
Real wird Bale doch los
MADRID. Real Madrid wird Gareth Bale wider Erwarten doch los. Tottenham Hotspur holt seinen verlorenen Sohn zwar nur auf Leihbasis für die Saison 2020/21 zurück nach London, jedoch erscheint es wenig wahrscheinlich, dass der 31 Jahre alte Waliser jemals wieder für die Königlichen aufläuft. Sein Vertrag ist dort bis zum 30. Juni 2022 datiert. Nach sieben Spielzeiten des Offensiv-Stars stellt sich die Frage: Welcher Eindruck bleibt von ihm nach 251 Einsätzen, 105 Toren und 68 Vorlagen sowie 16 Titeln, die er mit dem weißen Ballett holte? Die REAL TOTAL-Redakteure Filip Knopp und Edin Soso diskutieren.
Filip Knopp über Bale: Der Ronaldo, der keiner war
Im Kosmos von Real Madrid gibt es Leute, die meinen: Mit Gareth Bale nimmt eine Legende des Klubs nach sieben Jahren Abschied. Ich sehe das völlig anders. Bale mag mit dem Mega-Solo im Copa-del-Rey-Finale 2014 gegen den FC Barcelona und dem Fallrückzieher im Champions-League-Finale 2018 gegen den FC Liverpool zwar legendäre Tore erzielt haben, aber das bringt einem nicht automatisch einen solch besonderen Status ein.
Als Bale 2013 von Tottenham Hotspur verpflichtet wurde, war die Freude im Madridismo groß: noch so ein explosiver, kompletter und torgefährlicher Flügel-Star wie Cristiano Ronaldo! 100,7 Millionen Euro gab Real für ihn aus, noch mal etwas mehr als vier Jahre zuvor für Ronaldo, der für 94 Millionen Euro von Manchester United gekommen war. Im Endeffekt war Bale aber ein Mitläufer und absolut kein zweiter Ronaldo.
Keiner, der regelmäßig Spiele für das Team gewann, es trug. Keiner, der als Anführer galt, mal laut wurde. Keiner, der auch mal die Fans mitriss und um eine positive Bindung zu ihnen bemüht war. Keiner, der sich sonderlich groß mit dem Madridismo identifizierte. Keiner, der wirklich Lust darauf hatte, die Sprache seiner neuen Heimat so gut zu erlernen, dass er sie auch öffentlich und problemlos in der Kabine spricht. All das kann man von einem 100-Millionen-Euro-Mann verlangen. Und all das gehört dazu, wenn man eine Ikone werden will. Stattdessen machte er sich zum Ende hin bei den Fans mit seiner berühmten und viel diskutierten „Wales. Golf. Madrid – in dieser Reihenfolge“-Flagge so unbeliebt, dass ausgepfiffen wurde. Immer und immer wieder. Hat mit Legende nichts zu tun.
Seine schüchterne Art tat ihm nicht gut und machte ihn angreifbar. Bale galt innerhalb der Mannschaft stets als Außenseiter, der nicht viel kommuniziert. Für Bales massiven Absturz mache ich fraglos auch Trainer Zinédine Zidane verantwortlich, am Ende ist aber jeder seines Glückes Schmied. Für mehr Spielpraxis und einen viel größeren Impact hätte Bale mehr Ecken und Kanten zeigen und sich viel aktiver in das große Ganze einbringen müssen. Im Haifischbecken Real war er ein zu weicher Kerl. Kein Wunder, dass Zidane irgendwann keinerlei Bammel davor hatte, ihn nach Verletzungspausen nicht wie selbstverständlich wieder von Anfang an einzusetzen, sondern peu à peu zu degradieren. Bale setzte sich brav auf die Bank und damit hatte es sich. Reden ließ er seinen Berater Jonathan Barnett. Aber so richtig wichtig und einflussreich waren dessen Aussagen nie. Im Laufe der Saison 2016/17 ging es los, dass andere Akteure wie Isco immer wieder den Vorzug erhielten – was sich unter Zidane folglich nicht großartig ändern sollte. Der Anfang vom Ende.
Die unfassbaren Tore in 2014 und in 2018 kaschieren bei Bale letztlich einiges. Das kann man ihm positiv auslegen – aber definitiv auch negativ. Natürlich muss der Fan ihm vor allem für diese besonderen Momente dankbar sein. Wenn man diesen Weltklasse-Spieler von damals im Trikot der Spurs aber noch mal sieht, darf auf keinen Fall unter den Teppich gekehrt werden, dass er konstant mehr hätte leisten können und auch müssen. Alles Gute und viel Erfolg, Gareth, aber in Reals Historie bist du nur einer von vielen.
Edin Soso über Bale: Ein ganz Großer verlässt Madrid
Die Beurteilung der Zeit von Gareth Bale bei Real Madrid würde die Öffentlichkeit und den Madridismo bei seinem Abgang spalten, das war bereits seit mehreren Jahren zu erwarten. Ich gehöre zu denjenigen, die diese sieben Jahre grundsätzlich sehr positiv bewerten. Natürlich bin auch ich der Auffassung, dass die Trennung überfällig und die Rückkehr zu den Spurs für alle Beteiligten gewinnbringend ist. Dafür ist im Verhältnis zwischen Spieler und Verein in den letzten zwei bis drei Jahren viel zu viel schief gelaufen. Filip hat die Vorkommnisse und die Gründe dafür bereits aufgeführt.
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Nichtsdestotrotz halte ich fest, dass der zweitteuerste Einkauf der Vereinshistorie alles andere als nur ein Mitläufer in einer der erfolgreichsten Phasen in der Geschichte der Königlichen war. Vielmehr ist er ein meinen Augen eine der Säulen gewesen, die vier Champions-League-Titel innerhalb von fünf Jahren ermöglicht haben. Einer der regelmäßig die ganz wichtigen Spiele direkt mit deinen Toren entschieden hat.
Im Finale gegen Atlético 2014 war es sein Treffer zum 2:1 in der Verlängerung, der das Spiel vorentschieden hatte. Das Ausgleichstor von Sergio Ramos in den letzten Sekunden der Nachspielzeit überstrahlt diesbezüglich rückblickend und auch zu Recht alles, dabei geht aber oft völlig unter, dass es Bale war, der mit seinem Kopfball alles entschied. Zwei Jahre später war es wieder der Waliser, der das Champions-League-Halfinale gegen Manchester City mit dem einzigen Tor direkt zu Gunsten Real Madrids entschieden und den anschließenden Triumph im Finale gegen Atlético erst möglich gemacht hat. Den vorläufig letzten Champions-League-Titel der Blancos 2018 gegen den FC Liverpool hat Bale ohnehin wieder direkt entschieden. Den Sololauf im Finale der Copa del Rey 2014 werden wir alle ebenso niemals vergessen.
All diese Tore sprechen eine eindeutige Sprache: Bale war über Jahre ein Titelgarant für den Verein. Er hat die wichtigsten Partien entscheidend (mit-)geprägt, sie entschieden. Etwaige Vergleiche mit Cristiano Ronaldo im Zusammenhang mit der gezahlten Ablösesumme und der Gesamtanzahl von Toren halte ich für unfair, denn es gibt keinen Spieler auf der Welt, der diesem Vergleich standhalten könnte. Wenn man es überspitzt formuliert, hat Bale aber mehr Champions-League-Finalspiele direkt entschieden als CR7.
Am Ende bleiben in meiner Erinnerung weniger die Skandälchen der letzten zwei Jahre, vielmehr sind es die insgesamt 105 Tore des Walisers im weißen Trikot, darunter der wohl spektakulärste Treffer der Champions-League-Geschichte oder aber einer der unglaublichsten Sololäufe, die ich je im Fußball gesehen habe. Und viele, viele Titel. In meinen Augen genug Gründe, um von einer absoluten Vereinslegende zu sprechen, die für ewig für eine goldene Ära der Königlichen stehen wird.
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