
„Wir sind eine Familie“ – ein eigentlich perfekter Tag in Madrid
MADRID. Es war eigentlich ein perfekter Tag. Vor dem Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale gegen Schalke 04 versammelten sich irgendwo in der spanischen Hauptstadt Madridistas aus aller Welt: USA, Mexiko, Ecuador, natürlich Spanien und auch Deutschland. Doch sie versammelten sich nicht irgendwo, sondern im Madrider Arbeiterviertel Entrevías. Dort lud ein gewisser Toñín in seine „Rincón“, seine Kneipe, ein. Und REAL TOTAL war dabei, um mit dem Kult-Fan des Madridismo zu sprechen.
Toñín ist seit 33 Jahren Mitglied bei Real Madrid und freut sich, dass sich an Spieltagen in der Königsklasse und auch sonst in seinem Lokal zeigt, wie weitreichend und bunt der Madridismo ist. „Somos una familia“, erklärt Toñín selbstverständlich. Wir sind eine Familie. Als das fühlt man sich auch an diesem wunderschönen Nachmittag. Fantastisches Wetter, gutes Essen, viele Fotos, die andere Madridistas auf Twitter (es lohnt sich, einer von Toñíns 26.000 Followern zu sein) neidvoll favorisieren konnten. Eigentlich ein perfekter Tag. „Madridismo sin fronteras“, fügt er hinzu, der Madridismo hat keine Grenzen. Doch an jenem Abend sollten der Mannschaft, der wir hier huldigen, ihre Grenzen aufgezeigt bekommen. Schalke verpasste den Blancos einen königlichen Tritt in den Hintern. Auch Toñín war nach der 3:4-Blamage enttäuscht, blieb aber optimistisch, es war ja nichts verloren. Real Madrid ist trotzdem eine Runde weiter und „bleibt Favorit Nummer eins! Welches Team will uns schon im Viertelfinale haben? Keines! Wir sind immer noch der Titelverteidiger.“ Der Madridismo des kleinen Spaniers ist ansteckend – ist ja nicht so, als hätten wir ein paar Toñín-Viren nötig gehabt. Was den europäischen Wettbewerb betrifft, blieb der 45-Jährige also optimistisch. Und in La Liga? „Wenn wir den Clásico gewinnen, gewinnen wir die Liga. Darauf vertraue ich.“

Balljunge, Stadioneinbrecher, wahlberechtigter Socio
Wir spulen die Stunden zurück in die einem kleinen Museum gleichende „Rincón“ in der Calle Hernández Mas 20 in Madrid. Toñín ist über die Landesgrenzen hinaus als Madridista bekannt, selbst SKY Deutschland besuchte ihn schon. Er war bereits 1998 in Amsterdam dabei, als Real Madrid „la Séptima“ gewann, den siebten Europapokal nach einer 32-jährigen Durststrecke. Dagegen ist das elf Jahre lange Warten auf „la Décima“ fast nichts, und deswegen bleibt das Endspiel gegen Juventus Turin Toñín auch als größter Moment seines 33-jährigen Fan-Daseins in Erinnerung. „Meine Eltern waren schon Madridistas, da ist man automatisch rein gewachsen“, beginnt der Spanier seine persönliche Geschichte. „So richtig angefangen hat’s mit elf, zwölf Jahren als Balljunge. Wenn man Juanito oder (Carlos) Santillana den Ball im Training gab, luden sie einen ein, Elfmeter gegen die Torhüter zu schießen.“ Zwei königliche Legenden tragen also Teilschuld am Schicksal eines der bekanntesten Fans. Dabei kommt Antonio Castaño, so heißt er mit bürgerlichem Namen, eigentlich aus bescheidenen Verhältnissen. 1970 im Madrider Arbeiterviertel geboren, konnte es sich die Familie natürlich nicht leisten, regelmäßig ins Estadio Santiago Bernabéu zu pilgern.
Der kleine Antonio hatte da so seine Mittel. Wo heute die „Esquina del Bernabéu“, das Shopping-Center neben dem Fußballtempel, steht, war früher ein Schwimmbad. Mit zu niedrigen Zäunen. „Da konnte man leicht drüber klettern“, erklärt Toñín. Aber es klappte nicht immer: „Wenn uns die Ordner sahen, nahm man uns fest. Aber da wir minderjährig waren, konnten sie uns nicht der Polizei übergeben. Wir mussten also auf unsere Eltern warten und wurden solange eingesperrt, um das Spiel nicht zu verfolgen.“ Eingesperrt, um Real Madrid nicht zu sehen. Das wäre vermutlich auch heute das einzige und letzte Mittel, um den 45-Jährigen daran zu hindern, sein Madrid spielen zu sehen – ob erste Mannschaft, Castilla oder die überaus erfolgreichen Basketballer.
Aber Toñín hat schon eine Menge gesehen. Auf der jährlichen „Asamblea General Ordinaria“, den Mitgliederversammlungen, besitzt er seit 25 Jahren Wahlrecht. So wie hundert andere Socios auch, denn Real Madrid gehört seinen 91.000 Mitgliedern, keiner Privatperson oder Aktionären.
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„Hör auf rum zu singen!“
Viel gesehen und vielen auch persönlich begegnet. Der sympathischste Spieler, den er jemals traf? „Da gab es viele!“ Aber Gregorio Benito blieb dem Mann, der heute mal wieder sein geliebtes weil signiertes Raúl-Trikot trägt, besonders in Erinnerung. Der verteidigte von 1969 bis 1982 420 Mal das königliche Wappen und war einfach „ein super Typ persönlich! Er redete mit allen ganz normal.“ Als es um den sympathischsten Trainer ging, musste der Socio nicht lange überlegen: „Fabio Capello!“ Und Toñín fuhr mit einer tollen Erinnerung aus der epischen, weil punktgleichen Meisterschaftssaison 2006/07 fort, als Real Madrid am vorletzten Spieltag in Zaragoza die Punkte teilte. „Barcelona spielte zum Glück auch Unentschieden, also blieben wir Tabellenführer. Ich war im Flugzeug mit der Mannschaft, machte Stimmung. Dann kam Capello und rief ‚Toñín, hör auf rum zu singen!‘ Casillas und Raúl versuchten zu vermitteln, ich umarmte Capello versöhnlich, doch dabei rutschte ihm die Brille herunter. Alle sahen es und lachten sich tot. Also ging ich lieber, bevor ich mir noch eine einfing“, so der erste Teil der Geschichte vom 9. Juni 2007. „Drei Tage später erhielt ich einen Brief. Und Fabio Capello und seine Frau luden mich ins Mesón Txistu (bei den Spielern beliebtes Nobel-Restaurant; d. Red.) ein. Dort erklärte er mir, es sei nichts Persönliches gewesen, er wollte lediglich die Konzentration seiner Spieler aufrecht halten.“ Mit Erfolg: Acht Tage später, am unvergesslichen letzten Spieltag sicherte sich Real nach 0:1-Rückstand gegen Mallorca in den letzten 20 Minuten die 30. Meisterschaft (Video zu besagtem Liga-Finale).
Weiter geht’s auf Seite 2 – Toñíns Statements zu Mourinho, Casillas, Arbeloa und vielem mehr.
Next dream fullfilled: Passing the day with great Madridistas in @tonintorero‘s rincon! Gracias a todos! HALA MADRID! pic.twitter.com/w3OcDzk2Ub
— Nils Kern (@nilskern17) 10. März 2015
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- Seite 1 Königliche Erinnerungen und wie aus Antonio Toñín wurde
- Seite 2 Toñín über Mourinho, Casillas, Ramos, Arbeloa, Pokalfinale und vieles mehr
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