
An Optionen auf der rechten Seite mangelt es Zidane nicht
DONOSTIA-SAN SEBASTIÁN. Einen der unangenehmsten Kontrahenten der Liga in dessen Stadion bezwungen, dem Erzrivalen die Tabellenführung entrissen – nach dem 2:1 gegen Real Sociedad konnte sich Zinédine Zidane im Grunde nichts vorwerfen lassen. Wie schon beim 3:0 über den FC Valencia am vorherigen Spieltag wurde aber die Linkslastigkeit im Offensivspiel seiner Mannschaft deutlich. Der Unterschied: Diesmal war es nicht Eden Hazard, sondern Vinícius Júnior, der für Tempo und Kreativität sorgte, ständig das Eins-gegen-Eins suchte.
In Durchgang zwei blieb die rechte Seite im Spiel nach vorne nahezu durchweg verwaist, was schlichtweg daran lag, dass Dani Carvajal in den ersten 45 Minuten so viele Läufe ins letzte Drittel machte und Flanke um Flanke aus dem Halbfeld oder von der Grundlinie in die Mitte schlug, dass er nach dem Seitenwechsel nicht mehr das Pensum hatte, um nahtlos daran anzuknüpfen. Der Dauerbrenner auf der rechten Abwehrseite war im Spiel nach vorne auf sich allein gestellt, weil James Rodríguez im 4-3-3 von Zidane zunächst Rechtsaußen begann, aber einmal mehr offenbarte, dass diese Position nicht die geeignetste für ihn ist. Die Folge: James rückte bereits kurz vor der Halbzeit mehr ins Zentrum, während Fede Valverde schon wie gegen Valencia vorwiegend auf die rechte Seite auswich und sich die taktische Ausrichtung eher in ein 4-2-3-1 mit James auf der Zehn vor den Sechsern Casemiro und Toni Kroos verwandelte.
Valverde, nicht unbedingt mehr Rechtsaußen als James, beschränkte sich gemeinsam mit Carvajal aufs Verteidigen. Viele (Gegen)-Angriffe wurden dadurch verschleppt, das Team gelang fast nur über die linke Vinícius-Seite in den gegnerischen Sechzehner. Das zeigen auch die Heatmaps von WhoScored.


Die Linkslastigkeit der Blancos rächte sich gegen die Basken zwar ebenso wenig wie gegen Valencia, warf aber dennoch die Frage auf: Warum griff Zidane nicht auf einen anderen, weniger eindimensionalen Offensivplan zurück? Gegen stärkere Gegner, vor allem in der Königsklasse, könnte die fehlende Power im rechten Mittelfeld und dadurch entstehende fehlende Breite im Real-Spiel zum Verhängnis werden. Lucas Vázquez ist aktuell verletzt und auch in fittem Zustand keine wirklich Waffe mehr im letzten Drittel, mit Rodrygo, Brahim Díaz und Gareth Bale stehen in der Theorie aber drei Rechtsaußen zur Verfügung, die von ihrer Spielweise her zumindest den Anspruch haben, Unterschiedsspieler zu sein.
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Schon 15 Varianten: Real fehlt klare Offensiv-Identität
Zidane scheint von keiner dieser Varianten überzeugt zu sein, weshalb mit Casemiro, Kroos, Valverde und Luka Modrić ab und an sogar vier zentrale Mittelfeldspieler auf einen Schlag beginnen. Rodrygo ist mit seinen 19 noch nicht reif genug, der ein Jahr ältere Brahim bekommt erst gar nicht die Chance und Bale wirkt spätestens seit vergangenem Sommer wie ein zu sehr mit sich selbst beschäftigter Fremdkörper. Bliebe noch die Option Marco Asensio. Der 24-jährige Spanier war allerdings noch nie bekannt dafür, ein temporeicher Dribbler zu sein, der an der Außenbahn klebt. Er ist mehr ein Gestalter zwischen den Linien, der seine Stärken im Passspiel und Abschluss besser zur Geltung bringen kann, wenn er im Zentrum agiert. Mit einem Freigeist wie ihm würde das System wohl ähnlich wie mit dem zurzeit verletzen Isco 4-3-1-2 gleichen. Abgesehen davon war Asensio lange verletzt und muss ungeachtet seines Traum-Comebacks gegen Valencia Schritt für Schritt zurück an die Startelf geführt werden. Was also nun? Sollte Zidane Hazard auf der rechten Seite probieren, nachdem Vinícius in der Saisonvorbereitung dort nicht wirklich zu glänzen wusste? Oder sollte der Brasilianer noch eine Chance in Reals Problemzone bekommen?
Im nächsten Spiel, wenn es gegen den offensiv eher beschränkteren Abstiegskandidaten RCD Mallorca geht (Mittwoch, 22 Uhr, im REAL TOTAL-Liveticker und bei DAZN), könnte Zidane eine dieser Varianten testen.
Dass der Franzose in seiner zweiten Amtszeit als Profitrainer bei Real ohne Cristiano Ronaldo und mit einem deutlich schlechteren Version von Bale reichlich herumexperimentiert und noch keine klare Offensiv-Identität entwickelt hat, belegt auch die Statistik: “Zizou” versuchte in der laufenden Spielzeit bereits 15 (!) verschiedene Angriffsreihen. Am häufigsten zusammen mit dem nahezu immer gesetzten Mittelstürmer Karim Benzema – Torjäger und Wandspieler zugleich – durften Hazard und Rodrygo ran.
Hakimi als neue Rechtsaußen-Option für die neue Saison?
Klar ist: Eine klare Aufteilung wie zu “BBC”-Zeiten gibt es nicht mehr. Kein Wunder, dass so mancher Fan Verstärkungen für die rechte Offensivseite fordert. Wunschspieler Kylian Mbappé wäre aber schon vor der Corona-Krise schwierig zu bekommen gewesen. Nun ist so gut wie sicher, dass der Weltmeister noch mindestens eine Saison bei Paris Saint-Germain bleibt. Mit Achraf Hakimi käme im Sommer theoretisch ein Leihspieler von Borussia Dortmund zurück zu Real, der mit Carvajal zusammen die rechte Seite bekleiden könnte. Im 3-4-3 von BVB-Coach Lucien Favre agiert der 21-jährige Marokkaner sehr offensiv und steht ein Spiel vor Saisonende bei stolzen 19 Scorerpunkten (neun Tore, zehn Vorlagen).
Zidane steht vor einigen Rätseln, dabei bieten sich im engen Terminkalender gar nicht so viele Möglichkeiten zu testen und zu experimentieren. Eine Lösung sollte der Franzose dennoch bald finden, auch weil Dani Carvajal ohne Backup nicht alleine die Arbeit auf der rechten Seite übernehmen kann.
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