
MADRID. „Ich habe Di Stéfano und Puskás erst bekannt gemacht, ich gab ihnen die ganzen Vorlagen“, scherzte der Mann, dem man mit seinen 88 Jahren nicht mehr unbedingt ansah, was für ein genialer Fußballer er einmal war. Der sechste und aktuelle Ehrenpräsident Real Madrids – im Oktober 2016 folgte er auf den 2014 verstorbenen Alfredo di Stéfano – war für das ursprüngliche weiße Ballett so etwas wie der Gareth Bale der 1950er- und 1960er-Jahre. Fulminante Flankenläufe mit unfassbarer Geschwindigkeit, dazu ein starker linker Fuß und die Nummer 11. Und Titel, viele Titel.
Arm, aber schnell
Am 21. Oktober 1933 in der kantabrischen Stadt Guarnizo geboren, wuchs Gento in Armut auf und musste früh lernen, Prioritäten zu setzen. In Worten und Taten: Das täglich Brot der Familie mitverdienen, anstatt sich um eine schulische Ausbildung zu bemühen. Mit 14 verließ er die Schule und half seinem Vater – einem Lastwagenfahrer – indem er sich um die Kühe der Farm kümmerte. Seine wenige Freizeit widmete der kleine Linksfuß seinen Leidenschaften Fußball und Leichtathletik. Als das Talent schließlich eine sportliche Entscheidung treffen musste, fiel diese pro Fußball aus – die Schnelligkeit kam Paco aber auch hierbei zu nutze.
Bernabéu will ihn, Bernabéu kriegt ihn
Als Teenager landete Gento bei Racing Santander, wo dem linken Außenstürmer – passend zu seinem außergewöhnlichsten Attribut – der schnelle Durchbruch im spanischen Oberhaus gelang. Im Spiel gegen Real Madrid überzeugte er die Königlichen um Präsident Santiago Bernabéu so sehr, dass dieser den spektakulären 19-Jährigen unbedingt im weißen Dress sehen wollte – und Bernabéus Wille geschah.
1953 bis 1971: 601 Spiele, 182 Tore, 21 Titel
Fast nahtlos knüpfte „La Galerna del Cantábrico“, der kantabrische Sturmwind, ab 1953 an seine starken Leistungen an und etablierte sich in Madrids aufkommendem Wundersturm, wo Gento neben den Argentiniern Di Stéfano und Héctor Rial, dem Franzosen Raymond Kopa und bald auch Ungarns Ikone Ferenc Puskás die spanische Komponente darstellte. Obwohl speziell Di Stéfano und Puskás die meisten Lorbeeren einsackten, war der Flügelflitzer nicht minder wichtig für Real: Er durchbrach die Abwehrreihen der Gegner wieder und wieder und wusste, wie er seine Sturmkollegen in Szene zu setzen hatte. Wenn es nötig war, sorgte Paco mit seinem linken Huf – egal aus welcher Distanz – auch selbst für so manchen Treffer. 182 in 601 Spielen.

Nur einer bleibt bis „La Sexta“
Die königliche Nummer 11 war ein Garant für den bis heute unerreichten Fünffach-Erfolg im frisch installierten Europapokal der Landesmeister, dem Vorgänger der heutigen Champions League. Beim dritten Triumph 1958 wird Gento zum großen Helden, als er im Giganten-Finale gegen die AC Mailand in der Verlängerung den 3:2-Siegtreffer erzielt. Während die alternden Sturmkollegen allmählich abtraten, war Gento, der es zudem auf zwölf spanische Meisterschaften – ebenfalls ein Rekord – brachte, auch beim sechsten internationalen Triumph 1966 dabei. Die Generation „Yé-yé“ siegte mit elf Spaniern in der Startelf. Und ihrem Oldie Gento, der den Generationswechsel überstanden hatte.
Bitter: Obwohl die Legende als routinierter Anführer in Madrid (Karriereende 1971) noch gesetzt war, musste sie ihren Linksaußenposten im Nationalteam nach 44 Länderspielen bereits abtreten und verpasste so das Endturnier bei Spaniens EM-Triumph 1964.
Frech, bescheiden – und würdig
Revolutionär war die Spielweise des als sorglosen Lebemann geltenden Flügelflitzers. Wie er dachte und lebte, so spielte der Großonkel von Marcos Llorente auch: Kein Spieler seiner Zeit trickste so viel herum, mit der klaren Absicht, seine Gegenspieler bloßzustellen. Spezialitäten: Kreative Übersteiger-Finten oder das Überlupfen der Verteidiger. Tricks und Titel: Mehr als 21 Trophäen hat keiner in Madrids Geschichte gewonnen.
Dass er vielen Madridistas im Vergleich zu den überlebensgroß erscheinenden Di Stéfano, Zidane oder Cristiano Ronaldo kaum noch präsent ist, wusste der Mitt-Achtziger zu erklären: „Ich habe zwar sechs Europapokale gewonnen, aber ich bin nicht mehr als ein Körnchen in der großen Historie Real Madrids.“ Doch, das ist er. Und deshalb war er ein würdiger Ehrenpräsident. Gento: „Real Madrid ist für mich alles. Es ist mein Leben. Das ist mein Leben. Mein Zuhause, meine Familie. Das ist mein Leben. Ohne das wäre ich nichts.“ Lebe wohl, Paco.
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