
Real kassiert in letzten sieben Spielen 14 Treffer
VALENCIA/MADRID. Keine 55.000 zusätzlichen und besonders lautstarken Gegner auf den steilen Rängen und eine bisherige Saisonausbeute des Kontrahenten, die wahrlich nicht für Angst und Schrecken sorgt: Real Madrid hatte gewiss schon mal ein mulmigeres Gefühl, als es auf die Reise zu einem Duell mit dem FC Valencia in dessen Estadio Mestalla ging. Vor diesem 9. Spieltag in der Primera División hatten es die „Blanquinegros“, vereinspolitisch schon seit einigen Monaten ein Unruheherd im spanischen Fußball, mit ihren elf Treffern gerade mal auf zwei Siege und zwei Unentschieden gebracht, woraus acht Punkte und Platz 13 resultierten. Dem gegenüber stehen 13 Gegentore, die zu vier Niederlagen führten.
Aber was hat das schon großartig zu bedeuten? „Jedes Spiel hat seine eigene Geschichte“, pflegt Zinédine Zidane zu sagen. Dem Team von Trainer Javi Gracia gelang es am Sonntagabend selbst unter diesen schlechten Vorzeichen und angesichts der Coronavirus-Pandemie ohne die Unterstützung des eigenen Anhangs, dem amtierenden Meister ein denkwürdiges blaues Auge zu verpassen. Nach dem Führungstor von Karim Benzema (23.) wurde es kurios: Elfmeter – 1:1 (35.). Ein Eigentor – 1:2 aus Reals Sicht (43.). Noch ein Elfmeter – 1:3 (54.). Und noch ein Elfmeter – 1:4 (63.). Valencias Carlos Soler wusste vermutlich nicht, wie ihm geschieht, nahm aber alle drei Geschenke vom Punkt aus dankend an. Der 23 Jahre alte Stürmer, seit 2017 Profi bei den „Fledermäusen“, hatte zuvor in 155 Pflichtspielen erst zwölfmal eingenetzt – und jetzt binnen 28 Minuten, wenn man die viertelstündige Halbzeitpause außen vor lässt, gleich dreifach per Strafstoß.
Ein Elfmeter-Dreierpack des Kontrahenten war Real in seiner 118-jährigen Geschichte zuvor noch nie untergekommen. Er steht sinnbildlich für die Defensive der Königlichen in dieser Saison. Das Debakel in Valencia war die siebte Partie hintereinander, in der sie nicht ohne Gegentor geblieben sind. Insgesamt kassierte Real dabei sogar 14 Treffer, also zwei pro Spiel. Prunkstück Defensive? Das war einmal – auch wenn vor nicht allzu langer Zeit. Sie ist zurück, die altbekannte Schwachstelle. Hatte Real in den letzten elf Partien der vergangenen Spielzeit nur sieben Tore kassiert, sind es in den ersten elf Spielen der neuen Saison satte 16. Fast das Doppelte. Ein alarmierender Trend, wegen dem Zidane schon nach der Pleite gegen Cádiz versicherte, er werde Lösungen suchen und Lösungen finden. Bloß ein Lippenbekenntnis? Ein Aufwärtstrend in der Performance der im Verbund einfach nicht sattelfesten Hintermannschaft ist jedenfalls nicht zu erkennen.
Jeder Verteidiger verschuldet ein Gegentor
Kurios: Im Mestalla hatte jeder einzelne Verteidiger jeweils einen Gegentreffer zu verschulden. Vor dem Ausgleich zeigt Schiedsrichter Jesús Gil Manzano wegen eines Handspiels von Lucas Vázquez, bedingt durch die personelle Situation erneut hinten rechts im Einsatz, auf den Punkt. Das Eigentor fabriziert Raphaël Varane, die nächsten Strafstöße werden durch Marcelo (umstrittenes Foul) und Kapitän Sergio Ramos (Hand) verursacht. „Keine Abwehr mehr da: Real Madrid hat hinten ein ganz großes Problem“, konstatiert die Sportzeitung MARCA nach der unter Zidane zweiten Begegnung, in der es viermal im Netz der Madrilenen zappelte. Nach dem 3:4 im Copa-del-Rey-Viertelfinale 2020 im Estadio Santiago Bernabéu gegen Real Sociedad war es nun in LaLiga erstmals so weit.
Den Ausfall des aufgrund eines positiven Corona-Tests ebenso wie Éder Militão und Eden Hazard nicht einsatzfähigen „Staubsaugers“ Carlos Casemiro kompensierte Zidane hinter Spielmacher Isco mit Federico Valverde und Luka Modrić auf einer Doppelsechs. Zumindest der 22-jährige Uruguayer sei dort jedoch fehl am Platz, findet Jorge Valdano, bei den Blancos einst sowohl Spieler als auch Trainer und Generaldirektor. „Der Job eines zentralen Mittelfeldspielers verpflichtet dich dazu, sich nicht großartig zu bewegen. Valverde ist aber ein Box-to-box-Spieler. Wenn Valverde stillsteht, ist er nicht Valverde“, so der 65 Jahre alte Argentinier nach dem auch in offensiver Hinsicht ziemlich dürftigen Aufritt der Merengues bei dem spanischen Radiosender ONDA CERO.
Schuster-Abgesang auf Marcelo – Real generell „sehr limitiert“
Bernd Schuster, Meister-Trainer von 2008, hatte bereits im Nachgang an den glücklichen 3:2-Erfolg am vergangenen Dienstag in der Champions-League-Gruppenphase gegen Inter Mailand moniert, dass die Defensive zu viel zulasse. Seine Worte konnte er nach dem Valencia-Spiel als Experte bei ONDA CERO im Grunde genommen einfach wiederholen. „Alle Gegner kommen gegen Madrid zu vielen Chancen“, haderte der 60-Jährige und schob in seiner Kritik einen Abgesang auf den enttäuschenden Marcelo, für den inzwischen gesetzten Ferland Mendy in der Startelf, hinterher: „Marcelo konkurriert nicht mehr. Er spielt, weil er aufgestellt wird. Aber er kämpft nicht um den Platz.“
Real habe generell „eine sehr limitierte Mannschaft, verfügt über kein Flügelspiel, ist im Mittelfeld langsam. Innerhalb von zwei Jahren wurde nichts getan. Die Mannschaft wurde nicht erneuert. Nach Cristianos Abgang ist die Mannschaft schwächer geworden, es gab keine gute Kaderplanung. Die Spieler, die eingewechselt werden, machen das Team nicht besser. Das ist kein gutes Zeichen“. Gegen Valencia kamen Martin Ødegaard, Rodrygo Goes, Toni Kroos, Mariano Díaz und Luka Jović im Laufe der zweiten Halbzeit. Keine Akteure, die die defensiven Versäumnisse in der Vielzahl vorne wettmachen können.
Es heißt ja so oft: Die Abwehr gewinnt Titel – wie etwa 2019/20, als Ramos und Co. das Spieljahr in Spanien mit 25 Gegentoren beendete. Jetzt sind es nach acht Runden schon neun. Die Hintermannschaft von Real ist in dieser Verfassung höchstens reif zum Scheitern. Greifen sie nach den erneuten Länderspielen endlich, die Lösungen von Zidane?
Community-Beiträge