
Die titellose Saison 2014/15 fordert ihr erstes Opfer. Carlo Ancelotti verlässt Real Madrid, weil die Direktive um Präsident Florentino Pérez und Generaldirektor José Ángel Sánchez wieder einmal eine neue Ära ins Leben rufen will. Für mich geht eindeutig der Falsche. Es geht der, der nach zwölf langen und schmerzhaften Jahren die Champions-League-Trophäe zurück nach Madrid gebracht hat. Der, der vor einem halben Jahr einen Rekord von 22 Siegen in Folge aufgestellt hat. Der, der wie kaum ein zweiter die Werte des Vereins verstanden und repräsentiert hat. Der, der die mit Stars gespickte Mannschaft mit seinem ruhigen Wesen perfekt bei Laune gehalten hat. Der, der sogar die tückische Presse Spaniens mit seiner charmanten Art auf seine Seite gezogen hat. Kurz gesagt: Es geht der ideale Trainer für Real Madrid!
All die Attribute, die „Carletto“ aufweist, wies auch ein gewisser Vicente del Bosque auf. Dieser musste vor ziemlich genau zwölf Jahren ebenfalls ohne einen würdigen Abschied seine Koffer packen. Pérez feuerte den späteren Welt- und Europameister-Coach gegen den Willen der Mannschaft und der Fans. „Ich verstehe immer noch nicht, warum er das getan hat“, sagte Ex-Stürmer Ronaldo Luís Nazário de Lima vor kurzem. Sein Namensvetter Cristiano Ronaldo wird sich das gleiche nun auch fragen. Nach dem Saisonabschluss gegen den FC Getafe hatte sich sogar der amtierende Weltfußballer für einen Verbleib Ancelottis stark gemacht: „Er ist ein großartiger Trainer und eine fantastische Person. Ich hoffe, dass wir nächste Saison zusammenarbeiten.“
Great coach and amazing person. Hope we work together next season. pic.twitter.com/HqHHGjGGUH
— Cristiano Ronaldo (@Cristiano) 23. Mai 2015
Pérez und seine 16 Gefolgsleute, die den Aufsichtsrat bilden, ignorierten nicht nur den Ruf des wichtigsten Spielers, sondern gleichzeitig auch die Lehren der Vergangenheit. In Pérez’ Amtszeit holte Real bislang nur sieben von 36 möglichen großen Titeln (Liga, Pokal, Champions League) – ein Armutszeugnis für einen Verein mit derart mannigfaltigen Möglichkeiten. Der Bauunternehmer mag hervorragend wirtschaften, beweist mit seinen unzähligen Trainerwechseln und radikalen Umbrüchen inklusive Superstar-Transfers jedoch keinerlei sportliche Kompetenz. Wer die tollsten Spieler hat, hat nicht gleichzeitig die tollste Mannschaft. Erst recht nicht ohne Kontinuität. Ich gehe mit MARCA-Redakteur Roberto Palomar konform, der meint: „Pérez führt Madrid wie ein besessener Jugendlicher, der FIFA 15 spielt.“
Der 68-jährige Präsident vertritt mit seinem unsympathischen und undankbaren Denken und Handeln in keinster Weise die Werte des Vereins. Ich würde sogar schon weitergehen und behaupten: er besudelt sie! Wenn Spieler wie Sami Khedira, die dem Verein fünf Jahre lang dienten, nicht einmal ein Abschiedsspiel erhalten und ohne Dank vom Hof gejagt werden, muss man sich fragen, ob es sich um den besten und glanzvollsten Verein des 20. Jahrhunderts oder um einen Zirkus mit einem minderbemittelten Dompteur an der Spitze handelt. Khedira ist nur ein Beispiel von vielen. Immerhin erhielt Raúl González Blanco eine nachträgliche Ehrung. Anderen Legenden blieb so etwas verwehrt. Mittlerweile könnte man die Vereinshymne umdichten, in der der spanische Rekordmeister als „caballero del honor“ (auf Deutsch: Ehrenkavalier) besungen wird.
Ancelotti erlebte seinen letzten Arbeitstag von der Tribüne des Bernabéu aus. Ein unwürdiges Ende für einen Übungsleiter, der zu den besten der Welt zählt. Nun besetzt mit Rafael Benítez wahrscheinlich ein alles andere als unfähiger Mann die königliche Trainerbank. Nach einer völlig verkorksten Saison mit dem SSC Neapel darf allerdings die Frage erlaubt sein, was der Spanier besser machen könnte als Ancelotti. Als früherer Jugendtrainer verdient er sicherlich eine Chance. Er wird aber auch wissen, dass es nur bei einer Chance bleiben wird, denn für den größenwahnsinnigen Pérez ist Versagen verboten. Und genau das ist größte Problem des Präsidenten: Er begreift nicht, dass Versagen menschlich ist.
¡Gracias por todo, Carlo!
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