Auch hier spielt wieder diese Reife mit rein. Es gibt vier große Akademien in Spanien, das sind Real, Villarreal, Barça und Valencia, denen fehlt es an nichts, die kann man auch mit der deutschen Infrastruktur vergleichen. Aber die restlichen Akademien sind eher staubig mit doch eher unterdurchschnittlichen Kunstrasenplätzen, die auch nie gewässert werden, aber trotzdem ziehen die Jungs da ihr Ding durch. Der durchschnittliche spanische Nachwuchsspieler, der schon sehr lange Fußball spielt und jetzt 18 wird, ist einfach extrem spielfreudig, sehr spielintelligent und sehr spielfähig. Was das Endergebnis angeht, ist das wahrscheinlich auch der große Unterschied zu der Ausbildung in Deutschland, die sich sehr viel an Grundordnungen und dem Disziplinverhalten auf dem Platz orientiert. Da sind die Spanier doch sehr weit weg. Ich habe das Wort „Disziplin“ nicht einmal gehört, da geht es eher um Dinge wie Präsenz und anspielbar sein, also eher individualtaktische Dinge.

Außerdem arbeiten sie mit viel mehr Staff in Spanien. Man hat gerne auch mal einen zweiten und dritten Co-Trainer dabei, nicht wie bei uns noch einen zweiten Athletiktrainer, sondern wirklich Fußballtrainer, die, wenn das Spiel läuft, auf dem Spielfeld stehen und simultan die Spieler ansprechen während sie gleichzeitig natürlich die gleiche Spielidee verinnerlicht haben. Und das ist eine Sache, die ich mir gar nicht so einfach vorstelle. Dass wirklich alle mit einer Zunge sprechen und die Jungs coachen, aber die bekommen das hin, eben durch eine gemeinsame Vorstellung vom Spiel. Dadurch ist natürlich auch ein Training in kleineren Gruppen möglich und das machen die auch sehr konsequent. Aus diesem Grund entstehen am Ende vielleicht dann auch technisch bessere und versiertere Spieler.

» Dazu: Teil eins des Interviews mit Marc Meister: Wie Real Trainer und Talente ausbildet

Die neuen Trainingsartikel von Real Madrid: Shirts, Jacken, Anzüge, Hosen

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von
Yannick Frei

Hauptberuflich im Nachwuchsfußball zuhause. Von den Großmeistern Figo und Zidane verzaubert, bin ich bis heute ein glühender Anhänger des größten Klubs der Welt.

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